I. Eingang.
Die allgemeinsten Grundbegriffe, Prinzipien und Methoden der Mathematik und Naturwissenschaften fallen unstreitig mit in das Gebiet der Philosophie, wenn auch an eine andere Stelle und mit anderem Gewicht dort als hier, indem das Höchste und Letzte für jene nur etwas Untergeordnetes und Abgeleitetes für diese ist. Falls nun die Philosophie eine Ableitung dieser Fundamente der exakten Wissenschaften auf regressivem Wege aus diesen selbst verschmäht, vielmehr es zu ihren Aufgaben rechnet, aus allgemeinem Gesichtspunkte Fundamente von oben dafür zu legen oder die gerade herrschenden zu kontrollieren und zu meistern, werden die exakten Wissenschaften beanspruchen dürfen, dass ihnen diese Fundamente, wenn nicht schon in fruchtbarer Anwendung, aber mit der Möglichkeit dazu von der Philosophie übergeben, mindestens gelassen werden, und die Methoden der letzteren, das Wahre zu finden, nicht in Widerspruch treten noch zusammenhanglos bleiben mit denen, welche ihnen gestatten, das Wirkliche zu finden. Jede Erweiterung oder Verbesserung oder Erleichterung oder Vertiefung oder auch nur höhere Anknüpfung und Begründung von Methoden aber, die diesen Sinn haben, wird mit Dank von ihnen anzunehmen sein. Umgekehrt darf die Philosophie fordern, dass die Methoden und Schlüsse der exakten Wissenschaft nicht höheren ideellen und praktischen Interessen widerstreiten. Über diese allgemeinen Grundsätze dürfte an sich kein ernsthafter Streit bestehen, sondern nur über ihre Anwendung.
Um eine solche aber handelt es sich bei dem Streit zwischen der dynamischen und atomistischen Ansicht von der Grundkonstitution der Körper. Der Physiker behauptet, die atomistische Ansicht für seine Zwecke zu brauchen, der gegnerische Philosoph verweigert ihm die Anerkenntnis dieser Notwendigkeit, und behauptet seinerseits die Unmöglichkeit, höhere allgemeinere Interessen mit der atomistischen Ansicht zu befriedigen. Was nun das Letzte anlangt, so ist es unstreitig dem Physiker nicht zu verargen, wenn er bei dem Streit der philosophischen Systeme, unter welchen manche durch Monaden und einfache reale Wesen dem Atomismus sogar auf geistigem Gebiete oder hinter den Vorhängen der Welt nahe genug kommen, sich auf letztere Behauptung nicht allein verläßt, sondern bei der ihm einleuchtenden Notwendigkeit des Gebrauches mindestens auf physischem Gebiete so lange beharrt, bis ihm der Gebrauch wirklich philosophischerseits entbehrlich gemacht worden ist, bis dahin aber auch in einer Ansicht, die ihn als Bindeglied von Realitäten zu Realitäten besser als jede andere führt, weniger als in jeder anderen ein leeres Ideenspiel zu sehen geneigt ist. Er möchte sonst so töricht zu nennen sein, wie der Hund der Fabel, der bei der Frage, ob das ideale Schatten- oder Spiegelbild im Flusse oder das feste Stück, was er im Munde hält, das wahre Fleisch, sich nicht an das halten wollte, was er eben hält und von dem er weiß, dass es ihn wirklich nährt.
Es ist die Absicht des Folgenden, aus diesem Gesichtspunkte etwas näher darzulegen, was denn den Physiker nach dem jetzigen Standpunkte seiner Wissenschaft an die atomistische Ansicht teils bindet, teils abgesehen von den bindenden Gesichtspunkten sie ihm und, wie mich dünkt, Jedem, der nicht mit festen Voraussetzungen dem Zusammenhange und Kerne der Dinge nachspürt, annehmlich machen kann. Für die heutige Philosophie freilich ist, war jedenfalls noch vor Kurzem, die negative Ansicht, dass keine Atome seien, selbst die festeste Voraussetzung, so zu sagen der Hohlraum, um den sich ihre sonst nach allen Seiten divergierenden Wandungen noch zum Gewölbe einträchtig zusammenschlossen. Wer aber gesteht nicht, dass die heutige Philosophie am Abend ist und ein Morgen und einen Morgen verlangt; nun kann die Hoffnung nicht in dem liegen, was sie hat, sondern was sie verwirft. Sie verwirft aber mit so Manchem, woran ich Hoffnung knüpfen möchte, in der Atomistik etwas, was, wie ich zu zeigen denke, zum wesentlichen materialen und formalen Gefüge eben derjenigen Wissenschaft gehört, die heutzutage vor allen ihre Lebenskraft durch ihre Tatkraft, ihre Frische durch ihren Fortschritt, ihre Zukunft durch ihren wachsenden Erfolg beweist. Und so sehr ins Rohe und Grobe auch ihr atomistisch Wesen den hoch potenzierten Einheitsprinzipien der herrschenden Philosophie gegenüber erst entwickelt sein mag, so dürfte es damit sein wie mit dem tatkräftigen Germanentum, das, lange zurückgedämmt, doch endlich mit seinen rohen Horden in die alternde Weltherrschaft Roms einbrach, sie zerstörte, verjüngte, sich selbst aber damit zu höherer und allgemeinerer Bildung erhob.
Gewiß ist die jetzige Auffassung und Behandlung der Atomistik durch die Naturwissenschaft, die ganze Entwickelung derselben, in vieler Beziehung erst eine rohe, doch scheint mir die jetzige Abweisung derselben durch die Philosophie und deren ganze Stellung zur Natur in jeder Beziehung noch roher. Denn sie steigt in die Natur von oben herab, wie der Bär in einen Bienenbau. Den zusammenhängenden Honig lobt er; dass aber die einzelnen kleinen Wesen ihn zusammengetragen und ein Recht daran haben, liegt ihm ferne, und indem er ihn mit einheitlichem Griffe faßt, meint er, das sei seine Zubereitung. Gegen die Bienen aber wütet er grimmig und wirft den ganzen Bau um. Wogegen sich die atomistische Naturwissenschaft wie der Zeidler verhält, der wohl weiß, der ganze einheitliche Bau ist ein Werk unzähliger Einzelnen unter der Herrschaft eines still führenden Gesetzes, der sie hegt, ihren Flug verfolgt, ihr Weben und ihre Waben zum Gegenstande seiner steten und aufmerksamen Betrachtung und Beobachtung macht. Nun wohlan, weder der Bär noch der Zeidler wird den Anderen zu seiner Behandlungsweise des Bienenvolks und Stocks bekehren, es gilt vielmehr einen Kampf auf Tod und Leben; und also meine ich auch nicht, mit Folgendem die jetzt herrschende Philosophie zur Pflege der Atomistik bekehren zu können; doch eben weil es den Kampf gilt, weil sich Naturwissenschaft und Naturphilosophie zu keiner Zeit gleichgültig gegeneinander verhalten können, sondern befehden müssen, wenn nicht befreunden können, dürfte es doch auch für den Philosophen nicht ohne Interesse sein, die Hauptgründe des atomistischen Standpunktes etwas genauer dargestellt zu finden, als es gemeinhin zu geschehen pflegt; denn um sie zu bestreiten oder nur zu beurteilen, gilt es jedenfalls erst, sie zu kennen. Ignorieren oder durch Schelten beseitigen läßt sich die Atomistik einmal nicht mehr. Sie ist eine faktische Macht geworden. Nun liegen zwar die allgemeinsten Gründe des Physikers für die Atomistik offen vor, doch gerade nicht die schärfsten. Gegen jene stehen leicht wieder Allgemeinheiten zu Gebote; diese dagegen fordern ihrerseits ein scharfes Eingehen heraus; obschon sie vielleicht nur dieselben Allgemeinheiten als Entgegnung finden werden, mit denen schon jenen begegnet wird.
Auch sieht wohl Mancher dem Streite zu, der außerhalb desselben steht, und möchte sich doch ein Urteil über die Sachlage desselben bilden, die den ganzen Zusammenhang der Wissenschaft berührt, indem sie den Grundzusammenhang der Dinge betrifft. Oder vielmehr er hat es schon gebildet; aber woher? doch wohl nur nach den Darstellungen der Philosophen, welche die Atomistik abhandeln, als wäre sie heute noch die Atomistik des Leucipp, Demokrit und Epicur, oder auch abfertigen, ohne sie abzuhandeln, verketzern, ohne sie zu kennen und zu hören, als sei sie vielmehr eine Sache der Antiphilosophie als Philosophie; und freilich ist sie es, obwohl nur der heutigen Philosophie gegenüber. Wogegen die Physiker es sich von jeher viel mehr haben angelegen sein lassen, die Atomistik auszubeuten und auszuarbeiten, als vor der Menge auszubreiten und gegen Angriffe der Philosophen zu verteidigen, die ihnen doch im Grunde wenig auf sich zu haben schienen, da die philosophisch vernichtete Atomistik inzwischen ihre physikalischen Früchte zu tragen fortfuhr, und es selbstverständlich schien, dass ein Baum, der Früchte trägt, auch Wurzeln hat. So viel zugänglicher aber sind die philosophischen Verketzerungen dem großen Publikum gewesen, als die physikalischen Nutzungen, dass sich ein fast allgemeines Vorurteil gegen die Atomistik erhoben hat; ja dass Atomist und Atheist zu sein nun Vielen fast dasselbe scheint.
Und so kann das Folgende auch vielleicht etwas beitragen, das allgemeine Urteil über die Atomistik in eine richtigere Bahn zu lenken, indem dadurch statt der Grundlagen, von denen aus die Gegner sie darstellen, nur um sie zu verwerfen, die Grundlagen, auf denen sie fest steht, zum Vorschein gebracht werden. Das sind die Grundlagen der Natur oder, was dasselbe ist, einer erfolgreich fortschreitenden und durch ihre Leistungen bewährten Naturwissenschaft. Eine ausführliche Darstellung der Atomistik selbst zwar wird man hier nicht finden, wohl aber der wichtigsten Punkte, welche bei ihrer Beurteilung für Den maßgebend sein können und sein müssen, welcher die Herrschaft der Begriffe nicht weiter reichen läßt, als sich das Faktische ihr fügt.
Eine kurze Zusammenstellung dessen, was man als die Hauptsumme der physikalischen Atomistik nach den vorzüglichsten Vertretern derselben halten darf, und was hier stets gemeint ist, wenn ich von Atomistik spreche, ist im 12. Kapitel gegeben; zunächst jedoch kommt es nur darauf an, das Haupt- und Grundmoment derselben, die Diskontinuität der Materie, überhaupt ins Auge zu fassen. Mit ihr hängen alle übrigen Punkte solidarisch aufs genaueste zusammen.
Wir werden, kurz gesagt, zu zeigen suchen, dass die Atomistik richtig ist, weil sie für die Wissenschaft des Faktischen notwendig ist, und nur das faktisch Richtige kann für die Wissenschaft des Faktischen notwendig sein; wir werden als ein Übriges zu zeigen suchen, dass die atomistische Ansicht der Dinge auch erbaulicher und schöner ist, als die dynamische, wenn man nur aufhört, sie in dem verzerrenden Spiegel zu betrachten, in dem der Philosoph ihr Bild uns zeigt, und seine fabelhaften Schilderungen von ihr zu glauben. Ich bringe dafür eine Fabel, die besser trifft. Die Atomistik, sage ich, ist die arme Aschenbrödel, verhöhnt, gescholten von ihren sich schöner und weiser dünkenden, und darum unter einander selber zankenden Schwestern, die sie hätten hegen und erziehen sollen; aber nachdem sie lange der Welt weiss gemacht, das Kind sei nur gut, in der Asche zu wühlen, nachdem es lange selber seinen Platz nicht anders gesucht, geschafft, gewirkt, indes sich jene vor dem Spiegel putzten, zeigt sich endlich, wenn es zum Treffen und zum Tanze kommt, sie ist nicht nur die beste, sondern auch die schönste. Was ich hier sage, denk’ ich zu beweisen, nicht indem ich Gesicht und Gang derselben preise, sondern einfach zeige. Denn mehr bedarf es nichts.
Wenn ich bisher und im Folgenden Philosophen und Physiker schlechthin einander und hiermit mich selbst den ersten gegenüberstelle, zu denen ich mich wohl ein anderes Mal selbst rechnen mag, so geschieht es, indem ich auf die respektiven Hauptrichtungen derselben Bezug nehme. Zur Zeit der ersten Abfassung dieser Schrift war die Feindseligkeit der Philosophen gegen die Atomistik so allgemein, dass ich die Ausdrücke Philosophen und Gegner der Atomistik als fast gleichbedeutend brauchen konnte. Dies hat sich nun wohl seitdem etwas geändert, und mehr und mehr häufen sich die Zeichen eines fortwährenden Umschlages in dieser Richtung. Doch wird die Gegnerschaft gegen die Atomistik noch von vielen, ja wohl der Mehrzahl der Philosophen hartnäckig festgehalten, und namentlich die Prinzipien, aus denen sie früher bekämpft wurde, bei allen abgedrungenen und partiellen Konzessionen, die man, nicht ohne Reservationen und Protestationen, der Atomistik philosophischerseits hier und da zu machen anfängt, noch so allgemein festgehalten, dass ich wohl einigen Anlaß finde, die Allgemeinheit der Opposition, kaum aber den allgemeinen Gesichtspunkt derselben dagegen zu ändern.
Dieser Einstimmigkeit der Philosophen gegenüber muß ich zugestehen, dass die Physiker nicht von jeher die Atomistik mit gleicher Einstimmigkeit und Entschiedenheit behauptet, als die Philosophen sie verworfen haben. Vielmehr haben gar Manche, im Anschluß an die Philosophen, ihr sogar direkt widersprochen, noch mehrere sie dahingestellt oder, gleich den Philosophen, nur für eine bequeme Vorstellungs- und Rechnungshilfe erklärt, und noch heute gibt es wohl einige, die diesen Standpunkt einnehmen. Kein Wunder, wenn die Philosophen nicht verfehlt haben, dies gegen die in dieser Schrift behauptete Notwendigkeit der Atomistik für den Physiker geltend zu machen. Nun wird sich besser über diese Notwendigkeit sprechen lassen (Kap. 8), wenn sie im Verlaufe der Schrift sich erst bewiesen haben wird; doch dürfte es nützlich sein, einige Worte darüber vorweg zu sagen.
Zuvörderst wird der Vorteil, in welchem sich die Philosophen in angegebener Hinsicht den Physikern, welche der Atomistik anhängen, gegenüber zu befinden scheinen, dadurch mehr als kompensiert, dass diese die Atomistik aus viel einstimmigeren Gesichtspunkten fordern, als jene sie verwerfen. Denn sehen wir ab von ganz allgemeinen formalen Gesichtspunkten des Widerspruches, worin ich eine gewisse Einstimmung der herrschenden Philosophie (mit Ausschluß freilich Herbart’s und seiner Schule, die doch auch gezählt sein will) nicht leugne, handelt es sich um wirkliches Eingehen auf die Sache, so kann es unstreitig nur die Ableitung, Stellung, Beziehung der Begriffe von Raum, Kraft, Materie sein, worauf sich die Verwerfung stützt. Hierüber aber herrscht bei aller Gemeinsamkeit des Gegensatzes gegen die physikalische Fassung doch nicht die geringste Einstimmung unter den Philosophen selbst, vielleicht, wie wenigstens der Atomistiker glauben kann, eben deshalb, weil die einstimmige Ablehnung der Atomistik eine Einstimmung in dieser Beziehung unmöglich macht; denn wie zu demselben Zentrum der Einigung von allen Seiten Wege führen, so auch von ihm nach allen Seiten hinweg, danach nicht gehen wollen, heißt divergieren. Man sucht nun doch sonst keine Bewährung eines Resultats darin, dass Andere dasselbe Resultat mittelst Rechnungen finden, die man selbst für falsch erklärt; so aber steht es mit dem Resultat der Philosophen, dass der Raum kontinuierlich voll sei.
So weit nun aber eine Diskordanz der Physiker in Sachen der Atomistik bestanden hat und etwa noch besteht, erklärt sie sich, gewiß nicht zu Ungunsten der Atomistik, leicht wie folgt:
Es ist ja zuzugestehen, dass der Atomismus nichts ist, was unmittelbar in die Erfahrung fällt. Ja Philosophen und Physiker scheinen in Bezug darauf geradezu die Rolle zu wechseln, indem die Physiker, die sich doch sonst so gern an den Augenschein halten, hier etwas wider allen Augenschein annehmen, die Philosophen dagegen den Augenschein, an dem sie sonst nicht hängen, hartnäckig verteidigen und wohl gar, was Verwunderung erregen könnte, als Argument gegen den Physiker benutzen. Aber unstreitig würden die Physiker, eben wegen jener Tendenz, im Augenscheinlichen und Handgreiflichen zu verharren, dem Augenschein nicht ohne tiefer liegende Gründe widersprechen; dass sie es aber auch sonst mit Erfolg tun können, beweist das Kopernikanische Weltsystem und die Undulationstheorie des Lichts; Inzwischen besteht jene Tendenz immerhin und die Abneigung vieler Physiker, ohne geradezu zwingende Motive über den Augenschein hinauszugehen, der die Basis aller physikalischen Untersuchungen bildet, ist groß genug, um dadurch den Philosophen oft Waffen des Tadels gegen sie in die Hand zu geben, die natürlich von der Philosophie in diesem Falle nicht in entgegengesetztem Sinne gewandt werden sollten, wie es doch geschieht, da sie verlangt, dieselben sollen mit geistigem Auge nicht weiter als mit leiblichem sehen. Nun liegen zwar die zur Atomistik einladenden allgemeinen Motive allen Physikern offen vor, vermögen aber bei vielen jenen an sich so heilsamen Widerstand, der in der Natur des Physikers tief wurzelt, nicht zu brechen, kommen auch wohl mit Einflüssen der herrschenden Philosophie in Konflikt, denen sich ja auch der Physiker nicht entziehen kann, noch weniger entziehen möchte, wenn er sie nur förderlicher spürte, und mit dem Verruf, in den die Atomistik durch die Philosophen gebracht worden ist. Dagegen liegen die den exakten Physiker zwingenden Motive freilich nicht so ganz offen vor; und hierüber ist des Nähern Folgendes zu sagen.
Ich brauche ein erläuterndes Bild. Ein Wald erscheint von fern als eine gleichförmige Masse. Gesetzt, man sehe einen solchen, ohne zu wissen, was es ist, und suche aus der Weise seiner Erscheinung seine eigentliche Beschaffenheit erst zu erkennen. Nun macht sich zwar die Totalwirkung der Stämme und Blätter in sehr augenfälligen Erscheinungen, als Farbe, Wogen im Winde, Rauschen, geltend; aber es ist ziemlich gleichgültig für die Deutung dieser Erscheinungen, ob man den Wald als ein Continuum ansehen will oder nicht; oder vielmehr, da er als ein Continuum wirklich erscheint, ist die Ansicht, dass er ein solches ist, in offenbarem Vorteil. Gesetzt auch, man bemerkte eine Andeutung der einzelnen Stämme in einem streifigen Wesen, man sähe Tiere in den Wald eindringen und verschwinden, so wäre das eben auch nicht anders, als wenn man die Blätterdurchgänge der Kristalle wahrnimmt und Körper in Flüssigkeiten durch Auflösung verschwinden sieht; man ist deshalb noch nicht genötigt, anzunehmen, dass die Andeutung der Trennung bei näherem Zusehen zu einer wirklichen Trennung werde und Eins nur zwischen, statt in das andere eindringt; also auch nicht genötigt, den Glauben an den Augenschein aufzugeben, welcher den Wald wie den Kristall und die Flüssigkeit unmittelbar doch noch als ein Continuum erscheinen läßt, und vor Allen würde der Physiker sich davor hüten. Nun aber könnte der Physiker es durch feine Beobachtungsmittel vielleicht dahin bringen, die Pulse, welche durch den Schlag der diskontinuierlichen Blätter in der Luft entstehen, die Wellenzüge, welche sich dadurch bilden, dass die Luft zwischen den diskontinuierlichen Stämmen hinstreicht, zu unterscheiden, und zur Erklärung derselben genötigt sein, die kontinuierlich erscheinende grüne Laubmasse in einzelne zitternde Teile, die Holzmasse in einzelne Stämme wirklich aufzulösen. Diese feine Untersuchung könnte ein ganz bindendes Resultat geben, aber doch nicht Jedermanns Sache sein, und Viele, die sich mit diesem Gebiet feiner Untersuchungen nicht beschäftigen, ihnen vielleicht nicht einmal folgen können, es doch einfacher und natürlicher finden, beim unmittelbaren Augenschein stehen zu bleiben, welcher der Erklärung sonst so gut genügte. So ungefähr ist es mit der Atomistik.
In der Tat, bis zu gewissen Grenzen macht sich der Unterschied der atomistischen und der gegenteiligen Ansicht bei Behandlung physikalischer Probleme nicht oder doch nicht entscheidend geltend. Die Berechnung der Anziehung zweier entfernten Körpermassen zu einander durch Summation der Wirkungen ihrer kleinsten Teilchen gibt dasselbe Resultat, ob man die Wirkungen auf kontinuierliche oder diskontinuierliche Teilchen beziehen will; ja man erspart sich erstenfalls eine Zwischenbetrachtung, welche im zweiten Fall nötig ist, um die Anwendung der Integrationsmethode zu rechtfertigen. Von einem den Physiker oder Mathematiker verlockenden äußerlichen Vorteile zu Gunsten der Atomistik kann also hierbei nicht die Rede sein; denn er kommt am liebsten auf kürzestem Wege zum Ziele. Auch die meisten Probleme, wobei es sich um Fortpflanzung von Wasser-, Luft-, Lichtwellen handelt, lassen sich bis zu gewissen Grenzen, freilich nur bis zu solchen, nach beiden Ansichten gleich gut behandeln. Bei allen Erscheinungen überhaupt, wo die Teilchen in Masse, d. h. viele Teilchen in Verbindung wirken, hängt so zu sagen auch das Massenhafte, das Gröbere der Erscheinungen von dem Kraftzusammenhange und den summierten Wirkungen der Teilchen überhaupt in einer Weise ab, welche keine Entscheidung zwischen beiden Ansichten zuläßt. Aber in dem Feineren, den speziellen Bestimmungen der Erscheinungen kann sich nicht nur ein Unterschied geltend machen, sondern muß sich auch geltend machen, hier nur kann er auch gesucht und von hier aus nur eine sichere, d. i. mathematische, Entscheidung zwischen beiden Ansichten gefunden werden, so fern sie überhaupt in Einzelgebieten gesucht wird. Eine andere Entscheidung gründet sich noch außerdem auf das Bedürfnis der Verknüpfung von Erscheinungen verschiedener Gebiete. Hierauf aber komme ich im folgenden Kapitel und werde noch oft zurückzukommen Anlaß haben.
Nun sind jene Gebiete feinster zugleich und schwierigster Untersuchungen größtenteils erst in neueren Zeiten erschlossen, und auch jetzt noch sind es nicht zu viele Physiker, namentlich aber Chemiker, die sich in dieselben vertiefen, ja vielleicht nicht gar zu viele, die sich vom Gange derselben vollständig Rechenschaft geben. Für diese wie für die reinen Spezialisten, deren es zu aller Zeit und in jeder Wissenschaft gibt, fehlen dann auch die wichtigsten Motive, die den exakten Physiker zum Atomismus drängen. Hingegen haben alle, die sich auf derartige Untersuchungen eingelassen, wo die Atomistik Lebensfrage wird, einstimmig derselben gehuldigt; wonach es nichts auf sich hat, wenn unter den übrigen einer oder der andere den Einfluß einer früheren Richtung der Naturphilosophie noch nicht so weit hat überwinden können, um die Opposition gegen die Atomistik aufzugeben, oder in einer Spezialität so stecken geblieben ist, um die darüber hinausreichenden Gründe für die Atomistik nicht zu kennen oder sich nicht darum zu kümmern. Gibt es noch einzelne solcher Ausnahmen, so sind sie doch schon im Aussterben begriffen; denn die ganze Luft der Physik und Chemie ist atomistisch geworden, so dass, wer überhaupt darin leben will, darin atmen muß; ja selbst die Philosophen fangen an, dies Atembedürfnis zu fühlen. Nur das Urteil Sachverständiger und das Definitivurteil der Geschichte aber können maßgebend sein.
Unter den jetzt lebenden Physikern und Chemikern, die als solche wirklich zählen, ist mir überhaupt kein erklärter Gegner der Atomistik bekannt, als etwa Faraday (nach Philos. mag. 1844, Febr.) und Schönbein, beides hochverdiente Forscher, doch beide noch von der alten Schule und mathematischer Betrachtungsweisen nicht eben mächtig, der letztere dazu ziemlich in Spezialitäten vertieft. Ich schließe wenigstens aus einer Äußerung des letzteren über die Erklärung der allotropen Zustände (s. Kap. 7, Nr. l), dass er die Atomistik ablehnt. Auch Snell, Professor der Physik in Jena, kann als Gegner der Atomistik genannt werden, ist aber vielmehr mit mathematischen und naturphilosophischen als physikalischen Betrachtungen und Untersuchungen beschäftigt. Mehr Gegner unter den jetzt lebenden Physikern und Chemikern habe ich nicht zusammenzufinden vermocht; auch konnten weder Prof. Hankel noch Prof. Erdmann, die ich darum befragte, mir solche nennen; doch mag es vielleicht noch einen oder den anderen geben. Vor noch nicht zu langer Zeit freilich war dies, mindestens in Deutschland, anders; es war aber eine Zeit, wo die exakte Naturwissenschaft in Deutschland ganz von der Schellingischen Naturphilosophie überwuchert war und keine erheblichen Leistungen hervorbrachte. Unter den erst in den letzten Jahrzehnten verstorbenen Mineralogen fallen mir K. I. B. Karsten und Ch. S. Weiss (früher als Professor der Physik in Leipzig) als entschiedene Gegner der Atomistik ein. Des ersteren "Philosophie der Chemie, 1843", so wie Geubel "Grundzüge einer spekulativen Einleitung zur Chemie, 1843" und Leo Meier "Die Nichtigkeit der atomistischen Lehren, 1851", werden in Fichte’s Philosophischer Zeitschrift (B. 57, S. 292) als Schriften zitiert, worin die "Nichtigkeit der Atomistik" evident dargetan sei".
Wohl noch öfter als Philosophen nenne ich die Gegner der Atomistik Dynamiker schlechthin, eine Identifizierung im Ausdrucke, die aber auch nur eingeschränkt zu verstehen ist. Setzt man im Sinne eines engeren Wortgebrauches das Wesen der dynamischen Naturansicht in die Zurückführung des Materiebegriffes auf den Kraftbegriff, näher darein, dass die Materie den Raum durch ihre Kraft, nicht ihr bloßes Dasein erfülle, so kann es recht wohl Dynamiker geben, die zugleich Atomistiker sind, denn warum könnte nicht auch ein Atom den Raum durch seine Kraft erfüllend gedacht werden, wie es andererseits Solche geben kann, welche der Zurückführung der Materie auf Kraft entgegentreten, ohne Atomistiker zu sein. Doch ist die Gegnerschaft gegen die atomistische Ansicht hauptsächlich von der dynamischen Ansicht ausgegangen; die Frage nach der Gültigkeit der einen und anderen wird, wenn schon nicht triftig, doch gewöhnlich solidarisch betrachtet und behandelt, und jedenfalls fallen die Gegner der Atomistik größtenteils mit Dynamikern zusammen. So mochte es im Interesse der Kürze wohl gestattet sein, den einen Ausdruck geradezu für den anderen zu setzen.
Inzwischen hat dies zur Folge gehabt, dass man dieser Schrift von mehr als einer Seite vorgeworfen, sie verfehle in ihrer Bestreitung der dynamischen Ansicht den Hauptpunkt, auf den es dem Dynamiker ankomme, welcher ja willig die Poren in der Eierschale und dem Holze zugebe. Aber sie verfehlt den Hauptpunkt, auf den es ihm ankommen mag, eben deshalb nicht, weil sie ausgesprochenermaßen nicht dagegen gerichtet ist. Dass der Dynamiker schließlich die Materie auf Kräfte seiner Art zurückführt, hat für den Physiker kein Interesse zu bestreiten, weil diese Kräfte mit seinen Kräften nichts zu schaffen haben, jene Zurückführung die Physik nicht berührt. Ich zeige das in einem besonderen Kapitel (Kap. 16). Wohl aber hat es für ihn ein Interesse, räumlich diskrete Zentra der Kräfte, um die sich’s in der Physik handelt, die nicht mit diesen Kräften selbst verfließen, zu behaupten; und hätte es für den Dynamiker kein Interesse sie in Kristallen, Wasser, Luft, Äther zu leugnen – denn darum, nicht um Poren in Eierschale und Holz handelt es sich bei der Atomenfrage – so sollte er sie auch nicht leugnen, wie es so allgemein geschieht. In sofern es aber geschieht, ist diese Schrift wesentlich dagegen gerichtet; nur beiläufig gegen die Unklarheit des dynamischen Kraftbegriffes, mit der jene Leugnung freilich schließlich doch zusammenhängt.
Unstreitig liegt hier überhaupt ein Kreis zusammenhängender Fragen vor, die es schwer, ja in gewissem Sinne unmöglich ist, ganz getrennt zu halten, wie wir denn vor dem eigentlichen Angriff der Atomenfrage der Vorbetrachtung einer damit zusammenhängenden Frage (über die Imponderabilien) bedürfen werden. Im Grunde hängt die Betrachtung des gesamten Kreises der Naturdinge eben so wie dieser selbst zusammen, und kann man in dieser Hinsicht zwei allgemeine Ansichten als dynamische und mechanische im weiteren Sinne unterscheiden, deren eine sich absteigend vom Apriorismus der neueren Philosophie, die andere aufsteigend von Verallgemeinerungen der empirischen Naturwissenschaft her entwickelt hat, und deren jede sich über das gesamte Gebiet, die gesamten Verhältnisse der Natur im Zusammenhange erstreckt. Man weiß, wie sehr sie nach wichtigsten formellen und sachlichen Beziehungen in Streit liegen; die Atomistik ist nur einer der Punkte, um die sie streiten. Mit Fleiß aber sondere ich sie, so weit es immer möglich, aus dem Gesamtzusammenhange als besonderen Streitpunkt aus, indem ich meine, der Streit zwischen allgemeinen Ansichten wird sich überhaupt weniger leicht durch allgemeine Gründe entscheiden, als dadurch, dass sie sich mit ihren Hauptseiten besonders messen. So haben sich zwei kämpfende Stiere so lange nichts an, als sie mit vollen Stirnen gegen einander rennen; wenn aber einer von beiden nur mit einem Horne die rechte Wunde in des anderen Seite bohrt, siegt er ganz. Als ein solches Horn der mechanischen Ansicht kehre ich hier die Atomistik gegen die dynamische Ansicht, die mechanische Ansicht doch nur so weit vertretend, als sie in jenem weiteren Sinne recht verstanden und recht ausgebildet wird.