Im einrichtungsübergreifenden Verbundprojekt werden mikrobiologische Analysen spätmittelalterlicher Bände (1250–1500 n. Chr.) vorgenommen, die interdisziplinär von Philosophie, Mikrobiologie und Kulturwissenschaft betrachtet werden. Letzteres ist der Ansatz der Leipziger Forscher in ihrem Teilprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Johannes Schneider, Direktor der UB Leipzig.
Traditionell bezieht sich die Bedeutung des Kulturguts Buch auf seine nichtlebenden Komponenten, weshalb Bibliotheken als Zusammenstellungen von toten Objekten definiert werden. Das gemeinsame Forschungsprojekt der UB Leipzig, der TU Braunschweig und des Leibniz-Instituts DSMZ stellt die in der Konservierungspraxis verbreitete Annahme infrage, dass Mikroben für Artefakte schädlich seien und daher beseitigt werden müssten. Stattdessen wird im Projekt die Annahme gedanklich durchgespielt, dass die stets gegenwärtigen Mikroben als genuiner Bestandteil des Kulturguts zu betrachten sind. Der Leipziger Projektleiter Prof. Schneider erklärt: „Wir gehen davon aus, dass die geläufigen Wissensordnungen für das Buch und die Bibliothek um eine materielle Komponente ergänzt werden müssen.“
Bibliothekarische Sammlungen werden nach wie vor als der Gegensatz zu sogenannten „Lebendsammlungen“ begriffen, was im Projekt nun umgekehrt wird – zunächst im Vergleich der Handschriftensammlungen der UB Leipzig mit der Mikrobenbank des Leibniz-Instituts DSMZ. Die Ergebnisse werden mit historischen Studien der herangezogenen Handschriften kombiniert. So wird das Verhältnis zwischen dem Buch als Objekt und seinem Inhalt, den es überliefert, in den Blick genommen. Dieser Zugang ist experimentell und neu. Er bietet die Grundlage für weitere Forschungen, die vielleicht sogar eine Neubewertung buchhistorischer Aspekte der spätmittelalterlichen Geschichte rechtfertigen.