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Taktil-haptische Wahrnehmungsstörungen bei Anorexia nervosa

Ausgehend von der Annahme, dass sich Veränderungen des Körperschemas bei Anorexia-Patienten auch in elementar perzeptiv-kognitiven Anforderungen zeigen sollten, wählten wir als Untersuchungsparadigma haptische Anforderungen. Im Gegensatz zur taktilen Reizverarbeitung (passiv) ist die haptische Reizverarbeitung (aktiv) mit einem erheblichen Umfang an multisensorischen Integrationsleistungen verbunden. Entsprechende sensorische Integrationsleistungen erfordern u. a. ein adäquates processing des rechten Parietallappens. Folgende Hypothese wurden überprüft:

H: Im Vergleich zu gesunden Kontrollen zeigen anorektische Patienten zu Beginn der Therapie als auch nach stabiler Gewichtszunahme (Kontrolluntersuchung 1 Monat nach Entlassung) ein deutliches Defizit während haptischer Reizverarbeitung. Im Rahmen der Untersuchung (1995-1998) wurden 22 Anorexia-Patientinnen (age: 16;20) mit einem selbst entwickelten haptischen Testmaterial untersucht (Kontrollen n=24, mean age 16;0).

Bisher konnten 11 Patientinnen nach Entlassung und stabilem Körpergewicht wiederholt untersucht werden. Während der haptischen Testanforderungen und während einer Ruhephase wurde von allen Probanden ein 19kanaliges EEG abgeleitet (gegen verbundene Ohrreferenz) und spektrale EEG-Parameter analysiert (Ergebnisse hierzu siehe zweiter Abschnitt).

Der Vergleich zwischen Kontroll- und Patientengruppe (t0-Vergleich) bestätigte die Hypothese, dass Anoexia-Patienten ein deutliches Verarbeitungsdefizit für haptische Reize aufzeigen. Es kann angenommen werden, dass hierfür multisensorische Integrationsstörungen - auf kortikaler Ebene - verantwortlich sind. Eine Beziehung zwischen den Testleistungen und dem allgemeinen perzeptiv-kognitiven Niveau (IQ) konnte nicht festgestellt werden.

Der Vergleich der Patientengruppe vor und nach der Therapie bzw. nach sig. Gewichtszunahme (t0-t1-Vergleich) zeigte, dass das beobachtete Defizit auch nach Gewichtszunahme zu beobachten ist. Aufgrund der geringen Stichprobe kann mit entsprechender Vorsicht davon ausgegangen werden, dass die beobachteten Defizite im Bereich der multisensorischen Integration bei AN-Patienten unabhängig von der Gewichtszunahme auftreten. Im Kontext neuropsychologischer Studien zum parietalen Kortex kann vermutet werden, dass diese Defizite infolge einer funktionellen Störung des rechten Parietallappens auftreten. Diese Interpretation wird insbesondere durch die EEG-Daten dieser Untersuchung gestützt.