Ein- und Ausdrucksversuche
als Methoden der Gefühlsanalyse

Text: Maximilian Wontorra


Bei der Eindrucksmethode geht es darum, mittels bestimmter Stimuli Vorstellungsinhalte hervorzurufen, an die wiederum Gefühle geknüpft sind. Die Gefühlsanalyse will also herausfinden, welche Reize welche vorstellungsvermittelten Gefühle bedingen, was wiederum direkt nur durch Befragung der Probanden herausgefunden werden kann.

Die Ausdrucksmethode macht sich zunutze, daß nach langer Erfahrung Gefühle fast immer entsprechende physiologische Korrelate haben und man aus der Änderung bestimmter physiologischer Parameter auf die Änderung der Gefühlslage des Probanden rückschließen kann, und das meist besser, als es die Probanden verbalisieren können. Als zu messende physiologische Ausdrucksvariablen kamen zu Wundts Zeiten hauptsächlich die Pulsfrequenz und Pulsamplitude, der Volumenpuls, die thorakale und abdominale Atemfrequenz und Atemtiefe sowie die Muskelermüdung in Betracht.

Pulsfrequenz und -amplitude wurden mittels eines sog. Sphygmographen gemessen (vgl. Abb. 1). Hierbei wurde dem Probanden mittels einer Schiene ein Kissen auf den radialen Puls geschnallt. Dieses Kissen war über eine Stange mit einer komprimierbaren Luftkammer (dem sog. Tambour) verbunden. Die Pulsschläge wurden durch den Sphygmographen also bzgl. Frequenz und Amplitude in die Luftdruckschwankungen im Inneren dieser Kammer umgesetzt. Durch eine Schlauchverbindung wurden diese Variablen auf eine Schreibnadel an dem entsprechenden Registriergerät, in aller Regel einem Kymographion, übermittelt.

Sphygmograph

Abb. 1:  Sphygmograph

Die Volumenpulsmessung wurde mit einem sog. Plethysmographen durchgeführt. Bei dieser Messung wurden nicht nur die sich rasch ändernden Variablen Pulsfrequenz und -amplitude aufgezeichnet, sondern auch das langsamer sich ändernde Volumen der Extremitäten, bevorzugt der Hand oder des Unterarms. Hierbei wurde der Vasomotorik der entsprechenden Extremität Rechnung getragen. Wenn sich die Gefäße der fraglichen Extremität enger bzw. weiter stellen, was ebenfalls ein wichtiger physiologischer Indikator ist, wirkt sich das auf das Blutvolumen und somit auf das Gesamtvolumen des Organs aus. Der Plethysmograph wirkte nach dem Verdrängungsprinzip, d.h., die Extremität wurde in ein mit Wasser gefülltes Gefäß gebracht und bei Volumenänderung der Extremität zeigte sich das in einem entsprechenden Ansteigen bzw. Fallen des Wasserspiegels. Abb. 2 zeigt eine Plethysmograph-Konstruktion nach Lehmann. Die Hand/der Unterarm des Probanden wurde von rechts so in das Glasgefäß G gebracht, daß der Ellenbogen in der anpaßbaren Armstütze A zu liegen kam. Mittels einer Kautschuk-Manschette wurde das Gefäß dann rechts um das Handgelenk/den Unterarm des Probanden luftdicht verschlossen. Über einen Zulauf H wurde anschließend das Gefäß G aus einem höhergelegenen Vorratsbehälter solange mit lauwarmem Wasser aufgefüllt, bis alle Luft ausgetrieben war und der Wasserspiegel in etwa die halbe Höhe des Steigrohrs R erreicht hatte. Dann wurde der Zufluß durch einen Hahn bei H unterbrochen. Das Steigrohr R ging in ein Kautschukrohr geringen Durchmessers über, das seinerseits wieder zu einem entsprechenden Schreibgerät an einem Kymographion führte.

Plethysmograph
Plethysmograph

Abb. 2a, b:  Plethysmograph nach Lehmann

Abb. 3a zeigt ein solches Schreibgerät in Form eines Mareyschen Tambours mit Schreibnadel. Bei diesem Gerät wurden die ankommenden Luftdruckschwankungen in Auslenkungen der oben liegenden Membran übersetzt und mittels der durch ein Gegengewicht (die schwarze Kugel in der Abb. 3a) ausbalancierten Schreibnadel mit einer entsprechenden Hebelübersetzung in eine Kymographen-Spur überführt. Abb. 3b zeigt eine Variante dieses pneumatischen Schreibgeräts. Die ankommenden Luftdruckschwankungen schoben bzw. zogen einen Kolben nach oben/unten. Die Kolbenbewegungen wurden dann auf eine Schreibnadel übertragen.

Mareyscher Tambour
Kolbenschreiber

Abb. 3a, b:  Mareyscher Tambour und Kolbenschreiber

Abb. 4 zeigt die Atem- und die Volumenpulskurve eines Probanden (die untere Linie markiert wahrscheinlich den On- und Offset des Treatments), bei dem eine Depression durch eine entsprechende Suggestion, bspw. die Anweisung, niedergeschlagen zu sein, hervorgerufen wurde. Hier ist gut zu sehen, daß sich in der Volumenpulskurve diverse Momente überlagern. Erstens hat diese Kurve - frequenzanalytisch gesprochen - einen hohen und einen niederen Frequenzanteil. Der hohe Frequenzanteil ist ganz offensichtlich dem Herzschlag geschuldet. Der niedrige Anteil (das Absinken des Kurvenniveaus) geht, wenn man Artefakte einmal für ausgeschlossen hält, was nach Wundt nicht so ohne weiteres zu gewährleisten ist, auf das Konto der Vasomotorik, d.h., die suggerierte Depression ist mit einem Engerstellen der Gefäße verbunden und führt daher zu einer Volumenabnahme der registrierten Extremität. Zudem zeigt sich, daß bei gleichbleibender Frequenz die Amplitude des Pulses bei dieser Suggestion abnimmt, während (siehe obere Kurve) die Atemfrequenz steigt.

Kolbenschreiber

Abb. 4:  Atem- und Volumenpulskurve

Atemfrequenz und Atemamplitude wurden mit einem sog. Pneumographen gemessen. Das Gerät (s. Abb. 5), das in dieser Form eher an eine Eiserne Jungfrau als ein psycho-physiologisches Meßinstrument erinnert, wurde dem Probanden mittels der Bänder b und b' so um Thorax und/oder Abdomen geschnallt, daß die Atembewegungen auf die flexible Stahlplatte P und über den daran befestigten Scharnierhebel auf den Luftsack wirkten. Die Druckschwankungen im Inneren des Sacks wurden über eine Schlauchverbindung auf die oben beschriebenen Registriergeräte übermittelt.

Pneumograph

Abb. 5:  Pneumograph

Als ein Instrument, mit dem man die Ermüdung von Muskeln unter dem Einfluß von Gefühlszuständen aber auch als Funktion anderer physischer und psychophysischer Einflüsse gemessen hat, ist der Ergograph (s. Abb. 6) zu nennen. Bei diesem Gerät wurden der Unterarm auf einer gepolsterten Unterlage und Zeige- sowie Ringfinger in jeweils einer Röhre so justiert, daß nur der Mittelfinger beweglich blieb. An diesen wurde die Kraft eines frei hängenden wohldefinierten Gewichts via Umlenkrolle übertragen. Der Proband mußte im Sitzungsverlauf in bestimmten zeitlichen Abständen das Gewicht mit seinem Mittelfinder anheben. Die Bewegung des Gewichts wurde entweder direkt an einer am Ergographen angebrachten Vorrichtung abgelesen oder - präziser - via eines sog. Vertikalschreibers (s. Abb. 7) in eine Spur auf einem Kymographion umgesetzt.

Ergograph nach Mosso
Vertikalschreiber

Abb. 6, 7:  Ergograph nach Mosso und Vertikalschreiber

In Abb. 8 ist eine kymographische Spezialkonstruktion nach Wundt zu sehen, die sich infolge ihrer Lagertechnik, der Paßgenauigkeit der Uhrwerkszahnräder, der Schallisolierung des Uhrwerks und anderer dämpfender Vorrichtungen als sehr geräuscharm für psychologische Experimente besonders eignete. Denn der Proband sollte nach Möglichkeit nur die versuchsmäßig variierten Stimuli und sonst gar nichts wahrnehmen. Für längere Meßreihen war dieses Kymographion, dessen Rotationsgeschwindigkeit über die Variation der Antriebsgewichte, die Stellung der Windfangflügel sowie eine Friktionsrolle am unteren Ende der Trommelachse zwischen 10 und 100 mm/sec variiert werden konnte, infolge seines beschränkten Umfangs weniger geeignet. In diesem Fall bot sich die in Abb. 9 dargestellt Variante an, bei der ein Endlosstreifen über zwei Rollen geführt wurde (sog. Heringsche Schleife), was eine bedeutend längere Aufzeichnung ermöglichte.

Kymographion nach Wundt

Abb. 8:  Kymographion nach Wundt

Heringsche Schleife

Abb. 9:  Heringsche Schleife

Die Spur auf dem Kymographion wurde entweder als weiße Nadelritzung auf dem zuvor gerußten Papier geschrieben und anschließend mit Mastixlösung (Mastix = Harz des Mastixbaums) fixiert oder aber mit Tinte, die mittels eines sog. Pfeifchens (nach Ludwig) aufgetragen wurde. Diese Glaspfeifchen bestanden aus einem großvolumigen Vorratsbehälter, der in eine Nadelspitze mit entsprechend feiner Öffnung überging (vgl. Abb. 10), so daß die Tinte durch die Adhäsionskräfte im Glasgefäß blieb und erst bei Kontakt mit Papier durch dessen Kapillarwirkung eine feine Tintenspur abgesondert wurde.

Ludwigsche Pfeifchen

Abb. 10:  Ludwigsche Pfeifchen

Anhand dieser technischen Geräte versuchte Wundt, die physiologischen Korrelate zu den Grundformen der Gefühle zu finden. Diese Grundgefühle ließen sich, so Wundt, in einem dreidimensionalen Raum darstellen (vgl. Abb. 11), dessen drei Kontinua Lust-Unlust, Erregung-Beruhigung und Spannung-Lösung seien. Jedem Gefühl entspräche somit ein Punkt in diesem Raum. Ein typischer Gefühlsverlauf ist nach Wundt in der Abb. 12 dargestellt: Die Unlust nimmt über der entsprechenden Achse zu, was mit einer bestimmten Verzögerung zu einem Anstieg der Erregung und auch zu einem Anstieg der Spannung führt. Wenn der Grad der Unlust wieder abnimmt und sich dem Indifferenzpunkt nähert, dann würde auch die Spannung wieder abnehmen usf.

Grundformen der Gefühle als dreidimensionale Mannigfaltigkeit nach Wundt

Abb. 11:  Grundformen der Gefühle als dreidimensionale Mannigfaltigkeit nach Wundt

Schematische Darstellung eines Gefühlsverlaufs nach Wundt

Abb. 12:  Schematische Darstellung eines Gefühlsverlaufs nach Wundt

Mit den physiologischen Indikatoren Puls und Atmung stellte Wundt den empirisch gewonnenen Bezug zu den besagten drei Dimensionen her (s. Abb. 13), was folgendermaßen zu lesen ist: Ein Puls hoher Amplitude und niederer Frequenz und schnelle, aber flache Atmung sei das physiologische Korrelat der Lust. Ein schneller, schwacher Puls und eine gleichzeitig langsame, tiefe Atmung sei der physiologische Ausdruck der gefühlsmäßigen Unlust etc.

Korrelation von Physiologie und Gefühlsdimensionen nach Wundt

Abb. 13:  Korrelation von Physiologie und Gefühlsdimensionen nach Wundt



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