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Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

Arbeitsgruppe Zeitzeugen
der Seniorenakademie

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Eindrücke von Gondar – einst und jetzt

Ein Bericht von Prof. Dr. Gerhard Asmussen, Leipzig

Eigentlich hatten wir Glück – wir waren zu fünft in einer Stadt, die historisch gewachsen war. Sie war lange Zeit die Hauptstadt des Landes, in das es uns verschlagen hatte und das es nun zu erkunden galt. Die Botschaft der DDR war weit weg – eine Kommunikation mit ihr oft unmöglich „the linie  is broken.

Das hatte aber auch Vorteile, wir z. B. brauchten kein regelmäßiges, marxistisches Kolloquium abzuhalten. Einmal jedoch traf es uns. Wir hatten Besuch plötzlich aus der Botschaft bekommen und es lag nahe, so zu tun, als ob das marxistische Kolloquium bei uns regelmäßig sei. Im Verlauf der Diskussion stellte ich dann die Frage, welche Einstellung die DDR zur Eritreafrage denn nun einnehme. Denn soweit ich wisse, hätte Äthiopien Eritrea nur als Mandat erhalten (d. h. nur Außen- und Verteidigungspolitik) – diesen Zustand hat der Kaiser Haile Selassie mit Waffengewalt beendet. Antrag der Sowjetunion, Äthiopien, als Aggressor zu verurteilen – gescheitert am Veto der USA. Dann die Revolution und die Herstellung der alten Mandatsverhältnisse.

 

Asmussen Kusquamkloster

 

Asmussen Kusquamkloster

 

Dann aber hob die sozialistische Regierung den Vertrag  wieder auf – Antrag  der USA, Äthiopien als Aggressor zu verurteilen – gescheitert am Veto der Sowjetunion. Ich bekam auf meine Frage die sybillinische Antwort: Alles was im Dienst der Sowjetunion getan wird, ist gut!

Die Studenten waren nett und aufgeschlossen, ich habe selten so wissensdurstige Studenten erlebt. Und für diese Studenten war – 1978 – nun der ärztliche Unterricht zu organisieren. Dabei kamen wir alle von der gleichen Universität, wir sprachen miteinander und stimmten uns ab, im Unterricht gab es wenige (meist begründete) Überschneidungen, man näherte sich eher dem Gegenstand von verschiedenen Seiten. Keiner von uns hatte die Absicht, sich vor den Anderen als besonders wichtig, oder gar als „Boss“ darzustellen. Wir waren primus inter pares. Natürlich war es Kriegsgebiet, man konnte nicht überall hin, aber das war ja nicht unsere Aufgabe.  Und  wir waren auch „very important persons“, deren Leben man nicht einfach aufs Spiel setzte, an vielen Stellen bin ich sicher, dass die Äthiopier keinen Ärger mit uns haben wollten.

 

Asmussen Kusquamkloster

 

Das Kloster ist direkt beim Krankenhaus gelegen, man braucht also nur vom Krankenhaus hügelan zu gehen, vorbei an der neuerbauten Tee- und Kaffeestube der Studenten, immer weiter bergauf, der Berg ist steil. Nach etwa 1 km hat man es geschafft. Das Kloster ist jetzt eine Ruine, macht aber immer noch einen imposanten Eindruck, hier findet man noch den alten Baumbestand.
Überall dort, wo Kirchengelände ist, findet man die alten Bäume – überwiegend tid (Juniperus abyssinicus) – sonst sind sie als Brennmaterial weitgehend abgeholzt, und durch Eukalyptusbäume ersetzt worden. Die Einstellung zum Eukalyptus ist verschieden, zum einen wächst er sehr schnell, und man kann die langen Stangen als Gerüst für den Hausbau gut verwenden, andererseits ist er ein „Wasserfresser“. In seiner Heimat, in Australien, verwendet man Ihn, um Sümpfe trocken zu legen. Und über ein Zuviel an Wasser kann sich Äthiopien nicht beschweren. In den Bäumen befinden sich die Stöcke wilder Bienen – es handelt sich um zigarrenähnliche Gebilde die mit Gras gefüllt sind, und von den Bienen bezogen werden. Am besten macht man daraus ein berauschendes Getränk – Tetch. Honig musste zur Kaiserzeit abgegeben werden, denn er galt als königliches Eigentum. Ob es ein neues Privileg gab, entzieht sich meiner Kenntnis – aber man konnte Tetch überall kaufen. Hier bin ich oft und gern spazieren gegangen, es war ein schöner Ort, um seine Vorlesungen vorzubereiten, oder auch nur, um seinen Gedanken nach zu hängen.
Noch eines muss ich hier beschreiben – ich war mal wieder zum Kusquam unterwegs, da begegnete mir eine Frau mit ihrem Kind – ich war gerade soweit, um Tenasteling zu sagen (die amharische Grußformel) als das Kind in die Hocke ging und einen großen Haufen produzierte. Völlig ungerührt ergriff die Frau einen herumliegenden Stein, wischte das Kind damit hinten ab, und schmiss den Stein fort – kein Papier oder Gras, sondern ein Stein, darauf muss man erstmal kommen, und es sollte uns zu auch denken geben.
Gegenüber vom Krankenhaus lag eine kleine Siedlung. Die nächste Wasserstelle ist weit weg. Rechts und links ist der Straßengraben. Dort hockten oft die Halbwüchsigen und auch die Männer und kackten. Man kann sie gut verstehen, ist nicht so langweilig, man kann sich dabei was erzählen und überhaupt ist auf der Straße was los. So weit – so gut. Aber es gibt ja noch die Regenzeit, mit ihren schrecklichen Güssen, dann wird aus dem harmlosen Straßengraben ein Bach, und die Frauen, die ja für das Wasser zuständig sind, zeigen nur wenig Neigung weiter, als unbedingt nötig zu laufen. So füllen sie dann ihre Behälter mit der stinkenden Brühe. Und statistisch: „ Jeder in Gondar hat mindestens einen Parasiten!“
Direkt neben dem Krankenhaus verläuft ein kleiner Hohlweg bergab, der auf eine Straße unterhalb des Krankenhauses mündet. Hier war mal der Friedhof des Hospitals und wurde wohl schon länger nicht benutzt. Beim Betreten des Friedhofs findet man besonders viele italienische Namen. Das ist auch nicht verwunderlich, denn Gondar war die letzte Station, die die Italiener im zweiten Weltkrieg hielten. Es sind wohl viele im Krankenhaus gestorben. Immerhin scheint die Grabpflege zwischen Italien und Äthiopien gut zu funktionieren, denn manche Gräber machten einen gepflegten Eindruck.
2008 waren wir erneut in Gondar – wir, das heißt, diejenigen die 1982/83 mit dabei waren (also fast alle Kliniker) hatten einen Stammtisch gegründet. Dabei tauchte die Idee auf, nach 25 Jahren nochmals an den Ort unserer Wirkung zurückzukehren, und sei es nur, um die Spuren unseres Aufenthaltes zu ergründen. Und so reisten wir dann nach Äthiopien – besuchten Addis Abeba, flogen nach Bahir Dar (wie es bei meinem zweiten Aufenthalt üblich war), stiegen in ein Auto, fuhren nach Gondar (dort blieben wir zwei Tage), und fuhren dann über Axum (keiner von uns war je dort gewesen – Kriegswirren) weiter nach Lalibela. Anschließend unternahmen wir noch eine Reise durch Südäthiopien, das von uns keiner kannte.

 

Asmussen Aufgestaute Angareb

 

Schon in Addis war mir aufgefallen, dass der Drang in die Weite weggefallen und durch einen Drang in die Höhe ersetzt wurde. Man baut nun mehrstöckig und nicht mehr eingeschossig, wie schon zu Kaisers Zeiten. Die bei uns üblichen Baugerüste werden durch Eukalyptusstangen ersetzt, Bretter dazwischen sind wohl Mangelware, man sieht sie nur gelegentlich. Man wundert sich, dass so wenige Unfälle passieren (oder vielleicht haben wir sie nicht mitbekommen) und überhaupt scheint es mit dem Arbeitsschutz unverändert zu sein. Dieser Eindruck verstärkt sich noch in Bahir Dar, dass ja mit der Universität in Gondar eine Gemeinschaft darstellt – viele Neubauten, meist mehrgeschossig. Dabei hätte man in der Ebene noch viel Platz.

 

Asmussen Tokuls am Kusquamkloster

 

Asmussen Neubau

 

Früher war mal das Ghion in Bahir Dar die erste Adresse – aber das ist es schon lange nicht mehr – wir haben dort übernachtet. Es ist zu einer Absteige dritter Ordnung herabgesunken. Den Garten rechts hat man verkauft – links hat sich die Hafenbehörde breitgemacht – der Zugang zum Tanasee ist auf wenige Meter beschränkt. Auch intern ist  vieles nicht in Ordnung – die Beleuchtung ist schummrig (man hat überall nur 25 Watt Birnen), die Spiegelkonsole ist dermaßen schief, dass man kein Zahnputzglas zum Halten bekäme, weshalb man auch keines hat, die Dusche funktioniert nicht, das Essen ist kalt, usw. usf. – Und dabei hatte ich so von diesem Hotel geschwärmt. Vielleicht waren wir auch damals etwas weniger verwöhnt. Man hat den Eindruck, es wird weniger gebaut um es zu erhalten, sondern um es zu benutzen, und es bei Bedarf neu zu bauen.

 

Asmussen Krankenzimmer

 

Asmussen Wäsche am Krankenhaus

 

Weniger gravierend sind die Verhältnisse auf dem flachen Land, zwar hat man zwischen Bahir Dar und Gondar eine Straße gebaut (sie wurde von den Chinesen gebaut und ist in ihrem Verlauf fast identisch mit mit der alten rough road – die von Gondar weiter nach Aksum führt, und im ursprünglichen Zustand belassen wurde). Wasser gibt es nur der Jahreszeit entsprechend (und natürlich sind es die Frauen, die für das Schleppen des Wassers zuständig sind) und Elektrizität gibt es nur in der Nähe großer Stadte – also selten oder gar nicht.
So kamen wir dann in Gondar an und bezogen im Goha (einem Hotel erster Kategorie) unser Quartieir. Vorbei die Zeit, als noch das Schloss der Kaisers Fasilidas das höchste Gebäude war, überall (besonders auf dem campus der Universität) fanden wir mehrstöckige Gebäude. Die Angereb wurde aufgestaut. Zwar haben wir das Bauwerk nicht besichtigt, aber man sieht den Stausee vom Gohahotel aus. Sollte das nicht die Elektrizitätsprobleme der Stadt ein wenig mildern?

 

Asmussen Universitätsneubau

 

Asmussen Mensa

 

Man hat manchmal den Eindruck, als wäre man nie fortgewesen, die Hauptpost steht noch da, es gibt einen Merkado, der Gemp steht immer noch und lädt zu einem Besuch ein (was wir auch getan haben), Fasilidas Bad ebenso und es gibt auch noch das Denkmal des Pferdes und das Kusquamkoster – allerdings ist es jetzt besiedelt. Unmittelbar neben dem Kloster findet man eine Reihe von Tokuls, in denen Laienprediger wohnen. Die Kirchen sind alle noch an ihrem Platz (besonders die Kirche Debre Berhan Selassi.  Auf der anderen Seite sind die Veränderungen in der Stadt nicht zu übersehen. Gondar hat weitgehend seinen kleinstädtischen Charakter eingebüßt, die Bevölkerung ist auf 150 000 gestiegen – obwohl das keiner so genau weiß, da es kein Meldesystem gibt. Am deutlichsten wird das eben gesagte, wenn man das Krankenhaus und die neue Universität aufsucht, auf die man mit Recht stolz ist.

Das Krankenhaus und vor allem „Science Amba“ (ein englisch-äthiopisches Wort – heißt etwa „Berg der Wissenschaft“) ist durch viele Neubauten geprägt – das Alte hat man erhalten, und Neues dazugesetzt, und ihm eine neue Aufgabe gegeben. Man hat beispielsweise neue Hörsäle gebaut, die alten aber belassen. Somit ist ein organisches Ganzes entstanden. Manchmal ist einem traurig zumute, wenn anstelle von dem Platz, auf dem wir mit den Studenten Volleyball spielten, ein mehrstöckiges Gebäude steht, oder wenn unser Haus, in dem ich sehr glücklich war, zur Müllhalde herabgesunken ist. Aber auch im Krankenhaus ist (obwohl wir es gelehrt hatten) vieles einfach stecken geblieben – so wird mit einem Kranken immer noch die Familie mit aufgenommen, eine Behandlung durch Diät ist deshalb kaum durch zu führen.

Wir hatten die Studenten mehrfach ermahnt, die Regeln der Hygiene zu beherzigen. Insbesondere ging es dabei um die Sauberkeit des Arztes gegenüber seinen Patienten, und um die generelle Sauberkeit. Dazu gehört auch das feuchte (möglichst mit einem Desinfektionsmittel) Wischen des Fußbodens, der Betten und alles was der Patient anfasst. So kann man viel an Antibiotika einsparen – aber es sieht wohl so aus, dass in einem äthiopischen Krankenhaus mehr gefegt (das wirbelt die Keime erst so richtig auf) als gewischt wird.  So sieht man denn in den Ecken des Krankenhauses den zusammengefegten Dreck liegen. Sonst hat sich manches getan, so hat sich beispielweise die Infusionstechnik stark verbessert. Ob sich damit auch die Transfusionstechnik verbessert hat, kann ich nicht beurteilen, ich habe nie eine Blutübertragung gesehen.

Dann sind wir noch etwas weiter (in Richtung Flughafen) gefahren, und haben die neue Universität besichtigt. Man hat sich nun endlich zu einer bundesstaatlichen Regelung entschlossen, die unter dem vorigen Regime ausgeschlossen war – Gondar und Bahir Dar liegen in der Region „Amhara“ und stellen gemeinsam eine Universität dar. Das Kernstück ist das von uns gegründete College of Medicine and Health Sciences. Dazu hat man im Laufe der Zeit fünf Fakultäten und drei Schulen gegründet – Faculty of Agriculture, Faculty of Business and Sciences, Faculty of Natural and Computational Science, Faculty of Social Science and Humanities, Faculty of Veterinary Medicine, School of Education, School of Law, School of Technology. Wir trafen den Rektor der Universität, der uns die gesamte Anlage und die Mensa erklärte. Er fügte stolz hinzu das das alles unter dem Einfluss der University of Lancester stehe. Es ist alles sehr hübsch gedacht – sie können mit Fug und Recht stolz auf die gesamte Anlage sein – aber ob alle „Blütenträume“ reifen, mag die Zeit zeigen.


Juni 2014

 



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