XXI. Über den Streit der Form-Ästhetiker und Gehalts-Ästhetiker in Bezug auf die
bildenden Künste.

    Es gibt einen sehr allgemeinen, auf die ganze Ästhetik bezüglichen, also auch Musik und Baukunst mit in sein Bereich ziehenden, Streit zwischen den philosophischen Ästhetikern, welcher Kürze halber als Streit der Form-Ästhetiker und Gehalts-Ästhetiker bezeichnet wird, den ich aber hier zur Konzentrierung des Interesses und zu leichterer Vermeidung abstruser Gesichtspunkte, in der Beschränkung auf das Gebiet der bildenden Künste betrachten werde, sollte auch dabei die Fühlung mit dem philosophischen Streite, wie er neuerdings namentlich zwischen Vischer und Zimmermann geführt wird, etwas verloren gehen. Außerhalb der philosophischen Ästhetik wird doch der Streit hauptsächlich in der hier eingehaltenen Beschränkung geführt und kommen die hier anzuführenden Gesichtspunkte teils zur Sprache, teils scheinen sie mir zur Sprache zu bringen.

    Der Streit geht um folgende Frage: kommt bei dem Werte eines Kunstwerkes als solchen etwas wesentlich auf die Beschaffenheit des Inhaltes, den es darstellt, den Wert der Idee, die sich darin ausspricht, nicht vielmehr Alles auf die Form an, in welcher der Inhalt sich darstellt, und womit der Künstler die Natur bis zu gewissen Grenzen charakteristisch wiederzugeben, darüber hinaus aber zu überbieten hat. Soll hiernach das Trachten des Künstlers vielmehr dahin gehen, irgend einen Inhalt, eine Idee in schöner Form auszudrücken, ihm jeder Stoff recht sein, der sich so ausdrücken läßt, und soll er selbst die natürliche Form der Gegenstände in diesem Sinne abändern, nur ohne der Charakteristik zu viel zu vergeben; oder dahin, einen wertvollen oder mindestens interessierenden Inhalt, Stoff in irgend einer Form auszudrücken, die denselben klar und eindringlich für das Bewußtsein herausstellt, und ihm jede Form recht sein, die solchem Zwecke genügt. Der Beschauer, soll er, um den rechten Kunstgenuß zu haben, seinen Geschmack in solchem Sinne bilden, daß er vielmehr vom Inhalt oder daß er vielmehr von der Form angesprochen wird; und der Kritiker sein Urteil vielmehr nach dem Werte des Inhaltes, den die Form treffend ausdrückt, oder der Form, in der er sich ausdrückt, fällen? Mit einem Worte: hat die Kunst mehr das Interesse am Inhalt oder der Form zu befriedigen ?

    Es wird sich zeigen lassen, daß dieser Streit wie so viele andere Streite zum Teil darauf beruht, daß man sich über den Streitpunkt nicht recht versteht; in so weit es aber gelingt, ihn klar zu stellen, zeigt er sich als der Streit zweier Einseitigkeiten, die sich zu vertragen haben. Von vorn herein zwar könnte man meinen, er lasse sich einfach durch die Regel schlichten, daß die Kunst überhaupt nur Gegenstände darzustellen habe, bei denen ein wertvoller Inhalt zugleich Bedingung einer schönen Form ist; aber hiergegen würde sich der Form-Ästhetiker sehr sträuben, indem er der Kunst zutraut, selbst an sich wertlosen Gegenständen oder solchen von negativem Werte durch die Darstellungsform Wert verleihen zu können; und wie man auch Form und Inhalt gegen einander abgrenze, so kann man den Wert von Kunstwerken nicht von einem Parallelismus beider abhängig machen.

    Um nun den Streit vor Allem zu fassen, wie er geführt wird und Form und Inhalt dabei aus einander und gegen einander gehalten zu werden pflegen, lassen wir zuvörderst den Form-Ästhetiker bezüglich eines Beispieles sprechen.

    Daß Bacchus dem Amor eine Schale mit Wein reicht, kann den Inhalt eines Gemäldes oder einer plastischen Gruppe bilden. Da wir nicht mehr an die alten Götter glauben und das Darreichen eines Trankes eine ganz unbedeutende Handlung ist, so hat dieser Inhalt kein Interesse, was ihn der Mühe wert machte, dargestellt zu werden. Aber er gewinnt ein großes Interesse dadurch, daß er Gelegenheit gibt, schöne und charakteristische Menschenformen und diese in anmutiger stilmäßiger Stellung und Zusammenstellung anzubringen; und selbst, wenn wir über jenen Inhalt in Zweifel blieben, nicht wüßten, daß es sich um Bacchus, Amor, um einen erweckenden oder einen Schlaftrunk handelt, würden die Gestaltungen, Stellungen, die stilmäßige Zusammenstellung, die gelungene Charakteristik der vollen Blüte der Männlichkeit gegenüber der reinsten Blüte jugendlichen Alters, der Darstellung noch Eindruck und Wert verleihen. Hingegen hilft es bei einer mangelnden Darstellungsform dem Künstler nichts, wenn sich ein noch so wertvoller Inhalt des Werkes deutlich genug verrät, ja dasselbe wird um so mehr mißfallen, je mangelhafter die Darstellung in Verhältnis zum Werte des Inhalts erscheint, wogegen der unbedeutendste, ja selbst an sich nicht zusagende Stoff durch künstlerische Darstellung hohen Reiz erlangen kann. Man denke z. B. an den Barberinischen Faun.

    Im Allgemeinen ist der Inhalt der Kunstwerke der Kunst nicht eigentümlich, sondern ihr mit dem Leben, der Geschichte, der Sage, dem Mythos, der Wissenschaft gemein. Es ist keine Kunst, ihn daraus zu entnehmen, sondern ihn erstens so zu fassen, daß er sich einer schönen Darstellungsform fügt, was Sache der künstlerischen Konzeption ist, zweitens ihn in dieser Form darzustellen. Den Wert eines Kunstwerkes kann nicht das ausmachen, was man ohne die Kunst schon hat, sondern was die Kunst zur Wertvermehrung hinzufügt, oder als Wert daran erst schafft.

    Viele Darstellungsstoffe von bedeutendem Inhalt, namentlich solche von religiöser oder mythologischer Natur, sind zugleich fruchtbar hinsichtlich der Möglichkeit schöner, großartiger, stilvoller und charakteristischer Darstellungs- und Zusammenstellungsformen, und insofern wichtige Gegenstände der Kunst. Doch wird ihr Wert für die Kunst vom Gehaltsästhetiker teils übertrieben, teils aus einem falschen Gesichtspunkte aufgefaßt, indem er nicht im Werte der Form aufgehend gedacht, sondern selbständig geltend gemacht wird. Um so leichter vermischt und verwechselt das Laienpublikum das unkünstlerische Interesse am Inhalte eines Kunstwerkes mit dem Kunstinteresse. Der rechte Künstler aber vermag an ganz unbedeutenden Gegenständen leicht die größte Kunst zu beweisen, indem er ihnen durch charakteristische und stilvolle Behandlung ein Interesse verleiht, was mit dem ihres Inhaltes ganz inkommensurabel ist. Auch macht sich dieser Maßstab praktisch bei den Preisen der Kunstwerke geltend. Sie werden nicht, und zwar mit Recht nicht, nach dem Werte der darin zur Darstellung kommenden Idee, sondern dem Werte der von der Kunst abhängigen Darstellungsform bezahlt.

    Zwar ist dem religiösen Bilde nicht zu wehren, Andacht zu erzeugen; im Gegenteile soll es, namentlich als Kirchenbild, außer seinem Kunstzwecke noch einem anderen Zwecke entsprechen; nur liegen beiderlei Zwecke ganz auseinander und hat die Andacht, welche die Beschäftigung mit dem Inhalte des Bildes hervorzurufen vermag, mit dem Kunstgenusse daran nichts zu schaffen; ja je mehr jemand beim Beschauen eines religiösen Bildes sich der Andacht hingibt, desto mehr tritt das Kunstinteresse am Bilde, hiermit an der Schönheit des Bildes, zurück und umgekehrt. Man kann also nicht die von Beschäftigung mit dem Inhalte abhängende Andacht als einen Teil des Kunstgenusses selbst ansehen wollen. Entsprechend mit der Wirkung jedes anderen Inhaltes. Das wahre Interesse an einem Kunstwerke als solchem, d. i. das Forminteresse, ist überhaupt ein ganz eigentümliches, mit sonst nichts vergleichbares, Interesse, und um dies Interesse wirksam zu erzeugen und zu befriedigen, muß die Form die eigentümliche Wirkung des Stoffes vielmehr aufheben als heben. Ein Bild, was eine traurige Szene darstellt, hat uns nicht traurig zu machen, ein Bild, was eine schreckliche Szene darstellt, uns nicht zu erschrecken; ist es der Fall, so ist es ein schlechtes Bild. Ein Bild, was eine heitere Szene darstellt, soll freilich die allgemeine Heiterkeit erwecken, welche jedes Kunstwerk überhaupt, auch das mit dem ernstesten Inhalte, zu erwecken hat, indem es den Spieltrieb unserer Phantasie oder Einbildungskraft beschäftigt und befriedigt, aber eben nur diese, nicht die besondere Art der Heiterkeit, die in der Szene spielt, in uns erwecken, die vielmehr zurückzutreten hat, um jener Platz zu machen.

    Mit Vorigem meine ich, wesentlich erschöpft zu haben, was Seitens der Form-Ästhetiker hier und da zur Stützung ihrer Ansicht von der Kunst geltend gemacht wird, und habe es möglichst mit den gemeinhin dazu gebrauchten Ausdrücken zu tun gesucht. Dabei bleibt noch gründlich unklar, wie eigentlich Form und Inhalt gegen einander abzugrenzen sind, was doch nicht meine Schuld ist, da der Streit zum größten Teile eben auf dieser Unklarheit und der Unbestimmtheit, die faktisch in dieser Beziehung besteht, beruht. Was aber wird der Gehalts-Ästhetiker gegen die vorigen, bei aller begrifflichen Unbestimmtheit doch wesentlich sachlich durchschlagend scheinenden, Betrachtungen des Form-Ästhetikers erwidern können? Ich denke, so weit ich ihn im Rechte halte, Folgendes:

    Wenn man im Ausgangsbeispiele zum Inhalte des Gemäldes gegenüber seiner Form nichts rechnet, als den abstrakten Gedanken, daß Bacchus dem Amor einen Trank reicht, so kann die Herabsetzung des Werts des Inhaltes für die Kunst selbstverständlich erscheinen. Nichts Anderes aber macht doch jene Formen in höherem Sinne schön, als daß uns Jugend, Lebensfülle, höheres Behagen, Freiheit und Leichtigkeit der Bewegung daraus ansprechen, was Alles keine sichtbare Form, vielmehr ein Inhalt ist, den wir durch unsere Lebenserfahrungen daran haben anknüpfen lernen, wie wir einen Inhalt an Worte und Schriftzeichen anknüpfen lernen, sei es auch, daß jener Inhalt in einer wesentlicheren Beziehung zur Form steht, als dieser. Freilich sind wir überall gewohnt, das was Sache einer unwillkürlichen, durch das Leben uns geläufig gewordenen, Assoziation an die Form ist, als Sache eines Eindruckes der Form selbst zu rechnen, hiermit einen Teil des geistig angeknüpften Inhaltes unmittelbar in diese selbst zu verlegen, und dadurch den Reiz des Inhaltes auf die Form zu übertragen (vergl. Absch. IX), aber begehen damit in der Tat einen Raub am Inhalt, und können dann freilich leicht den so verarmten Inhalt als bedeutungslos gegen die dadurch bereicherte Form schelten. Im Grunde ist es die ganze Durchdringung der sinnlichen Form und Formverhältnisse mit geistigem Gehalte und der ganze Aufbau und Ausbau dieses Gehaltes mit einem Abschlusse in der Spitze der Totalidee, um was es sich bei der Schätzung eines Kunstwerkes handelt; man muß nur den Wert desselben nicht einseitig in der höchsten Spitze einer abstrakten Idee suchen. Der in allen Einzelheiten noch unbestimmte Gedanke, daß Bacchus dem Amor einen Trank reicht, will in der Tat wenig sagen; die ganze Fülle wertvoller Assoziationsvorstellungen aber, welche die anschauliche Ausführung davon mit einem Schlage erweckt und der Phantasie zur Ausbeute und weiteren Verarbeitung darbietet, will viel sagen.

    Die so oft gehörte und namentlich von Schiller mit so viel Nachdruck vertretene Behauptung, daß die Wirkung des Stoffes oder Inhaltes eines Kunstwerkes vielmehr durch die Kunst vernichtet als gehoben werden solle, ist halb wahr und halb nicht wahr. Ein Bild mit traurigem Inhalt soll uns freilich nicht traurig machen, ein Bild mit schrecklichem Inhalt nicht erschrecken, weil es überhaupt wider den Kunstzweck läuft, uns Mißstimmung zu erwecken. Stellt also das Bild doch etwas Trauriges, Schreckliches dar, so muß es das Bild durch ein versöhnendes Moment gut machen, oder durch irgendeine gefallende Eigenschaft überbieten; oder durch einen äußeren Zweck, wie den der historischen Aufbewahrung oder gar Abschreckung, was jedoch nicht ins ästhetische Gebiet gehört, zu rechtfertigen suchen. Hingegen ist kein Grund, warum uns ein Bild nicht durch seinen Inhalt andächtig, heiter, gemütlich, scherzhaft stimmen sollte; vielmehr, je mehr es dies vermag, so mehr beweist und bewährt es unmittelbar seine Kraft und seinen Wert. Und wird wohl jemand eine Landschaft von Claude Lorrain deshalb schlechter finden, daß sie das eigentümliche wonnige Gefühl des Blickes in eine italienische Landschaft kraftvoll in uns hervorzuzaubern vermag, es vielmehr durch die Kunst vernichtet haben wollen?

    Nun wird freilich keine heitere oder gemütliche Szene im Bilde uns überhaupt gleiche Heiterkeit erwecken, gleich gemütlich stimmen können, als wenn wir in Wirklichkeit selbst an der Szene Teil hätten, und die schönste gemalte Landschaft nach gewisser Beziehung noch viel vom Eindruck der wirklichen Landschaft vermissen lassen, indes sie nach anderen denselben überbieten kann. In jedem Falle aber kann durch das Bild ein Abklang desjenigen Gefühls in uns erzeugt werden, was die Szene in der Wirklichkeit oder Natur in uns zu erzeugen vermöchte; und jedes andere Bild wird und soll uns hiernach anstatt immer dieselbe allgemeine Kunstheiterkeit zu erwecken, durch seinen anderen Inhalt anders wertvoll stimmen. Will der Kunstkenner dies Andere vom Eindrucke abziehen, um die allgemeine Kunstheiterkeit rein zu haben, so mag er es für sich tun; er hat aber damit eben nur ein Abstraktum statt des vollen lebendigen Eindruckes, den das Kunstwerk machen kann und machen soll.

    Wer nun freilich bloß bei der allgemeinsten oder Hauptwirkung des Inhaltes stehen bleibt und das Einzelne nur nach der Frucht, die es dafür trägt, beachtet und schätzt, also vom religiösen Bilde nichts weiter hat und verlangt als Erweckung von Andacht oder religiöser Stimmung, wer sich gar davon über das Bild hinweg in die Betrachtung himmlischer Dinge heben läßt, statt von da mit der Betrachtung in die Ausführung des wie oben gefaßten Inhaltes des Bildes einzudringen, um sich auch am Einzelnen darin zu erfreuen, von dem kann man allerdings nicht sagen, daß er einen Kunstgenuß habe, indem er bloß den Gipfel der Sache statt der Sache, die Frucht des Baumes statt des Baumes mit der Frucht hat; aber umgekehrt hat der, der sich bloß mit den Mitteln der Totalwirkung, ohne diese selbst zu empfinden, beschäftigt, die Sache ohne den Gipfel.

    Also statt als allgemeine Regel auszusprechen, daß die Kunst die eigentümliche Wirkung des Gehaltes ihrer Stoffe solle durch irgendwelche Formwirkung vernichten, hat sie eben so alles Mögliche zu tun, die traurige Wirkung ihrer Stoffe zu entkräften, als die erfreuliche, erhebende Wirkung derselben zu kräftigen, und das nicht nach einem in sich widersprechenden, sondern dem in sich einstimmigen Prinzip, daß sie zur Mehrung der Lust nicht der Unlust da ist.

    In solcher Weise etwa möchte ich das Wort für den Gehalts-Ästhetiker, so weit ich ihn im Rechte halte, nehmen, um den Wert des Inhalts für die Kunst gegenüber der Form in Fällen zu vertreten, wo, wie in unserem Ausgangsbeispiel, die Form wirklich Träger eines wertvollen Inhaltes ist; aber es gibt andere Beispiele, bei denen man mit vorigen Betrachtungen allein nicht ausreicht, und das Prinzip des einseitigen Gehaltsästhetikers überhaupt nicht ausreicht.

    Wie ist es mit einer niederländischen Schenkenszene? Was macht, daß eine solche einem Kenner so großes Wohlgefallen erwecken, ihn dafür sogar viel höhere Preise zahlen lassen kann, als für so viele Bilder von wertvollem ideellen Gehalt? Ist es ihm zu verdenken, ist es sein schlechter Geschmack? Der Inhalt solcher Szenen ist doch auch nach der Erweiterung, die wir ihm im Obigen gegen eine zu beschränkte Fassung gegeben haben, kein erbaulicher. Der Gehaltsästhetiker sagt etwa: es müssen solche Szenen doch etwas gemütlich Ansprechendes oder überhaupt aus irgend einem Gesichtspunkte Interessierendes haben, so daß man auch einmal gern in Wirklichkeit einer solchen Szene durch das Schenkenfenster zusähe, möchte man schon selbst nicht in Wirklichkeit darunter sein. Und ich meine, der Gehaltsästhetiker hat in so weil Recht, daß das, was gar kein Interesse in wirklichen oder Glaubensgebieten hat, nicht oder nur als Studie gemalt zu werden verdiente, aber doch sehr Unrecht, wenn er meinte, daß die ganze Darstellung der Schenkenszene dem Kenner oder auch Nichtkenner nichts weiter leistete und zu leisten hätte, als jenes Interesse, was man durch den Blick ins wirkliche Schenkenfenster befriedigen kann, dauernd oder wiederholt zu befriedigen, und die Kunst hierbei nur den Vorteil vor der Natur hätte, daß sie die Szene im interessantesten Momente und prägnanter als die Natur selbst zu fixieren vermöchte. Es ist ein Vorteil, aber nicht der ganze, und bei Gemälden solcher Art kein Gewicht darauf zu legen. Im Gegenteil, so viel Interesse man an der wirklichen Schenkenszene nehmen möchte, es wäre mit einem kurzen Blicke befriedigt, und sie lange oder oft wiederholt ansehen zu sollen, würde uns sogar widerstreben. Warum zieren nun doch Bilder der Art viele Stuben, ja wohl Stuben von Gehaltsästhetikern selbst und gelten für Zierden von Gallerien. Notwendig muß ein anderes Interesse sich hierbei geltend machen, als was der einseitige Gehaltsästhetiker in Anspruch nimmt. Aber was kann es sein?

    Nun wird zuvörderst dem Formästhetiker zuzugestehen sein, daß abgesehen von allem geistig angeknüpften Inhalt eine Art der sinnlichen Form- und Farbgebung mehr ansprechen kann als die andere (vergl. Abschn. XIII und XXVI), und daß ein Genrebild hierin ein Verdienst so gut als jedes andere Bild suchen kann, wenn nur den Forderungen des angeknüpften Inhaltes nicht dadurch widersprochen wird. Aber was weit wichtiger ist, es gibt noch ein Interesse, was die anschauliche Form und den daran geknüpften Inhalt in Eins betrifft, also sich dem Entweder Oder der Formästhetiker und Gehaltsästhetiker entzieht, mag auch der erstere geneigter sein, es auf seine Seite zu schlagen. Jedenfalls wird man es besser ein formales als ein Form-Interesse nennen, um es nicht mit dem Interesse an der anschaulichen Form zu vermengen und zu verwechseln. Versuche ich, es mit drei, doch der Auslegung noch bedürftigen, Worten zu bezeichnen, so ist es das, in früher (Abschn. VI, VII, VIII) besprochenen Prinzipien begründete, Interesse an Wahrheit, Einheit und Klarheit, was weit über das ästhetische Gebiet hinaus aber auch tief in dasselbe hineingreift. Genüge es, hier Folgendes in dieser Beziehung zurückzurufen.

    Jedes Bild hat die Aufgabe, etwas darzustellen, was, sei es in der Wirklichkeit sei es in unserer Vorstellung, erstenfalls bestimmt, zweitenfalls mehr oder weniger unbestimmt schon vorgegeben ist. Wir freuen uns nach unserem Wahrheitsinteresse, wenn kein Widerspruch zwischen dem, was dargestellt werden soll, und der Darstellung im Bilde sich geltend macht, so mehr je größer die Gefahr des Widerspruches ist. Die Wirklichkeit und eigene Vorstellung kann uns diese Freude nicht gewähren, weil dieselbe eben nur in einem Verhältnisse der Übereinstimmung des Kunstwerkes damit beruht.

    In der Wirklichkeit liegt ferner viel zusammen, was sich für unsere Auffassung nicht unter einen einheitlichen Gesichtspunkt fügt, aber wir haben Freude an der einheitlichen Verknüpfung des Mannigfaltigen, und danken der Kunst auch diese Leistung. Das Interesse der Wahrheit würde die Kunst an sich nicht hindern, Alles so wiederzugeben, wie es liegt, aber sie faßt ihre Ideen so und führt sie so aus, daß der Bedingung der einheitlichen Verknüpfung alles Einzelnen möglichst genügt wird.

    In der Wirklichkeit versteckt sich ferner das Wesentliche oft hinter dem Unwesentlichen, tritt das, an was sich das Interesse hauptsächlich knüpft, nicht in das Hauptlicht, bleiben Beziehungen, um die es zu tun ist, unklar; wir erfreuen uns aber der klaren Darstellung eines Redners, der diesen Mängeln in seiner Darstellung abhilft, selbst wenn seine Rede einen Gegenstand betrifft, der uns an sich nicht interessiert, indes uns die unklare Darstellung des interessantesten Stoffes abstößt; wie es uns aber mit einer Rede geht, geht es uns mit jedem Kunstwerk.

    Noch Eins, was zwar nur nebensächlich ist, doch nicht vergessen werden darf. Nach Allem, was geltend gemacht worden ist, bewundert man auch den Künstler, der die schwierige und so selten ganz gelingende Aufgabe erfüllt hat, Alles am Werke zu einer vollendeten Leistung zu fügen, und in dieser Bewunderung des Künstlers liegt etwas, was sich zugleich als Freude an seinem Werke geltend macht. Bewundert man doch sogar Kraftkünstler und Seiltänzer wegen der Überwindung von Schwierigkeiten, die uns als solche erscheinen, und findet Vergnügen in der bewundernden Anschauung solcher Leistungen, ungeachtet diese an sich zwecklos sind; um so leichter und lieber wird man den Künstler bewundern und Genuß in bewundernder Anschauung seines Werkes finden, wenn die Überwindung der Schwierigkeit einen Erfolg hat, der auch abgesehen von der Überwindung der Schwierigkeit uns gefällt; nur muß man im Auge haben, daß diese Überwindung selbst mit zu den Momenten, die gefallen, zählt und sich mit den anderen dazu hilft.

    Man sieht jedenfalls, daß mancherlei Momente zum Gefallen an einem Kunstwerke beitragen, die sich nicht klar und einfach nach den Kategorien von Form und Inhalt scheiden lassen. Es sind Momente, die in die künstlerische Darstellung jeder Art von Formen, der häßlichsten wie schönsten, so wie jeder Art von Inhalt, des bedeutungslosesten wie erhabensten, eingehen, weder den Reiz der anschaulichen Form noch den Reiz des angeknüpften Inhaltes an sich angehen, wohl aber ihrem Reize, wo ein solcher vorhanden ist, den eigenen Reiz hinzufügen, und wo er nicht vorhanden ist, dem Kunstwerke einen solchen noch geben können.

    Im Grunde nun hat der Künstler alle Momente, die zum Gefallen an einem Kunstwerke beitragen können, so viel wie möglich zu vereinigen; insofern solche aber auch in Konflikt mit einander kommen können, nur darauf zu achten, daß unlustgebende Momente im Ganzen durch lustgebende überwogen und versöhnt werden.

    Nun freilich möchte der philosophische Ästhetiker für die aufgezählten verschiedenartigen Gesichtspunkte, aus denen ein Kunstwerk zu schätzen sein soll, — will sagen, nach dem Reize der anschaulichen Form dem Reize des daran angeknüpften Inhalts, formalen Vorzügen angegebener Art, — einen aus dem Begriffe der Schönheit oder Kunst abgeleiteten einheitlichen haben; nur daß bisher keiner aufgestellt ist, der eine solche Aufzählung wirklich ersetzte. Noch ist der Stein der Schönheit nicht gefunden, mit dem man, wie mit einem Stein der Weisen, einen Gegenstand nur begrifflich zu bestreichen brauchte, um denselben schön zu finden. Womit nicht gesagt sein soll, daß die obige Aufzählung und Nebeneinanderstellung die zulänglichst mögliche ist; jeder Ästhetiker wird seine Forderungen an das Kunstwerk etwas anders formulieren, einteilen und gruppieren; im Wesentlichen werden sie immer auf obige herauskommen; niemals aber werden die Vorzüge, aus denen ein Kunstwerk zu schätzen, sich rein und einseitig auf Vorzüge der Form oder solche des Inhaltes zurückführen lassen, es sei denn durch entsprechend einseitig gewandte Definitionen von Form und Inhalt.

    Unstreitig zwar gibt es wirklich einen einheitlichen Gesichtspunkt, aus dem sich alle obigen oder sonst irgendwie an das Kunstwerk zu stellenden Forderungen ableiten lassen, es ist der, daß es in seiner unmittelbaren Auffassung ein möglichst reines und ein höheres als bloß sinnliches (doch dies nicht ausschließendes) Wohlgefallen zu erwecken habe; aber dazu gibt es verschiedene Angriffspunkte im Menschen, die sich noch unter keine zulängliche und klare Formel habe vereinigen lassen, wenn schon sie sich unter erfahrungsmäßige Gesetze bringen lassen. Wie man nun auch Form und Inhalt unterscheiden mag, so haben beide ihre Angriffspunkte im Menschen.

    Es macht aber die Unsicherheit ihrer Unterscheidung überhaupt die Kategorien von Form und Inhalt nicht sehr brauchbar, an die Spitze ästhetischer Betrachtungen, wozu sie doch im Streite der Formästhetiker und Gehaltsästhetiker erhoben werden, zu treten.

    Im Allgemeinen ist es mit Beurteilung eines Kunstwerkes wie mit Beurteilung eines Menschen, an dem man Mancherlei loben und Mancherlei vermissen kann, ohne eine Formel zu haben, nach der man ihn in Bausch und Bogen zulänglich beurteilen könnte. Sollte man sich etwa auch bei einem Menschen streiten, ob er mehr nach seiner Form oder seinem Gehalt zu beurteilen sei? Aber niemand wird hier diese Kategorien recht brauchbar finden. Man würde gleich fragen: wäre nicht vor allem erst die anschauliche Form und die Form des daran angeknüpften geistigen Inhalts zu unterscheiden? Ist nicht aber die Beschaffenheit des Inhaltes selbst durch seine innere Form bestimmt und kann man also vom Inhalt sprechen ohne seine Form mit inzubegreifen? Ich wüßte aber nicht, wiefern sich nicht ganz dasselbe betreffs Beurteilung und Schätzung eines Kunstwerkes sagen ließe. Auch hätte sich aus diesem allgemeinen Gesichtspunkt der ganze Streit zwischen Form-Ästhetik und Gehalts-Ästhetik von vorn herein als unfruchtbar abweisen lassen; da er aber doch einmal geführt wird, so suchte ich ihm im Vorigen noch so weit als möglich sachlich beizukommen; wozu noch folgende Bemerkungen etwas beitragen mögen.

    Wenn Formästhetiker das Interesse an Kunstwerken als ein eigentümliches Interesse in Anspruch nehmen, was sich außerhalb der Kunst weder in der natürlichen Wirklichkeit, noch Wissenschaft, Geschichte, Mythos u. s. w. trotz Gemeinsamkeit des Inhalts mit der Kunst, sondern eben nur durch die Formgebung der Kunst befriedigen lasse, so haben sie freilich insofern Recht, als die Kunst überhaupt Bedingungen unmittelbaren Gefallens zuzuziehen, zu kombinieren und in der Wirkung zu steigern vermag, wie es die kunstlose Natur, Wissenschaft u. s. w. nicht versucht und nicht vermag, wozu auch sonst eine Kunst. Die Kunst hat ja eben, wie wir sagten, den Zweck, unmittelbar ein möglichst reines und ein höheres als bloß sinnliches Wohlgefallen zu erwecken, nimmt also auch in ihren Werken Mittel dazu möglichst zusammen und erreicht damit Erfolge, wie sie sonst nirgends erreichbar sind. Aber der einseitige Formästhetiker fehlt dabei leicht in dreifacher Hinsicht.

    Er fehlt erstens, wenn er die Eigentümlichkeit der Kunstwirkung in etwas Anderem sucht, als eben in der Unmittelbarkeit, Reinheit und Höhe der Lustwirkung, welche sich durch einheitliches Ineinanderarbeiten aller zu Gebote stehenden Mittel des Gefallens erzeugen läßt. In den einzelnen Mitteln hat die Kunst gar nichts vor anderen Gebieten voraus noch Eigentümliches für sich. In den formalen Bedingungen des Gefallens tut es die Wissenschaft der Kunst nicht nur gleich, sondern in Wahrung der Wahrheitsforderung sogar noch zuvor, weil diese in ihr eine allen anderen Forderungen übergeordnete Stellung hat, indes sie in der Kunst bei Konflikten mit anderen Forderungen so viel nachgeben muß, daß doch im Ganzen mehr an Lust gewonnen als verloren wird, weil eben nicht die Forderung der Wahrheit sondern der Lust hier die höchste Stelle einnimmt. Indes aber die Wissenschaft in dieser Beziehung der Kunst vielmehr voransteht als nachsteht, kümmert sie sich bei den Gegenständen, die sie behandelt, nicht um einen Reiz, sei es der anschaulichen Form oder des angeknüpften Inhaltes. Die Kunst hingegen tut es. Aber sie wird oft von der natürlichen Wirklichkeit darin nicht nur erreicht, sondern übertroffen. So schön der Maler ein Gesicht malen mag, den lebendig wechselnden Ausdruck kann er nicht malen; und wie sieht ein gemalter Sonnenaufgang aus? Aber die natürliche Wirklichkeit erfüllt die Forderungen in dieser Hinsicht selten rein, und bleibt immer hinter den formalen Forderungen zurück, ja die Forderung der Wahrheit kommt besprochnermaßen bei ihr gar nicht zur Geltung, und wie viel kann doch zum Gefallen an einem Kunstwerk beitragen, daß es mit seiner Charakteristik ganz aus dem Leben gegriffen scheint. In diesen Beziehungen wird die Wirklichkeit von der Kunst unsäglich überboten. Diese arbeitet nun die formalen Vorzüge in die sachlichen der anschaulichen Form und des angeknüpften Inhaltes hinein oder diese im Sinne von jenen aus, und steigert beide dadurch wechselseitig in ihrer Wirkung, wie es weder Sache der Wissenschaft noch der natürlichen Wirklichkeit ist.

    Indem solchergestalt die Kunst alle Mittel des unmittelbaren Gefallens, über die sie zu verfügen hat; und über welche die anderen Gebiete teils nicht vollständig, teils nicht rein verfügen, nicht nur äußerlich neben einander, sondern in einheitlicher Verknüpfung, nur begrifflich nicht sachlich scheidbar, in Wirkung setzt, entsteht eine Lustresultante, die auch nicht als ein Nebeneinander der einzelnen Wirkungen zu betrachten ist, sondern sich in Qualität von jeder insbesondere unterscheidet und nach dem Prinzip der ästhetischen Hilfe auch die Summe der einzelnen an Größe übersteigt, dabei aber, statt überall dieselbe monotone Qualität zu haben, die man als spezifische Kunstwirkung fassen möchte, vielmehr bei jedem Kunstwerke nach Maßgabe des Vorwiegens anderer Bedingungen des Gefallens eine andere ist.

    Der Formästhetiker fehlt zweitens, wenn er die Umwandlung, die der Künstler an den von der Natur, Geschichte u. s. w. dargebotenen Stoffen vornimmt, um sie seinem Zwecke dienstbar zu machen, bloß auf die Form bezieht, da der Inhalt nicht minder dadurch abgeändert wird, wie man auch Form und Inhalt von einander unterscheiden mag.

    Er fehlt drittens, wenn er das Interesse und den Wert von Kunstwerken bloß an das knüpft, was die Kunst über Natur, Geschichte u. s. w. hinaus hat oder durch deren Umformung anders macht; da vielmehr alle Bedingungen unmittelbaren Gefallens, welche die Kunst aus anderen Gebieten zur Erfüllung ihres Zwecks in ihre Werke hinüberzunehmen vermag, dazu beitragen, indem sie zu eigenen Bedingungen des Gefallens für sie werden.

    Glaubt man zwar, durch solche Unterscheidung etwas gewinnen zu können, so mag man immerhin den Kunstwert eines Kunstwerkes vom ganzen Werte desselben unterscheiden, ersteren als nur auf Momente gehend, welche die Kunst hinzubringt, oder auf das Andere, was die Kunst aus den dargebotenen Stoffen macht, letztere als auf alle Momente gehend, wegen deren ein Kunstwerk zu schätzen und zu suchen ist, nur daß man nicht letzteren Wert durch ersteren erschöpft halte; wie der Wert eines Schuhes nicht durch die Arbeit des Schuhmachers daran erschöpft ist; es kommt auch auf die Güte des Stoffes an, den er dazu nimmt.

    In der Tat sieht man nicht ein, warum nicht Alles, was an einem Bilde zum Gefallen beitragen kann, sofern es nur nicht anderem und größerem Gefallen im Wege steht, auch dazu beitragen soll, und wie von dem, was sich wechselseitig zum Gefallen hilft und steigert, dies oder das bei der Frage ausgeschieden werden kann, was das Kunstwerk im Ganzen wert ist. Warum soll man eine sinnliche Formwohlgefälligkeit verachten, wenn sie nur die Charakteristik und die Befriedigung höherer Forderungen nicht beeinträchtigt; warum die sixtinische Madonna nicht für ein schöneres und wertvolleres Kunstwerk halten als eine gleich gut gemalte Marterszene, ungeachtet der Vorzug bloß im größeren Werte des gleich gut herausgestellten Inhaltes liegt; warum nicht Darstellungsstoffen von an sich geringem Form- und Inhaltsinteresse doch gestatten, zur Befriedigung des formalen Interesses und des Interesses an der Leistungsgröße des Künstlers, doch ausgeführt zu werden; warum endlich soll die Freude an dieser Leistungsgröße für nichts zählen. Faktisch und praktisch zählt das Alles; die Theorie ist eine schlechte, die es nicht mit zählt.

    Von anderer Seite fehlt der einseitige Gehaltsästhetiker, erstens, wenn er meint, daß die Kunst weiter nichts leiste, als Gefühle und Empfindungen, die wir außer der Kunst schon haben können, in besonders vorteilhafter Weise zu erzeugen, ohne das höhere einheitliche Gefühl in Rechnung zu bringen, was durch das, nur in der Kunst geschehende, Ineinanderarbeiten der verschiedenen Mittel, wodurch der Mensch lustvoll angesprochen werden kann, zu erzeugen ist; und fehlt zweitens, wenn er die formalen Bedingungen des Gefallens bloß in sofern wert hält, als sie beitragen, einen wertvollen Inhalt ins Licht zu stellen, ohne ihren eigenen Lustwert in Rechnung zu ziehen.

    Beide aber scheinen mir zu fehlen, insofern sie überhaupt eine Frage stellen; zu beantworten suchen und Betrachtungen über Kunst von höchster Höhe an eine Frage knüpfen, die sich bei der Unbestimmtheit, wie Form und Inhalt auseinander zu halten sind, von vorn herein weder klar stellen noch nach allen Erörterungen darüber einfach beantworten, oder im Sinne der Fragestellung nach einer oder der anderen Seite bestimmt entscheiden läßt.

    Um diese Unbestimmtheit nicht sowohl zu heben, als auf einige allgemeine Gesichtspunkte zurückzuführen, schließe ich endlich mit folgenden Bemerkungen.

    Unstreitig wird eine, auf den Grund gehende, Betrachtung immer zu einer solchen Auffassung des Inhaltes der Form gegenüber im Kunstgebiete führen, wonach alles an den direkten Eindruck einer sinnlichen Form geistig Angeknüpfte zum Inhalte geschlagen wird, weil kein festes und klares Prinzip einer anderen Abgrenzung des Inhalts, wenn einmal abgegrenzt werden soll, vorliegt. Doch kann man auch, um sich mit geläufigen Betrachtungsweisen zu begegnen, darauf eingehen, den Inhalt so zu sagen in beliebiger Höhe oder Allgemeinheit abzugrenzen und die ganze Weise, wie sich derselbe ausführt, zur Darstellungsform rechnen, ohne dabei vergessen zu dürfen, daß die Form dann doch viel von assoziiertem Gehalt einschließt, und daß die Abgrenzung eine willkürliche ist. Erläutern wir es am Eingangsbeispiel.

    Um den Inhalt der Darstellung, daß Bacchus dem Amor einen Trank reicht, sehr allgemein zu fassen, könnte man ihn in die Idee zusammenfassen, — Idee aber ist ein auf einen mehr oder weniger allgemeinen Gesichtspunkt reduzierter Inhalt — daß eine ältere und eine jüngere Person sich in einem anmutigen Verhältnisse begegnen. Dann ist es schon eine besondere Form, in der sich diese Idee, dieser Inhalt ausspricht, daß es eben Bacchus und Amor sind, die sich so begegnen. Aber man könnte das auch gleich in die Idee aufnehmen. Dann ist Sache der Darstellungsform, daß sie sich in Darreichung eines Tranks begegnen. Auch dies läßt sich in die Idee aufnehmen; dann bleibt für die Darstellungsform übrig, wie sich die Gestalten, die Gesichtszüge, die Stellungen, die Gewänder präsentieren. Und will man endlich auch das in die Idee aufnehmen, denn es besteht keine Grenze darin, so bleibt endlich noch die Weise, wie die Formen sich ins Einzelnste ausführen, die Art der Pinselführung, die ganze Technik der Malerei als Letztes der Darstellungsform.

    Je weniger man nun in den Begriff des Inhaltes, die Idee desselben aufnimmt, d. h. je abstrakter man ihn faßt, desto mehr Gewicht fällt von selbst der Form zu; je erschöpfender man ihn faßt, desto mehr gewinnt der Inhalt an Bedeutung. Nun gibt es extreme Formästhetiker unter den Beurteilern, Beschauern und Künstlern, die den Wert eines Kunstwerkes fast bloß nach den untersten artistischen Formbedingungen beurteilen, ohne freilich im Stande zu sein, sie von den oberen recht abzugrenzen; ein Bild soll vor Allem gut gemalt sein, nach etwas Anderem fragen sie nicht oder halten das Andere nur für ein Mittel, eine gute Malerei an den Mann zu bringen. Von anderer Seite gibt es extreme Gehaltsästhetiker, wohin hauptsächlich die in Kunstbetrachtung ungeübten Laien gehören, die sich gar nicht um diese letzte Formstufe kümmern. Der volle Kenner, der nur aus großer Übung mit offenem Blicke erwächst, weiß Alles am Kunstwerke zu würdigen und zu schätzen, was wirklich zum Gefallen daran nicht nur beiträgt, sondern auch beizutragen berechtigt ist.

    In letzter logisch-metaphysischer Instanz versteht man unter Form überhaupt die Verbindungsweise des Einzelnen, unter Inhalt, Stoff das Einzelne, was verbunden ist. Insofern aber das Einzelne nicht ein Einfaches ist, sondern selbst eine Mehrheit noch in sich verbunden enthält, läßt sich Form und Stoff nicht sachlich scheiden, und hängt die Beschaffenheit jedes gegebenen Stoffes, Inhaltes selbst wesentlich von der Verbindungsweise des ihm untergeordneten Stoffes ab. Nun wird Niemand dem Einfachen eine ästhetische Bedeutung beilegen, und wollte man einen Gegenstand bis ins Letzte zerlegt denken, so würde bei ästhetischer Betrachtung desselben der Formästhetiker unbedingt Recht behalten; Alles kommt da auf die Verbindungsweise an, und so verstanden, wäre ein Streit zwischen Form-Ästhetik und Gehalts-Ästhetik überhaupt nicht möglich. In der Tat aber wird Form und Stoff bei diesem Streite in ziemlich unbestimmter Weise anders unterschieden, wonach man sich dann allerdings eben so über die zu machende Unterscheidung, als das danach zu fällende Urteil streiten kann, ohne die sachlich belangreichen Gesichtspunkte überhaupt damit scharf fassen zu können.

    Ich gestehe nun freilich, daß ich auch die allgemeine Frage über die Aufgabe der Kunst lieber durch Bezugnahme auf andere Hauptkategorien als Form und Inhalt behandelt sehen möchte; doch ist nicht meine Absicht, mich mit dem philosophischerseits darüber geführten Streit sei es auseinanderzusetzen, sei es in denselben zu mischen, wenn schon es ohne Begegnung damit nicht abgehen konnte.