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Am 6. April 1945 wurde die Bibliotheca Albertina, die große Universalbibliothek der Universitätsbibliothek Leipzig, bei einem Luftangriff schwer beschädigt. Zwei Drittel der Gebäude der Bibliothek wurden zerstört. Hundertausende wichtige und wertvolle Dokumente, Drucke, Manuskripte und nicht zuletzt Bücher blieben jedoch weitestgehend verschont: Bereits am 11. September 1942 war mit der Verpackung des Bestands zur Auslagerung begonnen worden. Bibliotheksdirektor Fritz Prinzhorn, 1933 in die NSDAP eingetreten, ihm wurden enge Verbindungen zum Reichssicherheitshauptamt nachgesagt, hielt frühzeitig nach unauffälligen Lagerorten Ausschau. Konzepte für die Auslagerung waren sogar noch früher erarbeitet worden, schon zwischen 1941 und 1942 waren erste Überlegungen angestellt worden.

Die ersten, besonders wertvollen Stücke – wie der Papyrus Ebers, der Codex Sinaiticus und die beiden Exemplare der Gutenbergbibel – die ab 1938 in einem Geldschrank im Handschriftensaal aufbewahrt worden waren, wurden ab 1941 in den Safes von Banken in Leipzig eingelagert. Ab September 1941 wurden auch die Bücher und weitere Bestände der Bibliothek in die unterschiedlichsten Aufbewahrungsorte verlagert: In Rochlitz wurden Räume im Amtsgericht genutzt, in Mügeln das Gefängnis, in Collm das Observatorium der Universität, in Mutzschen das Schloss. Die wohl ungewöhnlichsten Auslagerungsorte dürften jedoch ein Salzbergwerk in Plömnitz, wo unter anderem auch die Kirchenbibliotheken von St. Nikolai und St. Thomas untergebracht wurden, sowie das Völkerschlachtdenkmal gewesen sein. Am letztgenannten kam der größte Teil der Bibliothek unter – wie Thomas Döring, Mitarbeiter der UBL-Sondersammlungen schreibt, schwanken die Angaben zur Zahl zwischen einer und fünf Millionen Bände.

Wie in Dokumenten in der Altregistratur der UBL nachweisbar ist, waren bei der Auslagerung der Sammlung nicht nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bibliothek selbst eingesetzt, auch bis zu 100 Zivil- und Kriegsgefangene mussten beim Kistenschleppen helfen. Dabei sind konkrete Zahlen nicht wirklich bekannt, weil es im Bestand der Bibliothek zum Beispiel keine Namenslisten der Betroffenen gibt. Kurz nach dem Krieg sind zudem zahlreiche Dokumente aus der NS-Zeit vernichtet worden.

Was man weiß: Mit den Büchern waren auch Kataloge ins Völkerschlachtdenkmal gebracht worden, um von dort aus den Bibliotheksbetrieb zumindest eingeschränkt weiterführen zu können. Allerdings gab es Schäden durch Feuchtigkeit, weil das Denkmal nahezu unbegrenzt betreten werden konnte, verschwanden zudem auch etliche Bücher. Nach der Befreiung Leipzigs durch Truppen der US-Armee und die spätere Übergabe an die Sowjetarmee wurden zahlreiche Stücke der Sammlung auch in die USA und die Sowjetunion verbracht, später einige wieder zurückgegeben.  Es gibt aber noch erhebliche Verluste, die sich mutmaßlich in Russland befinden, darunter eine Ausgabe der Gutenbergbibel, wertvolle weitere Inkunabeln sowie die Dürr’sche Schillersammmlung.

Es hat – nicht nur wegen der fehlenden Dokumentation – lange gebraucht, bis sich die Universität Leipzig – wie so viele andere Institutionen auch – überhaupt mit dem Einsatz von Gefangenen bei der Verlagerung der Bestände im Krieg beschäftigte. Erst im Zusammenhang mit der Vorbereitung auf das Universitätsjubiläum 2009 wurden erste Erkenntnisse zur Geschichte der UBL in der Zeit des Nationalsozialismus publiziert und dabei auch auf die Beschäftigung von Zwangsarbeitern bei der Auslagerung der Bestände im 2. Weltkrieg hingewiesen. Es wurde bekannt, dass die eingesetzten Gefangenen nicht nur aus dem Untersuchungsgefängnis in der Kästnerstraße kamen, sondern auch aus der damaligen Städtischen Arbeitsanstalt in der Riebeckstraße. Die Aufarbeitung der Geschichte der Beschäftigung von Zwangsarbeitern an der Universitätsbibliothek und vielleicht auch an anderen Einrichtungen der Universität, ist bisher aber weiter eine Leerstelle.