Bjerknes in Leipzig - eine "unentbehrliche" Etappe auf dem Weg zur modernen Wettervorhersage

von Michael Börngen, Leipzig

Vor 50 Jahren verstarb in Oslo im 90. Lebensjahr der norwegische Geophysiker und Meteorologe Vilhelm Bjerknes (14. März 1862 - 9. April 1951). Er gilt als Wegbereiter der modernen Wettervorhersage. Einige seiner grundlegenden Untersuchungen konnte Bjerknes von 1913 bis 1917 an der Universität Leipzig durchführen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden mit der rasanten Entwicklung der Luftfahrt die Kenntnisse von den Vorgängen in der Atmosphäre immer wichtiger. Vor diesem Hintergrund bemühten sich seit 1910 der Physiker Otto Wiener, der Astronom Heinrich Bruns und andere Leipziger Naturwissenschaftler um die Errichtung eines Geophysikalischen Instituts an der Universität, das Physik des Planeten Erde betreiben, sich aber anfangs auf Atmosphärenphysik konzentrieren sollte. Vilhelm Bjerknes wurde schon bald als "Idealbesetzung" des zu gründenden Lehrstuhls für Geophysik angesehen und im Sommer 1912 an erster Stelle (gefolgt von Alfred Wegener) dem Sächsischen Ministerium vorgeschlagen. Bjerknes hatte spätestens 1904 mit seiner programmatischen Arbeit "Das Problem der Wettervorhersage, betrachtet vom Standpunkt der Mechanik und der Physik" auf sich aufmerksam gemacht und sich endgültig durch die ersten beiden Bände seines großen Werkes "Dynamische Meteorologie und Hydrographie" (um 1911) empfohlen. Bjerknes' Ziel war es, die dynamischen Vorgänge in der Atmosphäre auf exakte physikalisch-mathematische Grundlagen zu stellen. Wiener kannte diese Arbeiten und prophezeite: An die richtige Stelle gesetzt, würde er eine neue Epoche der Meteorologie herbeiführen.
Im Januar 1913 nahm Bjerknes seine Tätigkeit in Leipzig auf. Beim Aufbau des Instituts wurde Bjerknes von seinem Assistenten Robert Wenger, der sich seit Herbst 1912 bei ihm in Norwegen eingearbeitet hatte, und den zwei Carnegie-Assistenten Th. Hesselberg und H. U. Sverdrup unterstützt.
In seiner Antrittsvorlesung stellte Vilhelm Bjerknes sein Ziel wie folgt dar: Ich würde aber mehr als froh sein, wenn ich die Arbeit so weit führen könnte, daß ich durch jahrelange Rechnungen das Wetter nur von einem Tage auf den anderen ausrechnen könnte. Wenn nur die Rechnung stimmte, so wäre der wissenschaftliche Sieg errungen. Die Meteorologie wäre dann eine exakte Wissenschaft, eine wirkliche Physik der Atmosphäre geworden. Und wenn wir erst so weit wären, würden sich auch schon praktische Folgen einstellen.
Bjerknes sah zunächst als Hauptaufgabe des Geophysikalischen Instituts die Ausarbeitung der synoptischen Darstellung atmospärischer Zustände, die in der Serie I der Veröffentlichungen des Instituts publiziert wurde. Die Grundlage bildeten die von Hergesell international organisierten aerologischen Aufstiege, auf denen die entwickelten Diagnosemethoden in Anwendung kamen. Besonders durch die aufeinanderfolgenden Serien möglichst vollständiger Diagnosen hofften wir das Geschehen in der Atmosphäre aufklären zu können, um dann die dynamisch-thermodynamischen Prognosemethoden in Anwendung zu bringen.
Neben den synoptischen Darstellungen wurden in einer weiteren Reihe Spezialarbeiten publiziert: Die Serie II der Veröffentlichungen des Instituts enthält Vorstöße in verschiedenen Richtungen, um aufzuklären, wo gangbare Wege zu finden seien ..., charakterisiert Bjerknes die ersten Hefte der Institutszeitschrift.
Drei wegweisende Arbeiten von Bjerknes erschienen auch in den Schriften der Königlich-Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, zu deren Mitglied er am 24. Mai 1913 gewählt wurde. Für Bjerknes war davon die Abhandlung "Wellenbewegungen in kompressiblen schweren Flüssigkeiten" besonders wichtig, da mit der Untersuchung der 1888 von Helmholtz initiierten Frage, ob Zyklone als Wellen anfangen, eine neue Richtung in der Forschung eingeschlagen wurde. Das Wellenproblem der Zyklogenese ist auch Jahre später bedeutender Gegenstand des Werkes "Physikalische Hydrodynamik mit Anwendung auf die Dynamische Meteorologie" (1933).
Nach Ausbruch des ersten Weltkriegs wurden durch Einberufung seiner deutschen Mitarbeiter und Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen ("Kohlrübenwinter") die Forschungsarbeiten immer mehr behindert. Bjerknes folgte deshalb im August 1917 einem Ruf nach Norwegen, nachdem er zuvor Robert Wenger vom Militär frei bekommen hatte und so die Fortführung des Institutsbetriebs gesichert war.
Im norwegischen Bergen, wohin ihn auch seine beiden letzten Carnegie-Studenten, sein Sohn J. Bjerknes und H. Solberg, folgten und wo T. Bergeron sich hinzugesellte, gelangen in den nächsten Jahren entscheidende Fortschritte auf dem Weg zu einer fundierten Wettervorhersage. Vor allem das an der Küste aufgebaute dichte meteorologische Beobachtungsnetz führte zur Feststellung von Diskontinuitätslinien auf den Wetterkarten, was allmählich zur Polarfronttheorie führte. Die Zusammenarbeit mit dem Leipziger Institut (ab 1923 unter Leitung von Ludwig Weickmann) lieferte insbesondere in den 20er Jahren wesentliche Beiträge dazu. 
Die - auch persönlich - engen Beziehungen zwischen Bergen und Leipzig währten bis Ende der 30er Jahre. So hat Bjerknes Leipzig oft besucht, bspw. zur Tagung der Internationalen Aerologischen Kommission 1927 oder zur 25-Jahr-Feier des Geophysikalischen Instituts 1938. Bei dieser Gelegenheit urteilte er rückblickend: Wie unscheinbar von außen gesehen der Anteil Leipzigs an den Enderfolgen in Bergen scheinen kann, so ist dieser Anteil nicht bloß groß, sondern für den Enderfolg unentbehrlich gewesen. Der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Bjerknes' Heimatland Norwegen zwei Jahre später beendete die fruchtbare Verbindung mit Leipzig für immer.

 
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27.3.2001