Pressemitteilung 2020/135 vom

Bill Gates hat das Virus in die Welt gesetzt, die Regierung will die Bürger mit dem Virus versklaven und am Ende gibt es überhaupt kein Virus: Verschwörungen wie diese geistern seit Beginn der Corona-Krise durch die sozialen und alternativen Medien. „Viele Krisen erzeugen Angst und Ohnmachtsgefühle und sind mit Unsicherheit und Ungewissheit behaftet. Menschen streben aber nach Sicherheit und Gewissheit, nach Mustern, Sinn und Kontrolle“, sagt Kommunikationswissenschaftler Dr. Uwe Krüger. Der Sozialpsychologe Dr. Oliver Decker sieht das ähnlich: „Diese Annahmen reduzieren Komplexität, gestatten es zudem, eigene Ängste zu binden und Aggressionen berechtigterweise zu äußern – man wird ja schließlich von einer bedrohlichen und viel stärkeren, anonymen Macht verfolgt.“ Woran man Verschwörungstheorien erkennt, wem sie dienen und welche Schwäche der Mainstream-Medien sie in Krisenzeiten ausnutzen – eine interdisziplinäre Perspektive.

Verschwörungstheorie ist ein Wort, mit dem sich die Wissenschaft schwertut. Der Begriff sei zu schwammig und zu ungenau. "Er wird häufig als Kampfbegriff gegen alternative Deutungen oder unliebsame Mutmaßungen verwendet. Das delegitimiert potenziell auch berechtigte Kritik. Zudem handelt es sich nicht um Theorien im wissenschaftlichen Sinn", sagt Dr. Uwe Krüger, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Daher splittet er das Phänomen auf in Verschwörungshypothesen, die rational begründet und empirisch korrekturfähig sind, und Verschwörungsideologien, die abseits aller Fakten bestimmte Feindbilder bedienen und sich gegen Korrekturen und Argumente immunisieren.

Der Wunsch nach Sicherheit und autoritären Reaktionen
Dr. Oliver Decker vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung (KReDo) führt neben den Theorien und Ideologien noch den Begriff der Verschwörungsmentalitäten an. Sie bezeichnen das Bedürfnis, diese Ideologien zur Verfügung zu haben. Es klingt scheinbar paradox, denn gerade das Erleben einer Bedrohung bringt den Anhängern dieser Mutmaßungen und Ideologien Sicherheit: "Sie liefern die Chance, den psychischen Druck, den die Bedrohung erzeugt, zu entlasten: Man weiß, wer der ‚Feind‘ ist und kann dann die Spannung in Gegenstrategien abführen. Innerpsychische Konflikte, welche für Individuen nicht aushaltbar oder integrierbar sind, werden in die Außenwelt verlagert und können so leichter ausgehalten werden. Zudem bieten Ideologien die Möglichkeit, sich als Teil einer größeren Gruppe zu erleben oder sie ja tatsächlich zu bilden", sagt Decker. Zugleich beobachtet er den Wunsch nach autoritären Maßnahmen in der Öffentlichkeit. In einer Lage, die durch Unwissen geprägt ist, sei es sehr wichtig, dieses Unwissen auch zu formulieren. "Menschen wünschen sich eine Autorität, die sagt, was richtig und falsch, was notwendig und geboten ist. Auch das entspringt dem Wunsch nach Sicherheit – einer autoritären Sicherheit, die durch Konventionen Leitplanken liefert. Die Kehrseite ist autoritäre Aggression gegen ‚Abweichende‘."

Von geheimen Kräften und der Entscheidungsschlacht
Allgemeingültige Merkmale einer Verschwörungsideologie lassen sich laut Krüger nur schwer ausmachen. Meist sind es Erzählungen, die von mächtigen Akteuren handeln, die sich im Geheimen zusammentun, um dem Gemeinwohl zu schaden und ihre partikularen Ziele durchzusetzen. "Stößt man nun auf eine Annahme wie die, dass Bill Gates am Ausbruch der Corona-Krise schuld ist, weil ein von seiner Stiftung unterstütztes englisches Institut Patente am Impfstoff gegen das Coronavirus halten soll und Gates vom Ausbruch der Seuche profitiere, dann gilt es, diese Sinnkonstruktion kritisch zu hinterfragen", rät Uwe Krüger. "Das heißt, es gilt zu prüfen: Stimmen die einzelnen Fakten? Und ist der Zusammenhang, der zwischen ihnen hergestellt wird, beziehungsweise die Deutung der Fakten, plausibel?" Neben diesen Ideologien zu den Hintergründen der Bedrohung, nutzen andere die Krise selbst als Mittel zum Zweck. Gerade bei rechten Gruppierungen komme die Idee einer Entscheidungsschlacht auf, die von einer bisher im Hintergrund agierenden, guten Macht gegen die Mächte des Bösen geführt wird, sagt Oliver Decker. "Es gibt einen kulturellen Referenzrahmen, mit Krisen umzugehen und einer ist die Phantasmagorie der Apokalypse – einer reinigenden Endschlacht, bevor das Paradies kommt."

Alternativmedien genauso kritisch konsumieren
Sich in alternativen Medien zu informieren, hält Kommunikationswissenschaftler Krüger auch in Corona-Zeiten für legitim. "Wir beobachten bei Krisen häufig das Phänomen, dass die großen Medien aus verantwortungsethischen Motiven heraus – wenn es um Leben und Tod geht, wie bei Kriegen und außenpolitischen Krisen oder jetzt eben einer Pandemie – phasenweise ihre Funktionen der Machtkritik und der Gewährleistung von Meinungsvielfalt und demokratischem Diskurs vernachlässigen." Diese Ansicht teilt Oliver Decker: "Es kommt auf die Diskussion an – deliberative Demokratie heißt in der Praxis: abwägen, Argumente austauschen, gemeinsam überlegen. Das kommt gegenwärtig etwas zu kurz und das ist tatsächlich auch in der Verantwortung der Medien: Sie beschränken sich momentan zu sehr auf die Begleitung der Krise als ihre kritische Kommentierung." Dennoch sollte sich der Leser bewusst sein, dass auch alternative Experten nicht immer richtigen lägen und alternative Medien zuweilen aus rein ideologischen Gründen gegen den Mainstream seien. "Alternativmedien sollten genauso kritisch wie Mainstream-Medien konsumiert werden", sagt Krüger. Es gelte, Sinnkonstruktionen zu hinterfragen und sich auch auf Websites wie Mimikama und Faktencheck zu informieren, die auf die Entlarvung von Falschmeldungen spezialisiert sind.