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Zur Zeit fällt es schwer, sich eine Welt vorzustellen, in der man unbefangen Hände schüttelt und sich in Meetings tatsächlich an einem Tisch kaffeetrinkend gegenübersitzt. Weltweit spüren die Menschen die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Sie verändert den Alltag, verändert die Art und Weise, wie Kinder lernen und verändert, wie Erwachsene arbeiten – und sie verändert das Forschen.

Innerhalb der Förderrichtlinie Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen forschen alle Einzel- und Verbundprojekte nicht nur auf Basis vorhandener Literatur oder auf Grundlage bereits erhobener Datensätze, sondern sie machen empirische Forschung und gehen ins Feld. Sie besuchen etwa Kulturveranstaltungen, sie interviewen Künstler*innen, sie sprechen mit Kindern, die Instrumente lernen und mit Eltern, welche die Kinder zum Musikunterricht fahren, sie befragen Lehrer*innen zu kulturellen Bildungsangeboten, sie beobachten Schauspieler*innen bei ihrer Arbeit oder analysieren die Angebotsstruktur im Bereich kultureller Bildung.

Eigentlich.

Viele dieser Vorhaben können nun nicht oder nicht wie geplant stattfinden, die Forschung musste verschoben und angepasst werden – und das sehr schnell und mit ungewissem Ausgang: Reicht es, einfach ein paar Monate zu warten? Wie schnell ist die „Post-Corona-Phase“ da? Wann wird es wieder kulturelle Veranstaltungen mit vielen Zuschauer*innen geben? Wie wird kulturelle Bildung ermöglicht werden? Wie viele kulturelle Veranstaltungen werden auch „nach Corona“ wegfallen, weil die beteiligten Kulturschaffenden inzwischen pleite sind und ihre Tätigkeit aufgeben mussten?

Welche Probleme bestehen, inwiefern sich das Feld, das beforscht werden soll, verändert und wie man mit diesen Herausforderungen umgehen kann, haben Sonja Nonte, Professorin in Osnabrück, Thade Buchborn, Professor in Freiburg, und Andreas Lehmann-Wermser, Professor in Hannover, während der ersten Vernetzungstagung der Förderrichtlinie in einer Arbeitssession mit Wissenschaftler*innen aus allen Projekten diskutiert.

Das Grundproblem in der aktuellen Situation innerhalb der Förderrichtlinie ist schnell benannt: Sie ist zeitlich befristet. Alle Projekte haben sich vorgenommen, in einem bestimmten Zeitraum ihre Forschungsfragen zu beantworten. Um die Forschung durchzuführen, können sie bestimmte Geldbeträge abrufen – innerhalb eines vorher festgelegten Zeitraums. Was sie also nicht können: Warten bis die Pandemie vorbei ist.

Einige Projekte setzen in dieser neuen Situation nun digitale Erhebungsmethoden ein und sammeln auf diesem Wege neue Erkenntnisse – aber sie tun dies mit ungewissem Ausgang: Sind die Ergebnisse durch die besondere Zeit künftig überhaupt vergleichbar? Werden sie relevant sein? Sind die Methoden, die man sonst „im Feld“ einsetzt gleichermaßen geeignet für den Einsatz im digitalen Raum? Was bedeutet es, ein Forschungsprojekt unter den Bedingungen einer Pandemie durchzuführen und wie forscht man empirisch, wenn die untersuchten gesellschaftlichen Bereiche im Ausnahmezustand sind?

Onlineerhebungen sind eine naheliegende Alternative in der momentanen Situation: Kann man Menschen nicht treffen und unmittelbar befragen oder ein Gespräch führen, nutzt man einen Online-Fragebogen. Wohlgemerkt, einen Fragebogen, der noch nicht existiert. Und der eigentlich gar nicht geplant war innerhalb des Forschungsdesigns.

Ist diese Hürde genommen, kann man endlich befragen. Hofft man. Befragen könnte man auch – wenn nicht gerade eine Pandemie stattfinden würde und die Menschen das Berufliche und Private stärker als ohnehin in den digitalen Raum verlagerten. Zusätzlich auch noch online Fragebögen auszufüllen erhält sicherlich keinen vorderen Platz auf der Liste der liebsten Freizeitbeschäftigungen. (Zugegeben, das tut es auch nicht, wenn keine Pandemie herrscht.)

Hinzu kommt: Naheliegende Alternativen werden von vielen Wissenschaftler*innen genutzt. In den Mailaccounts der Bildungs- oder Kultureinrichtungen stapeln sich die Anfragen. Und bei einigen entsteht gerade sicherlich der Eindruck, dass, hätten Umfragen einen geldwerten Vorteil, es kein Problem wäre, die Pandemie zu überstehen. Haben sie aber nicht. Die Einrichtungen sind also mitunter schlicht überfordert von den vielen Forschungsprojekten, die aus unterschiedlichen Bereichen an sie herantreten. So lautet ein Zwischenfazit: Digitale Befragungsmethoden  funktionieren besser, wenn das analoge Leben funktioniert. 

Onlinebefragungen sind nicht das einzige digitale Format, welches sich für die Forschung eignet. Gruppendiskussionen über Videokonferenzsysteme bieten eine weitere Möglichkeit, sind aber zugleich Chance und Herausforderung. Noch fehlen vielen Erfahrungen mit dem Einsatz dieses Formats in der Forschung. Fest steht: Die Dynamik einer Gruppendiskussion ist vor dem Bildschirm eine andere. Wo in Präsenz auch einmal unterbrochen wird, wartet man vor dem Bildschirm mit dem Einschalten des Mikrofons, bis man auch wirklich an der Reihe ist. Die Interviewenden sind nun gleichberechtigt in die Diskussion integriert – jeder ist als kleines Bildchen sichtbar. Wo man ein schnelles „Ja, genau!“ gerufen hätte, zeigt man nun stumm den Daumen nach oben und plötzlich müssen nonverbale Signale noch viel stärker transkribiert und einbezogen werden, als dies sonst der Fall wäre. Und wer weiß, dass diese Diskussion sogar aufgenommen wird, spricht und verhält sich anders. Solche und andere Faktoren beeinflussen die Wissenschaftler*innen in ihrer Arbeit.

Aber es sind nicht nur die Methoden, es ist auch das Forschungsfeld selbst, dass sich verändert. Wer, wann, wie, vor welchem Publikum und ob überhaupt kulturelle Veranstaltungen anbieten darf, ist je nach Branche und je nach Bundesland höchst unterschiedlich. Jugendliche haben derzeit kaum die Möglichkeit, in Kulturräumen wie Vereinen oder Jugendkulturzentren zu partizipieren, Ensembles können nicht mit voller Mitgliederzahl proben, Künstler*innen müssen sich neue Wege eröffnen, um künstlerisch tätig zu sein.

Das weite Feld von Kultur und kultureller Bildung wird von Corona vollständig umgepflügt. Was wieder wachsen wird, was neu gepflanzt wird, was unwiederbringlich eingegangen sein wird und was sich an einen veränderten Lebensraum anpassen wird, ist noch völlig offen.