Bei der Wichtigkeit, welche der ferner kurz mit (·
) zu bezeichnende goldne Schnitt für uns hat, dürfte es nicht
ohne Interesse sein, vor weiterem Eingehen in unsere Untersuchungen, einige
der interessanteren Eigenschaften und Verhältnisse desselben hier
zusammengestellt zu finden, welche zu größerem Teile schon von
Zeising bemerkt sind, wozu sich jedoch hier noch einige haben fügen
lassen. Man muß in der Tat gestehen, dass nächst den Verhältnissen
p und e (nach gewöhnlicher mathematischer
Bezeichnung) das Verhältnis (· )
das merkwürdigste sein möchte, was die mathematische Analyse
überhaupt darzubieten hat.
1) Als Approximationsverhältnisse in
ganzen Zahlen zu dem eigentlich irrationalen Verhältnisse des (·
) sind oben geltend gemacht 3 : 5, 5 : 8, 8 : 13 usw.
Nach folgender Regel läßt sich diese Approximation leicht beliebig
weiter treiben oder auch zu unvollkommenern Approximationen in ganzen Zahlen
zurückgehen. Man setzt die größere der beiden Zahlen einer
gegebenen Approximation mit der Summe beider in Verhältnis, wodurch
man von 13 : 21 sukzessive auf 21 : 34, 34 : 55, 55
: 89 usw. kommt, oder man setzt die Differenz beider Zahlen mit
der kleineren von beiden in Verhältnis, wodurch man zu den unvollkommenem
Approximationen kommt. Hiernach erhält man alle möglichen Approximationen
in ganzen Zahlen durch Bezugsetzung von je zwei aufeinanderfolgenden Zahlen
nachstehender Reihe zu einander:
1) Andere Beispiele s. bei Zeising N. V. S. 14.
2) Auf eine größere Reihe von Dezimalen verfolgt ist das Verhältnis des Minor zum Major dieses:
3) Die einfachst möglichen quadratischen Gleichungen mit reellen Wurzeln geben den genauen Ausdruck des (· ) her, d. i.
4) Einen andern genauen Ausdruck für den (· ), als Verhältnis von Minor zu Major gefaßt, erhält man (nach einer mir von Prof. Möbius gemachten Bemerkung) durch den einfachst möglichen Kettenbruch, nämlich
5) Man kann das Verhältnis des goldnen
Schnitts auch durch eine geometrische Konstruktion darstellen. Um nämlich
eine gerade Linie a nach diesem Verhältnisse zu teilen, hat
man nur nötig, eine zweite halb so lange Linie b rechtwinklig
an ein Ende von a anzusetzen, die freien Enden beider Linien durch
eine Gerade c zu verbinden; dann die Länge der ersten Linie
a auf dieser Verbindungslinie c von einem Ende derselben
an abzutragen, dann den Rest von c, als Major auf a zu übertragen;
wozu der Rest von a alsdann den Minor bildet. Inzwischen dürfte
man es immer praktischer finden, sich eines der obigen Zahlenverhältnisse
zur Darstellung des goldnen Schnitts zu bedienen, da die prinzipielle Genauigkeit
der Konstruktion doch auch in der Ausführung verloren geht und diese
jedenfalls umständlicher ist.
Auf Grund der Irrationalität des goldnen Schnitts,
welche keine absolut genaue Darstellung desselben in ganzen Zahlen gestattet,
stellt Zeising (N. V. S. 4) die Ansicht auf, dass eine, wenn auch
noch so geringe, Abweichung vom genauen Verhältnisse des goldnen Schnitts
auch bei räumlicher Darstellung desselben prinzipiell notwendig sei,
und leitet daraus die Notwendigkeit solcher Abweichungen für Natur
und Kunst ab; dies jedoch ist ein Irrtum. Die Unmöglichkeit, ein Verhältnis
in ganzen Zahlen genau auszudrücken, steht seiner genauen Darstellung
im Raume nicht im Mindesten im Wege, und es steht der goldne Schnitt
so wie das Verhältnis der Kreisperipherie zum Durchmesser in der Möglichkeit,
sich räumlich genau darstellen zu lassen, mit den rationalen Verhältnissen
genau auf gleicher Stufe.
6) Damit, dass der Minor sich zum Major verhält wie der Major zur Summe des Minor und Major, ist zugleich mathematisch gegeben, dass der Überschuß des Major über den Minor sich zum Minor verhält, wie der Minor sich zum Major verhält, so dass man, beide Proportionen verbindend, sagen kann: im goldnen Schnitte sei eine stetige Proportion zwischen dem Überschuß des Major über den Minor, dem Minor, dem Major und der Summe des Minor und Major gegeben, der Art, dass jede dieser vier Größen durch Multiplikation mit derselben bestimmten Zahl (1,618) aus der vorherigen hervorgeht. Hieraus sind dann weitere Folgen, dass das Produkt aus Minor und Major gleich der Differenz der Quadrate von Minor und Major ist, so wie gleich dem Produkte aus der Differenz in die Summe des Minor und Maior.
7) In einem regelmäßigen in den
Kreis eingeschriebenen Fünfeck verhält sich die Seite des Fünfecks
zum Radius wie Major zum Minor, und, sofern die Seite des regelmäßigen
Sechsecks gleich dem Radius des umschriebenen Kreises ist, verhält
sich auch die Seite des regelmäßigen Fünfecks zu der des
regelmäßigen Sechsecks wie Major zum Minor. Weitere Anwendungen,
welche der goldne Schnitt in der Polygonometrie findet, bespricht Zeising
in einer unten anzuführenden Abhandlung.
Schon den Alten war das Verhältnis des goldnen
Schnittes unter diesem Namen bekannt und der Name selbst deutet dahin,
dass schon sie ihm einen gewissen Vorzug vor andern Verhältnissen
beilegten. Indes scheint dieser nur der mathematischen Eigentümlichkeit
des goldnen Schnittes gegolten zu haben, die ja der Art ist, dass man sich
wohl denken kann, es sei auch von dieser Seite ein Vorzug daran geknüpft
worden; wenigstens hat sich keine Nachricht von einer ästhetischen
Bedeutung, die sie demselben beigelegt hätten, erhalten; und insoweit
sich eine Anwendung des goldnen Schnittes in ihren Werken findet und derselbe
wirklich ästhetisch maßgebend ist, kann dies nur einer unbewußten
Wirkung ihres Schönheitssinnes zugeschrieben werden. In neueren Zeiten
ist auch die Beachtung des goldnen Schnittes mathematischerseits ganz zurückgetreten,
nachdem die neuere Ausbildung der Mathematik zur Inbetrachtnahme vieler
anderer Verhältnisse, von zugleich interessanter und nützlicher
Anwendung geführt hat, ohne dass sich vor Zeising eine bemerkenswerte
Anwendung vom goldnen Schnitte dargeboten hätte.
Die allgemeine Betrachtung, durch welche Zeising
(N. L. 133 ff.) zum irrationalen Verhältnisse des (·
) als Normalverhältnis für Natur und Kunst gelangt, läuft
nach Zusammenfassung etwas weit hergeholter philosophischer Vorerörterungen
über den Begriff der Schönheit kurz etwa auf Folgendes hinaus.
"Das Schöne ist die als sinnlich-geistige Anschauung
zur Präsenz gelangende Harmonie der Einheit und unendlichen Mannigfaltigkeit."
Insofern also ein Gegenstand durch seine Form (ohne Rücksicht
auf angeknüpfte Bedeutungen) den Bedingungen der Schönheit entsprechen
soll, muß er auch jener Bestimmung entsprechen. Auf einer niedern
Stufe geschieht dies nun schon durch Gleichmaß und strenge
Regelmäßigkeit der Form, und es ist dies "die einfachste
und faßlichste, aber eben deshalb auch die oberflächlichste
und dem tieferen Bedürfnis nicht genügende Erfüllung der
Schönheitsbedingungen." Auf höherer Stufe erfolgt diese Erfüllung
dadurch, dass an die Stelle der Gleichheit der Teile die Gleichheit von
Verhältnissen bei Ungleichheit der Teile tritt; und zwar ist die vollkommenste
Weise der Erfüllung die, "dass das Verhältnis zwischen dem
Ganzen und den Teilen kein andres ist, als dasjenige, durch welches die
Teile selbst unter einander verbunden sind. Hierdurch wird inmitten
der Verschiedenheit zugleich die Einheit zur Anschauung gebracht und ein
wirklich stetiger Zusammenhang zwischen dem Ganzen und seinen Gliedern
hergestellt." "Da aber das Ganze bei der Voraussetzung, dass die Teile
selbst von ungleicher Größe sind, unmöglich zu beiden
Teilen in demselben Verhältnisse stehen kann, so springt in
die Augen, dass unter den Verhältnissen des Ganzen zu den Teilen nur
das Verhältnis des Ganzen zum größeren Teil, dagegen
unter den Verhältnissen der Teile zu einander nur das Verhältnis
des größeren zum kleineren Teile gemeint sein kann." In einer
derartigen Proportionalität sieht Zeising "die Vermittlerin
der Einheit und Mannigfaltigkeit, der Gleichheit und Verschiedenheit, der
Notwendigkeit und Freiheit", findet dadurch "den Gegensatz von Einheit
und Unendlichkeit, von Gleichheit und Verschiedenheit zur Harmonie aufgehoben"
usw., wie es im Begriffe höherer Schönheitsforderung liege.
Als Vorzuge dieser Proportion, welche mit dem Begriffe
der Vollkommenheit zusammenhängen, hebt Zeising (N. L. 163.
N. V. 4) hervor: 1) dass sie (in Betracht ihrer Irrationalität)
mit der größtmöglichen Bestimmtheit und Realisierbarkeit
die vollkommenste Unendlichkeit und Idealität vereinige; 2)
dass sie nicht nur alle Vorzüge einer stetigen Proportion besitze,
sondern jede andere stetige Proportion darin übertreffe, dass eins
ihrer Glieder zugleich die Summe der beiden übrigen sei, dass sie
mithin eine Gleichheit und Kontinuität der Verhältnisse zwischen
dem Ganzen und seinen Teilen herstelle, und somit auf das Vollkommenste
dem Begriff der Proportionalität überhaupt entspreche, welcher
eine Übereinstimmung der Verhältnisse verlange, in welchen die
Teile einerseits zu einander, anderseits zum Ganzen stehen; 3) dass
sie nicht bloß eine Vermittelung zwischen zwei willkürlich zusammengebrachten
Größen, sondern zwischen dem Ganzen und dem kleinern Gliede
durch das größere herstelle, also den Charakter einer zum Ganzen
und seinen Teilen beziehungsvollen Notwendigkeit trage; 4) dass
durch sie die befriedigendste harmonische Vermittelung zwischen der völligen
Gleichheit und einer allzugroßen Verschiedenheit der Teile
von einander und vom Ganzen gesetzt, der natürlichste Übergang
von der Einheit zur Zweiheit und Mehrheit hergestellt werde (wie in N.
L. S. 164 weiter ausgeführt wird); 5) dass dasselbe Verhältnis
sich in Untergliederungen sehr leicht weiter verfolgen und fortsetzen lasse,
wozu ebenfalls weitere Ausführungen; 6) dass "das Verhältnis
des goldnen Schnitts als die vollkommenste Vermittelung und Ausgleichung
aller übrigen denkbaren Verhältnisse, und hiermit als das naturgemäße
allgemeine Durchschnitts- und Normalverhältnis anzusehen sei."
Zeising hat den goldnen Schnitt an so vielen Orten
besprochen, dass ich zweifle, die Literatur darüber vollständig
geben zu können, indes ich auf die Anführung der Besprechungen
Seitens Andrer in der Hauptsache um so mehr verzichten muß, als unsre
Untersuchungen keine Berührungspunkte damit haben, und sie zu zerstreut
sind, um sie nur mit annähernder Vollständigkeit registrieren
zu können. Außer den schon S. l5 angeführten zwei Hauptschriften
sind mir folgende Abhandlungen Zeisings über den goldnen Schnitt
mindestens ihrem Titel nach und zum Teil durch eigene Einsicht darein bekannt.
Die Unterschiede
in den Proportionen der Racentypen, in Vierordt's Arch. z. physiolog.
Heilk. 1856.
Der menschliche
Kopf im Profil, im Abendbl. zur neuen Münchn. Zeitung 1856. Nr. 18.
19. 20.
Die Proportionen
von 4 antiken Statuen, in Eggers Kunstbl. 1856. S. 182. Die Proportionen
des Parthenon nach den
Penrose'schen Messungen, im deutschen Kunstbl. 1857 Jahrg. 8. Nr.
48–51.
Zur Lehre vom menschlichen Gesichtswinkel,
in der Halle'schen Zeitschr. "Natur". 1857.
F. G. Röber beweist in einem Quartwerke mit 6 großen lithographierten Tafeln3) aus aprioristischen Gründen, durch die Masse des menschlichen Skeletts und alter Bauwerke, "dass das Siebeneck (oder das zur Konstruktion des regelmäßigen Siebenecks dienende gleichschenklige Dreieck, in welchem jeder Winkel an der Basis das Dreifache des Winkels an der Spitze) die Basis des höchsten Gestaltungselementes in der organischen Natur ist, dass in dieser Erkenntnis allein der wahre Grund der durch das ganze Altertum gehenden hohen Verehrung und Heilighaltung dieser wichtigen Naturzahl (der Sieben) liegt", und dass diese Erkenntnis auch maßgebend für dir Konstruktion ägyptischer Denkmäler der Baukunst gewesen ist. Nicht minder als Zeising das Prinzip des goldnen Schnittes findet Bober das Prinzip des Siebeneck-Dreiecks auch in den Verhältnissen der Pflanzengestaltung und des Planetensystems wieder.