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Über die Konsumgüterproduktion in der DDR

Ein Bericht von Dr. Klaus-Dieter Schmidt, Leipzig

Da in der DDR die Kaufkraft der Bevölkerung stärker gewachsen war als die Warendecke, standen die Partei und die Regierung vor dem Problem, diese Kaufkraft abzuschöpfen. Die Konsumgüter produzierenden Kombinate und Einrichtungen waren nicht annähernd in der Lage, den in den 70er Jahren gestiegenen Bedarf zu decken. PKWs, die sicher viel zur Abschöpfung der Kaufkraft beigetragen hätten, gab es nicht in der erforderlichen Menge, Reisen wurden selbst durch die mangelhafte Bereitstellung der SW-Valuten (*) behindert, und die konsumgüterproduzierenden Kombinate lieferten ihre Produkte zu Dumpingpreisen mit einer Devisenrentabilität teilweise < 0,1 in das NSW (*). Es wurde daher verfügt, dass jeder Betrieb 5% seiner Produktion als Fertigerzeugnisse für die Bevölkerung zu produzieren hatte. Zulieferungen für die Konsumgüterbetriebe zählten dabei aber nicht. Hinzu kam, dass viele erst private und später halbstaatliche Betriebe nach der Umwandlung in VEB-Betriebe für industrielle Produkte umprofiliert wurden. Damit fehlten auf einmal aus dem Bereich der „tausend Dinge“ ganze Warensortimente. Zwischen den Ministerien kursierten Listen mit Konsumgütern, für die es keinen Produzenten mehr gab. Ich habe eine dieser Liste einmal zu Gesicht bekommen, und da standen neben vielen anderem auch Mausefallen und Holzwäscheklammern.

Nun setzte eine allgemeine Suche nach einer Konsumgüterproduktion ein. Die Betriebe fragten nun bei den konsumgüterproduzierenden Kombinaten an, welche Produktion sie übernehmen könnten. Das ganze Problem wurde noch dadurch erschwert, dass die Betriebe, die ein Konsumgut übernahmen, wenn überhaupt eine Entwicklung, keine Entwicklungsabteilung für das Konsumgüterprodukt oder die Produktgruppe hatten.

Die Lautsprecherboxen, die der VEB Elektroakustik Leipzig, in dem ich damals Entwicklungsleiter war, entwickelte, wurden fast ausschließlich in anderen Betrieben produziert. So produzierten das Funkwerk Kölleda, das Fernmeldewerk Arnstadt und Statron Fürstenwalde Lautsprecherboxen. Aber auch der Schwermaschinenbaubetrieb in Wildau hatte eine Boxenproduktion aufgebaut. Solche Konsumgüterproduktionen waren natürlich keiner normalen Innovation unterworfen. Ich weiß noch, dass wir von den Betrieben ständig mit Entwicklungsforderungen überhäuft wurden, die Elektroakustik nicht erfüllen konnte.

Nachfolgend sollen einige Blüten der Konsumgüterproduktion im Kombinat Nachrichtenelektronik (KNE) erzählt werden, die ich selbst noch in meiner Kombinatszeit erlebt habe:

  1. Fernmeldewerk Neustadt/Glewe (FNG) war im KNE der spezialisierte Betrieb für Koordinatenschalter und Relais für die Vermittlungstechnik. Beides waren mechanisch hochkomplizierte Produkte. FNG produzierte Lampenschirme, Schirme bestehend aus einem Drahtgestell und einem Stoffüberzug. Offensichtlich war ein Bedarf vorhanden, den das Kombinat Leuchtenbau nicht decken konnte, die Schirme fanden reißenden Absatz.
  2. Fernmeldewerk Nordhausen (FMN) produzierte alle Telefonapparate in der DDR. Im Rahmen der Konsumgüterproduktion wurde mit großem Aufwand eine Reihe von Nostalgietelefonen entwickelt. Diese sehr teueren Telefone konnte man in den Exquisitläden kaufen. Außerdem wurden sie von Genex (**) in den Intershopläden für harte Devisen vertrieben. Dort wurden sie dem FMN sogar als NSW-Export angerechnet. Das Gleiche passierte mit sog. Komforttelefonen, die im Vergleich zu heute einige bescheidene zusätzliche Funktionen realisierten.
    Der Witz bei der ganzen Sache war, dass der Kunde, der so ein Telefon für viel Geld erworben hatte, dies nach den Bestimmungen der Deutschen Post gar nicht einsetzen durfte, da das Endgerät, also der Telefonapparat generell Eigentum der Deutschen Post war und nicht ausgetauscht werden durfte. Natürlich hat sich niemand daran gehalten, aber der Absatz der Telefone soll auch nicht so berauschend gewesen sein.
  3. Messelektronik Berlin (MEB) suchte nach einem elektronischen Konsumgut. Die Idee, einen Digitaltuner zu entwickeln, wurde 1985 in der Kombinatsleitung untersucht. Dabei kam heraus, dass der Tuner bei der vorhandenen Bauelementebasis und dem niedrigen Integrationsgrad so teuer werden würde, dass selbst die bei Preisen hochwertiger Konsumgüter nicht kleinliche DDR zurückschrecken würde. Er sollte nämlich 17000 Mark kosten. Stattdessen wurden dann von einem Elektronikbetrieb kodierte PKW-Radmuttern produziert.
  4. Das Funkwerk Köpenick (FWB) produzierte in einem kleinen Betriebsteil an der Westgrenze in Dömitz eine IR-Fernbedienung für Fernsehgeräte. Nicht etwa, dass diese Bedienung im Fernsehgerätewerk Staßfurt, wo sie hingehört hätte, in der Produktion lief, hatte das Kombinat Rundfunk und Fernsehen es geschafft, diese Produktion einem anderen Kombinat anzudrehen. Da in Dömitz wegen Grenznähe sämtliche Erweiterungsmöglichkeiten fehlten, und der Bedarf dieser teueren Einrichtung gestiegen war, kam die Weisung vom Generaldirektor, die Fernbedienung im Nachrichtenelektronik Leipzig parallel zu produzieren. Da viele Probleme entwicklungs-und materialseitig nicht fertig geklärt waren, haben wir die Parallelproduktion mit tausend Gründen hintertrieben, sodass wir schließlich davon verschont blieben. Ergebnis: Der ungedeckte Bedarf blieb bis zur Wende bestehen.

Das eigentliche Anliegen, die Bevölkerung besser mit Konsumgütern zu versorgen, wurde nicht erreicht.

 


(*) SW ist die Abkürzung für Sozialistisches Wirtschaftsgebiet, NSW ist die Abkürzung für Nicht-Sozialistisches Wirtschaftsgebiet

 

(**) Genex,    Die Geschenkdienst- und Kleinexporte GmbH (kurz Genex; später nur noch Genex Geschenkdienst GmbH) war ein am 20. Dezember 1956 von der DDR-Regierung gegründetes Unternehmen. Es war eine der wichtigsten Devisenquellen der Kommerziellen Koordinierung, einer Abteilung des Ministeriums für Außenhandel der DDR. Hauptsitz war in Ost-Berlin, Mauerstraße 86/88.


 



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