Pressemitteilung 2021/011 vom

Prof. Dr. Markus Scholz, Epidemiologe an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, erklärt, warum es aktuell eine Datenlücke bei den Corona-Zahlen gibt. Zudem spricht der Experte über die Rolle seiner Forschungsgruppe in der sächsischen Politik und ein gemeinsames Covid-Projekt der Europäischen Union.

Sachsen ist am 14. Dezember und damit zwei Tage vor den anderen Bundesländern erneut in den strikten Lockdown gegangen. Trotzdem sind die Corona-Zahlen hier deutschlandweit hinter Thüringen immer noch am höchsten. Woran könnte das liegen?

Nach unseren Beobachtungen ist die Dynamik der Pandemie zwischen den östlichen Bundesländern durchaus vergleichbar, jedoch begann die Phase des deutlichen Anstiegs in Sachsen eher. Somit wurden höhere Zahlen erreicht. Dieser Nachteil lässt sich nicht kurzfristig ausgleichen.  

Während der Weihnachtsfeiertage sind die Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 gelockert worden. Gibt es negative Auswirkungen und wenn ja, wie stark sind diese in Ihren mathematischen Simulationen zu sehen?

Da über die Feiertage deutlich weniger getestet und nur unvollständig berichtet wurde, haben wir hier quasi eine Datenlücke, die die Einschätzung des Pandemieverlaufes sowie weitere Prognosen erschwert. Es ist aber klar, dass Weihnachten und Silvester zumindest nicht zu einer deutlichen Verschärfung der Lage geführt haben. Wir sind aktuell in einer Plateauphase, das heißt die Zahlen stabilisieren sich beziehungsweise gehen nur leicht zurück. Eine ähnliche Dynamik hatten wir bereits zu Beginn des Abklingens der ersten Welle beobachtet. Auf Basis der bis zum 10. Januar geltenden Maßnahmen würden wir nach unseren Modellvorhersagen die 7-Tage-Inzidenz von 50 voraussichtlich frühestens im März erreichen. Die jetzt beschlossenen weiteren Verschärfungen sind deshalb nachvollziehbar. 

Sie haben das Sächsische Kabinett Ende Dezember bezüglich der neuen Corona-Schutzmaßnahmen beraten und dabei empfohlen, die Regeln zu verschärfen. Wie sehen Sie Ihre Rolle als Wissenschaftler in der Politik?

Wir haben nicht direkt Verschärfungen vorgeschlagen, sondern die Lage aus unserer Sicht geschildert. Nämlich, dass wir selbst unter optimistischen Annahmen keinen schnellen Rückgang der Infektionszahlen unter den aktuellen Maßnahmen erwarten. Zudem haben wir einige weitere Begleitmaßnahmen vorgeschlagen, zum Beispiel hinsichtlich Kontaktverfolgung und Schnellteststrategien. Unsere Rolle sehe ich in einer Beratung zur Einschätzung der epidemiologischen Lage. Dies ist jedoch nur eine Informationsquelle zur politischen Entscheidungsfindung. Die tatsächlichen Entscheidungen erfolgen unter Abwägung weiterer wirtschaftlicher beziehungsweise gesellschaftlicher Aspekte. 

Ihr Institut arbeitet auch mit der Europäischen Union zusammen, um die Corona-Forschung länderübergreifend zu bündeln. Was ist das konkrete Ziel des sogenannten COVIRNA-Projekts, an dem Sie beteiligt sind?  

Das europaweite COVIRNA-Projekt beschäftigt sich mit der Vorhersage schwerer Verläufe bei COVID-19. Dazu sollen Biomarker entwickelt werden, die bestehende Risikomodelle verbessern. Um dies zu realisieren, werden europaweit klinische Daten erhoben und Proben analysiert. Wir beteiligen uns an diesem Projekt mit Daten und Proben eigener Studien und unterstützen die Datenanalysen.   

Hinweis: Professor Markus Scholz analysiert mit seinen Kollegen vom Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie (IMISE) an der Universität Leipzig regelmäßig die aktuelle Corona-Entwicklung in Leipzig sowie Sachsen und bündelt die Erkenntnisse und Daten in Bulletins.