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Suzana Vezjak wurde 2021 an der Philologischen Fakultät der Universität Leipzig promoviert. Im Fachbereich der Linguistik des Deutschen als Fremdsprache am Herder-Institut hat sie sich mit der Identifikation und sozialen Positionierung in Online-Diskursen beschäftigt. Dabei liegt ihr Augenmerk vor allem auf Deutsch als Fremd- und Zweitsprache.

Alles beginnt mit der Studienwahl und dem allgemeinen Interesse. Wo haben Sie Ihre Universitäts-Laufbahn begonnen? Welche Stationen sind Sie durchlaufen?

Ich bin in Slowenien geboren. Die deutsche Sprache hat mich schon immer fasziniert, daher war das Germanistikstudium an der Pädagogischen Fakultät in Maribor (Slowenien) ein vorauszusehender Schritt. Das dort erworbene theoretische und praktische Wissen über den sprachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Bereich des Deutschen konnte ich nach dem Diplomstudium gut anwenden: Ich habe nach meinem Referendariat an Grundschulen, am Gymnasium und an einer berufsbildenden mittleren Schule gearbeitet.

 

Wie sind Sie zur Universität Leipzig gekommen? Gab es für Leipzig einen besonderen Grund?

Ich wollte mehr über das Unterrichten und Forschen im Bereich des Deutschen als Fremdsprache erfahren und auch eine gewisse Zeit in Deutschland verbringen. Deshalb habe ich mich um ein DAAD-Stipendium für ein MA-Studium in Deutschland beworben. Die Wahl für das Herder-Institut an der Universität Leipzig fiel leicht: Es ist eine traditionsreiche Einrichtung im Bereich der Forschung und der Lehre von Deutsch als Fremdsprache und genießt weltweites Ansehen.

Bereits während des Master-Studiums, aber insbesondere in meinen Tätigkeiten nach dem Abschluss als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache des Herder-Instituts konnte ich wertvolle (inter)kulturelle Lehrerfahrungen sammeln: Ich war in Kairo, Erbil, Hanoi und Guadalajara, habe sowohl dort als auch in Leipzig gelehrt und Projekte koordiniert, eine großartige Erfahrung. Das hatte allerdings auch den Nebeneffekt, dass die Dissertation erst an zweiter Stelle stand.

 

Zu welchem Themenbereich haben Sie an der Uni Leipzig gearbeitet? Was ist konkret Ihr Thema gewesen und wie würden Sie das Thema jemand Fachfremden erklären?

Meine Promotion ist im Fachbereich Linguistik des Deutschen als Fremdsprache unter der Betreuung von Prof. Christian Fandrych zum Thema „Identitätskonstruktion und Positionierungspraktiken im alimentären Online-Diskurs: eine qualitative Studie am Beispiel von Online-Forenentstanden.

In meiner Promotion beschäftigte ich mich empirisch mit computervermittelter Kommunikation. Dabei habe ich mich vor allem auf den Ernährungsdiskurs bzw. Essenspraktiken fokussiert. Das Thema Ernährung fördert wichtige Aspekte fremdsprachiger Diskursfähigkeit, so dass das Untersuchungsdesign von Beginn an eine mögliche Anschlussanwendung im Deutsch-als-Fremdsprache-Kontext (DaF) im Blick hatte. Die ausgewählte Kontroverse „fleischalternative Ernährung“ bildete den Ausgangspunkt für die Datenerhebung. Die zu analysierende Textsammlung beinhaltete Foren-Kommentare im Kontext von Blogs, gemeinschaftlichen Foren, Facebook und Online-Zeitungen. Diese UserInnen-Kommentare sind dadurch gekennzeichnet, dass sie zum Teil sehr deutlich Meinungen konstituieren, kommentieren und dementsprechend Bewertungsaktivitäten vornehmen. Um diese Formen der Meinungs- und Einstellungskundgabe sowie der Bewertungshandlungen angemessen zu erfassen, wurde ein linguistisch fundiertes Konzept der sozialen Positionierungspraktiken herausgearbeitet.

 

Also beschäftigt sich die Arbeit vor allem mit der sozialen Positionierung in Online-Diskursen und auf gemeinschaftlichen Foren. Was macht nun das Thema für die Gesellschaft relevant? Was kann man daraus lernen und gibt es Bezüge zu aktuellen oder zukünftigen Herausforderungen?

Die Sprache und das sprachliche Handeln und somit auch der Gegenstand des Sprachunterrichts selbst verändern sich durch die gesellschaftlichen Entwicklungen (Individualisierung, Informalisierung, Globalisierung, Digitalisierung und Medialisierung usw.) umfassend.

Zum Leben in einer offenen Gesellschaft ist insbesondere in diesen agilen Zeiten die Einsicht wichtiger denn je, dass sich die Differenzen nicht auflösen lassen, sondern dass es sogar wünschenswert ist, sie offenzuhalten. Die Beschäftigung mit computervermittelter Kommunikation in Interaktion wird somit zu einem zentralen Baustein, denn anhand einzelner Äußerungen lassen sich Differenzerfahrungen rekonstruieren. Dabei sind dann nicht mehr die Grenzen zwischen Sprachen und Kulturen, sondern Diskurskontexte entscheidend. Mit der Ausrichtung eines fremdsprachlichen Kompetenzzuwachses in Richtung diskursiver Aushandlungsprozesse, welche das Promotionsprojekt beinhaltet, lässt sich die sprachliche und soziale Pluralität besser rekonstruieren. Auf diese Weise und durch Beschäftigung mit sozialen Positionierungspraktiken in weiteren für den DaF-Unterricht relevanten Diskursen könnten die Lernenden bewusst an Differenzerfahrungen herangeführt werden. Es ermutigt sie zu einem kontextsensiblen, reflektierten, aber auch flexiblen, ironischen und sogar spielerischen Umgang mit Regeln, Normen und Konventionen.

 

Wir müssen in einer liberalen und pluralen Gesellschaft Differenzen also aushalten? Und diese Fähigkeit als Wert im Sprachunterricht vermitteln?

Diskurse und Praxen werden ja aus und in fremd- und muttersprachlichen Kontexten konstruiert, dekonstruiert und rekonstruiert, sowie ihre affektiven, machtbezogenen und sprachstrukturellen Dimensionen reflektiert. Wenn die Macht dabei nicht mehr vorwiegend als zu beseitigendes Übel, Manipulation und Missbrauch, sondern vielmehr als allgegenwärtiges Phänomen in sozialen Beziehungen angesehen wird, könnte der Fremdsprachenunterricht einen substanziellen Beitrag zu den allgemeinen Erziehungszielen der demokratischen Bildung leisten.