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Das zweite EFBI Policy Paper bietet einen Überblick über extrem rechte Strukturen in Chemnitz sowie deren Vernetzung und Mobilisierungsstrategien und gibt Handlungsempfehlungen für politische Entscheidungsträgerinnen und -träger zur Stärkung der lokalen Zivilgesellschaft.

Die Ausschreitungen in Chemnitz im Sommer 2018 lassen sich als Fanal für die extreme Rechte bezeichnen: Die resultierenden Bilder haben sich weit über die Stadt hinaus festgesetzt und als Narrativ für weitere Mobilisierungen fortentwickelt. Zu beobachten war neben dem Versagen der Sicherheitsbehörden ein organisiertes Chaos, ein Ausbruch massiver rechter Gewalt und ein schwer zu überblickendes Konglomerat extrem rechter Strukturen. Durch die Ereignisse des Spätsommers 2018 in Chemnitz ist die Bürgerbewegung Pro Chemnitz heute auch überregional vielen ein Begriff. Sie deckt jedoch nur einen Teil der extrem rechten Aktivitäten in Chemnitz ab. Im zweiten Policy Paper des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts (EFBI) geben der Chemnitzer Journalist Johannes Grunert und der stellvertretende Direktor des EFBI, Dr. Johannes Kiess, eine Übersicht über extrem rechte Strukturen und Dynamiken in der Stadt. Die Analyse umfasst sowohl rechte Parteien, Hooligan-Gruppen aus dem Umfeld des Chemnitzer FC und Vereinsstrukturen als auch jüngste Mobilisierungsformen wie die Proteste von Corona-Leugnerinnen und -Leugnern.

Ziel des Policy Papers ist es, Ansatzpunkte für die demokratische, zivilgesellschaftliche Arbeit zu bieten. Deswegen sind auch konkrete Handlungsempfehlungen Teil der wissenschaftlichen Analyse. „Ein großes Problem ist die häufig nur zögerliche und inkonsequente Strafverfolgung“, sagt Dr. Johannes Kiess. Gerade Gewaltausbrüche bei Großlagen – z.B. die Demonstrationen im August 2018 in Chemnitz oder jene gegen Corona-Maßnahmen am 7. November 2020 in Leipzig – fänden häufig im Schutz einer großen Masse von Teilnehmenden statt, was auch die spätere Strafverfolgung erschwere. „Das verschafft den Teilnehmenden ein Erfolgs- und Machtgefühl“, so Kiess. Journalist und Co-Autor des Policy Papers Johannes Grunert ergänzt: „Ziel der eskalierenden Gewalt sind häufig demokratisch Engagierte, People of Color, Frauen und nicht zuletzt Journalistinnen und Journalisten. Der Schutz dieser Personen muss oberste Priorität haben, um demokratiepolitische Handlungsfähigkeit zu erhalten und zu unterstützen.“ Polizei und Justiz müssten hierfür sensibilisiert werden. Die oft extrem lange Verfahrensdauer, die Einstellungen von Verfahren sowie mangelnder Opferschutz werden in der Szene als Ermunterung  aufgenommen.

Nach Einschätzung der beiden Autoren der in Kooperation mit dem Chemnitzer Verein ASA-FF entstandenen Analyse bedarf es zudem eines systematischen Monitorings der Mobilisierungs- und Radikalisierungsprozesse in den sozialen Medien. „Aufbereitete Informationen über antidemokratische Strukturen können die Grundlage für die zivilgesellschaftliche Arbeit vor Ort bilden“, sagt Dr. Johannes Kiess. „Dafür soll das Policy Paper des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts eine Grundlage bilden“.