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Universität Leipzig

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Aufenthalt in Adis Abeba – Eine Reise 1979 nach Äthiopien

Ein Bericht von Prof. Dr. Gerhard Asmussen, Leipzig

Zunächst etwas kurz zur politischen Situation in diesem Land. Der Kaiser Haile Selassi, ein absoluter Monarch, war 1974 – wegen einer Hungersnot – abgesetzt worden, das Land wurde unter der Leitung des Derg und unter Führung des Majors Mengistu Haile Mariam zur Volksrepublik erklärt, bekam Militärhilfe von der Sowjetunion und Kuba sowie auch Hilfe von anderen sozialistischen Staaten. In diesem Land sollte nun ein „Medical College“ aufgebaut werden. Dies sollte zunächst unter der Federführung der Universität Moskaus geschehen (auch von Prag war mal die Rede), aber schließlich war es Ostberlin, und hier schließlich Leipzig, das für diese Aufgabe ausersehen wurde. Als Ort war die alte Kaiserstadt Gondar vorgesehen, ein Kriegsgebiet also, das durch die Aktivität der „Tigre People Liberation Front“ immer mal wieder in Mitleidenschaft gezogen wurde. In den Jahren 1978/79 und später nochmals 1982/83 weilte ich deshalb als Arzt in Äthiopien zur Ausbildung von medizinischem Nachwuchs. 

Geplant war das Ganze als echte „Hilfe zur Selbsthilfe“. Wir haben Ärzte ausgebildet, wir waren nur die Ersten, und die übrigen Ausbildender folgten nach, sodass wir bis 1990 eine stattliche Zahl von Ärzten dem Land zur Verfügung stellen konnten. Dass viele danach ins Ausland gingen, Amerika, England und Italien lockten doch sehr, dass viele in der DDR blieben und eine deutsche Frau ehelichten und eine Familie gründeten (sie kamen zur Facharztausbildung hierher), dass viele nach Addis oder in die Nähe der Hauptstadt zogen, und dass in Gondar, kaum jemand der Ausgebildeten zu finden ist, liegt am mangelhaften Nationalbewusstsein der Äthiopier und an den Verlockungen des Auslands. Wir aber waren begeistert, so ganz auf sich allein gestellt für den gesamten Unterricht verantwortlich zu sein, das war schon eine Herausforderung. Wir wollten sobald wie möglich losfahren. Und noch eines kam für mich persönlich hinzu, ich fühlte mich als ein „kleiner“ Albert Schweitzer. Zwar war ich nicht kurativ tätig wie jener aber mit der Ausbildung von Medizinern beschäftigt. Leider musste ich dort feststellen, dass er in Gondar völlig unbekannt war. Von seiner Tätigkeit und vom Urwaldhospital in Lambarene war nichts bekannt, so ist er wohl in Nordamerika und in Europa bekannter als in Afrika, dem Ort seines Wirkens.

Zunächst waren aber einige Fragen zu klären. Welches ist das eingeführte Lehrbuch in der Physiologie in Addis Abeba? Wohl ein Englisches oder Amerikanisches, da ja der gesamte Unterricht in dieser Sprache erfolgen sollte. Wie ist das Praktikum in Addis organisiert? Denn dass wir ein Ableger von Addis sein würden, war uns schon nach den Vorgesprächen klar. Die Geräte für das Praktikum mussten zusammengestellt werden (hier war eine Absprache mit den Biochemikern notwendig – sie Glas, wir Werkzeug) und dann auf den Seeweg gebracht werden. Was kommt in das Vorausgepäck? Und so ergaben sich noch viele andere kleinere und größere Fragen zu unserem Aufenthalt – wie viele Filme soll man mitnehmen, wie ist die Belichtungszeit, wie ist die Batteriesituation, was haben die (Äthiopier) eigentlich für Stecker, hat man dort amerikanischen Strom (110 V, 60 Hz) oder europäischen (220 V, 50 Hz), welche Nahrungsmittel (Wurst, Käse) kann man kaufen, muss man Brot selber backen, wie ist die Unterbringung, wie ist die Verkehrssituation, darf man selber Auto fahren, usw.? 22Vieles ließ sich daheim klären, aber das Meiste erst vor Ort.

Dann wer soll fahren, nach längerer Diskussion wurde entschieden: ein Anatom, zwei Biochemiker, zwei Physiologen. Wann soll gefahren werden, zunächst entschied man sich 1 Anatom, 2 Biochemiker und einen Physiologen – ich sollte dann später nachfolgen. Der Grund: Meine Frau war schwanger, der Geburtstermin stand unmittelbar bevor, und ich hatte mir ausbedungen zu sehen, dass mit dem Kind alles in Ordnung sei, bevor ich mich auf die lange Reise begeben würde. Anfang September flogen meine Kollegen ab, ich selbst folgte Anfang Oktober. So habe ich die „Gondarrolle“ nicht miterlebt, und meine Kollegen, die nach diesem Unfall stark lädiert waren, erst später gesehen. Meine Kollegen hatten nämlich südlich von Bahir Dar einen Unfall. Unverletzt war nur der Fahrer eines „Nissan Patrol“. Der Anatom hatte viele Schnittverletzungen (war durch die Frontscheibe geflogen), der Physiologe hatte den linken Arm gebrochen, und den Biochemikern, die hinten saßen, hatten das Benzinfass (damals bekam man auf der Strecke Addis-Gondar und auch sonst im Land kein Benzin) ins Kreuz bekommen, was zu mehrfachen Abrissen der Querfortsätze der Wirbelsäule führte. Aber das wurde erst später festgestellt.

ÄthopienRas Hotel

Ich reiste also mit sehr gemischten Gefühlen in Addis an, und wohnte mit anderen Neuen im Ras Hotel. Ich war ja schließlich der einzig Gesunde der Mannschaft, die für Gondar vorgesehen war, musste aber feststellen, dass das Interesse mich dorthin zu schicken gering war. „Was wollen Sie denn in Gondar? Addis ist doch viel schöner? (Arroganz einer Hauptstadt?). Machen Sie sich ein paar schöne Stunden…“ so bekam ich immerfort zu hören. Andererseits waren die Hilferufe aus Gondar (so möglich telefonierte ich fast täglich mit meinen Kollegen) unüberhörbar. Die Botschaft konnte (oder wollte) nicht weiterhelfen. So blieb kein anderes Mittel, als täglich zur Universität in Addis zu gehen, um zu fragen, wann endlich ein Transport nach Gondar möglich wäre. Nach drei Wochen war es endlich geschafft, und ich fuhr mit einem Kollegen, er wollte nach Debre Markos, war ein Einheimischer und Geograf, nach Gondar. Das Vorausgepäck hatte ich zuvor ausgelöst – es müssen etwa 30 Stellen in einer bestimmten Reihenfolge angelaufen werden, es dauerte fast einen halben Tag und gelang nur durch einen äthiopischen „guide“, sonst dauert es zwei bis drei Tage bis man bekommt, was man vorgeschickt hat. Da lernt man die äthiopische Bürokratie kennen, denn jeder, der lesen und schreiben kann, drängt danach und bekommt auch einen Platz in einem „office“.

Das Klima ist angenehm und anders als im tropischen Afrika. Das liegt an der Höhenlage – das gesamte äthiopische Kernland liegt etwa 2000 – 3000 m über dem Meeresspiegel. Mit der Höhenlage hatte ich nur kaum Probleme, die Anzahl der roten Blutkörperchen steigt drastisch an (deshalb schickt man Ausdauersportler ins Hochland – Doping?) und damit der Blutdruck. Feststellen konnte ich nur ein erhöhtes Schlafbedürfnis, aber das gibt sich bald. Das schließt allerdings nicht aus, dass vor allem ältere Menschen Probleme mit der Höhenlage bekommen können.

Die Temperaturen sind moderat – es ist fast wie ein ständiger Sommer bei uns. Als ich ankam, war die Regenzeit gerade vorbei – es war nachmittags bewölkt und es gab gelegentlich einen kurzen Schauer – aber es war unserem Klima vergleichbar. Dann aber kommt die Trockenzeit – Dauer etwa bis Anfang Mai. In dieser Zeit ist die Wetterlage sehr stabil, man kann voraussagen wie das Wetter sein wird – sonnig und heiß. Jetzt trocknet das Land aus, die Flüsse führen zunehmend weniger Wasser, das Land wird eine Bergwüste. Die Luft ist sehr Trocken und man verliert unmerklich viel Wasser. Diese lange Trockenheit ist für Mensch und Tier schon belastend. Dann folgt die Regenzeit, aber es regnet nicht den ganzen Tag. Gegen 4 Uhr früh hört der Regen auf, um 6 Uhr geht die Sonne auf, dann ist es den ganzen Vormittag schön, gegen Mittag trübt sich das Wetter und ab 2 Uhr regnet es wie aus Kannen, so etwas hat man noch nicht gesehen! Es gibt plötzlich überall Wasser, Quellen und Bäche entstehen wo sie keiner vermutet hätte. Und um 4 Uhr (früh) hört der Regen wieder auf. Und der Regen ist warm. Mensch und Tier begrüßen die Regenzeit zunächst – aber mit der Zeit wird sie zur Plage wie die Trockenzeit. Das Land wirbt damit: „thirteen month of sunshine“ – also 13 Monate Sonnenschein – dazu muss man wissen: die Äthiopier haben einen anderen Kalender als wir – sie haben den Julianischen Kalender (12 Monate zu 30 Tagen + einen Schaltmonat mit 6 Tagen) wir den Gregorianischen Kalender (12 Monate unterschiedlicher Länge). Das hat außerdem zur Folge, dass man in Äthiopien 6 Jahre jünger wird, für Frauen von zwingendem Reiz.

Unterdessen hatte ich mir auch einen groben Überblick über die Stadt Addis Abeba verschafft und viel über diesen Moloch gelernt. Ich kannte das Zentrum der Stadt, war die Piazza rauf- und runtergegangen, kannte die einschlägigen Souveniergeschäfte, die Bürgermeisterei, die einschlägigen Botschaften und Hotels, den Mercado (ganz grob, er gilt als der größte Marktplatz der Welt), den Weg zum Flughafen usw. Besonders gut kannte ich die Universität (s.o.), die Büchereien und die Buchläden und ich war auch mal im Black Lion gewesen. Hier saß nämlich die Konkurrenz, ein Russe, der die Physiologie an der Medizin vertrat. Seine Vorlesungen habe ich nicht besucht, aber das Praktikum genauer studieren dürfen. Es war schon in Ordnung was man alles durchführen wollte, nur es stand nur größtenteils auf dem Papier, es fehlte an Ersatzteilen, und mindestens die Hälfte aller Geräte funktionierte nicht oder nur teilweise. Das war für den Anfang schon mal tröstlich, wenn ich auch über den Zustand unserer Geräte (sie hatten ja einen längeren Transport hinter sich – Diebstähle?) nichts wusste.

ÄthiopienBürgermeisterei

ÄthiopienUniversitätshauptgebäude

Einen kleinen Zwischenfall will ich noch aus Addis berichten: In der Botschaft der DDR erfuhren wir, dass jeder DDR-Bürger zur Auslandsspionage verpflichtet sei. Nun unsere Intensionen waren andere, und so machten wir die „üblichen“ Gesichter. Immerhin wurden wir aufgefordert keine militärischen Objekte zu fotografieren (oder nur heimlich?) und wenn, den Film sofort herauszugeben, sollte Militär erscheinen. Dabei ist es in vielen Fällen, nicht ganz klar, ob es sich um ein Militärobjekt handelt. Es kann sich auch nur um eine Bretterbude handeln, hinter der plötzlich ein paar Soldaten hervorspringen. So ging ich mit einer befreundeten Gynäkologin, die in Addis blieb, die Straße vor dem Hotel hügelan. In den Slums gab es viel zu schauen (und zu fotografieren) – Wäsche waschen und Essen kochen im Freien, das hatte ich noch nie gesehen. So gingen wir hügelan. Plötzlich wurden wir von Soldaten umringt, und nachdrücklich in ein parkähnliches Gelände geführt. Die Soldaten zogen sich etwas zurück – und wir waren allein und wussten nicht, was man mit uns vorhatte. Nach geraumer Zeit erschien ein Offizier, der sehr schlecht englisch sprach, und wollte den Film haben. Der Hinweis, dass der Film dann belichtet würde, nützte nichts, er zog seine „Beute“ im Sonnenlicht schwenkend von dannen, und wir waren wieder allein.

ÄthiopienKaiserpalast

Da entdeckte ich nach längerem Suchen das militärische Objekt, wir waren direkt unterhalb des Kaiserpalastes, in dem auch Mengistu Haile Mariam gelegentlich seinen Wohnsitz nahm. Wir warteten und warteten. Dann erschien ein Offizier, der sehr gut englisch sprach, und wollte wissen, weshalb ich seinem Untergebenen den Film herausgegeben hätte, denn so könnte nun keiner sehen, was auf dem Film gewesen wäre. Mein Hinweis, dass ich das schon früher gesagt hätte, fruchtete nicht. Dann wollte er die Pässe sehen – als er die blauen Pässe in den Händen hielt, ging ein Leuchten über sein Gesicht, wir wären ja „comrades“ und die bösen Imperialisten wollten nur die Revolution stören, usw. Nach 4 Stunden waren wir wieder frei. Noch voll Zorn fotografierte ich vom gegenüber liegenden Hügel den Kaiserpalast.

ÄthiopienPalme im Teffeld

Einige kurze Bemerkungen noch zum typischen äthiopischen Essen, dem „national food“. Grundlage ist das „teff“ (Eragorstis Abyssinica), also ein Endemit, der nur im Hochland von Äthiopien vorkommt. Er dient als „Brotgetreide“, man kann aber auch Gerste benutzen (macht man vorwiegend in der ärmeren Bevölkerung). Hergestellt wird das „injera“, als Naturhefe dient „gescho“. Gebacken wird auf großen Blechen und auf offenem Feuer. Anschließend legt man es in die Sonne. Da der Fladen nur einseitig gebacken wurde, gärt die Hefe weiter, das ganze wird immer dicker und saurer. Es sieht je nach Reifungsgrad weiß bis grau aus. Wir haben gesagt: „Injera sieht aus und schmeckt wie ein Schwammtuch mit dem man einen Essigtisch abgewischt hat“. Ich mag es sehr, allerdings nicht zu sauer – das ganze wird in handlichen Rollen serviert. Gegessen wird mit der Hand. Dazu gibt es eine extrem scharfe Soße („wot“) mit Ziege, Scharf oder Rind darin. In besonderen Fällen wird es mit Huhn und Eiern angerichtet das „doro wot“ genannt wird. Das „berberi“, die Grundlage dieser scharfen Soße, besteht aus mehr als 20 verschiedenen Zutaten, man kann es kaufen, aber jede Hausfrau hat ihr eigenes Rezept auf das sie schwört. Noch ein Wort zum „wot“. Wir haben immer gesagt: „wot tut zweimal weh, wenn es den Körper betritt, und wenn es ihn wieder verlässt“. Das ist natürlich nicht die ganze äthiopische Küche, aber das Rückgrat. Dazu trinkt man ein „local beer“, Tella genannt, das aus Gerste gemacht wird (ich mag es nicht zu sehr), oder Tetch einen Honigwein – sehr erfrischend aber gefährlich (wegen der Kopfschmerzen) oder einfach Wasser (wird in der Trockenzeit zum Problem).



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