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Betroffenheit, Sorge und Fassungslosigkeit herrschen wegen des Krieges in der Ukraine auch am Institut für Slavistik der Universität Leipzig. Leiterin Prof. Dr. Anna Artwinska berichtet im Interview nicht nur über die gedrückte Stimmung bei Studierenden und Lehrenden in diesen schwierigen Tagen, sondern auch über zwei Forschungsprojekte mit einem direkten Ukraine-Bezug, die momentan auf Eis liegen. Sie fordert, das Denken in binären Kategorien: „Osten“ versus „Westen“ zu überwinden.

Welche Stimmung herrscht derzeit in Ihrem Institut in diesen schwierigen Tagen?

Das Institut für Slavistik ist, wie die gesamte Universität, fassungslos. Als der Krieg begonnen hat, haben wir auf unserer Homepage eine Stellungnahme veröffentlicht, in der wir unsere Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern zum Ausdruck bringen und den Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine aufs Schärfste verurteilen. Wegen unserer Forschung sind wir mit vielen Wissenschaftler:innen, Autor:innen und Kulturschaffenden aus der Ukraine in Kontakt; unsere Sorge gilt aber auch den regimekritischen Kolleg:innen aus Russland, die einen offenen Brief gegen den Krieg unterzeichnet haben. Auch sie befinden sich in einer sehr schwierigen Lage. Wir haben zudem viele Studierende aus Russland, Belarus und der Ukraine mit familiären Bezügen in das Kriegsgebiet. Deren Betroffenheit bekommen wir natürlich mit. Außerdem haben wir viele Studierende aus Polen und der Tschechischen Republik, in deren Heimatregionen gerade viele flüchtende Menschen ankommen.

Bei der Beschäftigung mit der Tragödie, die gerade in der Ukraine passiert, muss man jedoch aufpassen, dass man den Krieg nicht für eigene Zwecke instrumentalisiert. Das Entscheidende ist, dass die Gewalt aufhört und nicht unser Befinden. Unser Blick soll in die Ukraine gerichtet sein: Die Universität Charkiv wurde beschossen, die Studierenden und Dozierenden verstecken sich in Bunkern.

Viele Ihrer Kolleg:innen haben vielleicht nicht nur wegen ihrer Forschungsprojekte eine ganz besondere Beziehung zur Ukraine. Können Sie diese beschreiben?

Am Institut für Slavistik laufen im Moment zwei Forschungsprojekte mit einem direkten Ukraine-Bezug. Zum einen handelt es sich hier um das ukrainisch-deutsche Wörterbuch, welches von Dr. Kersten Krüger und Horst Rothe (Universitätsrechenzentrum) geleitet wird, zum anderen um das Projekt „Zwischen Apokalypse und Aufbruch. Zeitgenössische ukrainische Krisenliteratur im deutsch-ukrainischen Tandemübersetzen", welches von Dr. Christian-Daniel Strauch und Oksana Molderf von der Nationalen Iwan-Franko-Universität in Lwiw durchgeführt wird. Beide Projekte haben einen wissenschaftlichen Charakter und sind ein Beispiel dafür, dass sich die Ostslawistik in Leipzig nicht nur auf Forschung über Russland beschränkt. Durch Forschungsinitiativen dieser Art entstehen natürlich besondere Beziehungen zur Ukraine: Dr. Strauch war beispielweise erst im Juni 2021 mit den Studierenden der Slavistik in Lwiw, die Gruppe hat sich mit der ukrainischen Krisenliteratur beschäftigt. 2019 haben an der Universität Leipzig im Rahmen der internationalen Sommerakademie „Gender Studies 1989-2019“ Wissenschaftlerinnen aus der Ukraine über den Feminismus in der Ukraine vorgetragen, es wurde auch in Leipzig der Film „Home Games“ der ukrainischen Regisseurin Alisa Kovalenko gezeigt. Das alles ist in dieser Form nicht mehr möglich.

Welche Folgen und Auswirkungen könnte der Krieg in der Ukraine auf den Austausch von Studierenden und Forschenden haben? Wie, denken Sie, wird sich die Forschung am Institut für Slavistik verändern?

Es ist noch zu früh für Prognosen, aber ich denke, dass der Krieg in aller Deutlichkeit gezeigt hat, dass es nicht gut war, dass in den letzten Jahren in Deutschland so manche slawistische Institute abgewickelt, gekürzt oder umstrukturiert worden sind. Auch wenn solche Studiengänge wie Polonistik, Bohemistik oder eben Ukrainistik nicht besonders stark frequentiert sind, so ist es trotzdem wichtig, dass sie angeboten werden. Es geht doch darum, dass wir hier in Deutschland das östliche Europa verstehen und dass man endlich das Denken in binären Kategorien: „Osten“ versus „Westen“, das aus dem Kalten Krieg stammt, überwindet. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir als Institut für Slavistik in der Zukunft versuchen werden, der ukrainischen Literatur, Sprache und Kultur mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Die Ukrainische Literatur ist eine europäische Literatur, genauso wie die deutsche oder die französische; man soll und darf sie nicht klein reden. Viele Initiativen wie eine Ringvorlesung oder einen Leseabend mit ukrainischer Literatur können und werden wir allein stemmen. Für größere Initiativen braucht man aber Ressourcen.

Gibt es unter Ihren Kolleg:innen Aktionen beziehungsweise Initiativen zur Unterstützung der Ukraine?

Wir haben keine eigene Initiative gestartet, weil es schon genug Möglichkeiten gibt, um öffentlich eine Position gegen den Krieg zu beziehen oder zu spenden. Unsere Studierenden bringen sich dort ein. Wir unterstützen die Initiativen, die Vereine und Fachverbände mit Osteuropabezug ins Leben gerufen haben. Unsere Aufgabe als Institut für Slavistik sehen wir aber primär darin, das Verstehen zwischen den Kulturen zu ermöglichen. Hier liegt unsere Expertise und das ist auch die Aufgabe für die Zukunft.