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Das Erasmus+ Hochschulprogramm bietet Student:Innen die Chance in einer Vielzahl von Ländern und Universitäten ein oder zwei Semester zu verbringen. Damit soll es jungen Menschen ermöglicht werden, die ganze Welt kennenzulernen, internationale Freundschaften zu schließen und ein unvergessliches Abenteuer zu erleben. Klingt das nicht schon aufregend genug? Erasmus hat mich schon meine ganze Studienzeit interessiert. Ich habe gewartet, bis ich im „empfohlenen“ 5. Fachsemester war, um meinen Auslandaufenthalt anzutreten. Als ich anfing mein Erasmus zu planen, konnte ich nicht wissen, was mich erwarten wird. Die Vorbereitungen begannen schon vor einem Jahr, um genau zu sein im Herbst 2019. Damals habe ich noch nichts von einer Pandemie, die den ganzen Globus beschäftigen wird, gehört.

Die Universität Leipzig ist meine Heimatuniversität. Ich studiere den Bachelor Kommunikations- und Medienwissenschaft und bin mittlerweile mit dem 5. Fachsemester fertig. Mein Studium hat sich bisher als sehr ereignisreich herausgestellt. Neben dem fachlichen Studium konnte ich praktische Erfahrungen sammeln mit der Arbeit für das Uniradio Mephisto, unseren Fachschaftsrat und die Leipziger Buchmesse. Ich mag mein Studium und trotzdem wollte ich ins Ausland an eine andere Universität.

"Belgien war für mich ein unbeschriebenes Blatt"

Vor meinem Studium war ich schon auf Reisen und habe viele interessante Plätze auf der Welt entdeckt. Mit meinem Erasmus wollte ich die Chance nutzen, an einen Ort zu gehen, von dem ich keine Ahnung hatte. Ich wollte eine neue Sprache lernen, neue Menschen und deren Kultur kennenlernen. Aus Zufällen, die ich mir bis heute nicht erklären kann, habe ich meinen Erasmus-Platz an der Universität Gent in Belgien bekommen.

Für manche mag Belgien kein fremdes Land sein, doch ich bin in Görlitz, in der östlichsten Region Deutschlands aufgewachsen. Ich war bis zu meinem Erasmus nur einmal in den Niederlanden. Belgien war für mich ein unbeschriebenes Blatt. Einzig das politische Zentrum der EU in Brüssel war mir bekannt.

"Es war definitiv nicht einfach, alles rechtzeitig zu organisieren"

Ich war unglaublich glücklich, nach Belgien reisen zu können und an der Universität studieren zu dürfen. Ich begann, alles zu planen und zu organisieren, denn der bürokratische Aufwand ist nicht zu unterschätzen. Langsam im Frühling 2020 wurde die Pandemie schlimmer. Die Meetings mit meiner Erasmus-Koordinatoren fanden nur noch online statt. Nachfragen wurden nicht mehr persönlich, sondern via E-Mail besprochen. Es war definitiv nicht einfach, alles rechtzeitig zu organisieren, auch weil sich viele Ansprechpartner im Homeoffice befanden. An dieser Stelle möchte ich mich dennoch bei meiner Erasmus Koordinatorin bedanken. Sie selbst war im Homeoffice und hatte ihr Kind zu betreuen. Sie hat es dennoch geschafft, mir Mut zuzusprechen und das Beste aus der Situation zu machen.

Also habe ich meine Kurse gewählt, meine Unterkunft beantragt und den Koffer gepackt. Im September 2020 ging es für mich mit dem Flixbus nach Belgien. Ich brauchte damals keine Hygienekontrolle, um über die europäischen Grenzen zu reisen. Lediglich eine Maske musste ich während der Busfahrt tragen.

"Weil Deutschland noch kein Risikogebiet war, hatte ich erstmal keine Probleme"

In Belgien angekommen bin ich von Brüssel nach Gent mit dem Zug gefahren. Nach der langen Reise konnte ich es kaum erwarten, in mein Zimmer zu kommen. Ich war glücklich und habe ein Zimmer im Studentenwohnheim bekommen. Es ist zwar etwas teurer, aber es liegt zentral im Studentenviertel. Ich wurde herzlich empfangen in einem Welcome Village. Bei der Einreise wurde ich gefragt, ob ich aus einem Risikogebiet kommen würde, und weil Deutschland damals noch kein Risikogebiet war, hatte ich erstmal keine Probleme. Später habe ich erfahren, dass Freund:Innen, die aus anderen Risikogebieten angereist sind, die ersten zwei Wochen in Isolation und Quarantäne verbringen mussten.

Ich bezog schnell mein Zimmer und wollte die Stadt kennenlernen. Also ging ich auf meinen ersten Spaziergang, ohne zu wissen, dass noch tausend weitere kommen werden. Gent ist eine wunderschöne Stadt. Es wohnen hier halb so viele Menschen wie in Leipzig, aber das heißt nicht, dass es weniger interessant ist. Es gibt hier unzählig viele schöne Parks und Wasserkanäle. Die Stadt hat sogar einen gut erhaltenen mittelalterlichen Kern mit einem Schloss. Es gibt also viel zu sehen auf den etlichen Spaziergängen.

In meinem Wohnheim habe ich viele Menschen kennengelernt, doch diese wurden schnell mehr als nur Freund:Innen. Sie wurden meine Familie.

„Quarantine - Do Not Enter“

Es hat nicht lange gedauert, dann wurde die Verbreitung des Coronavirus schlimmer. Es hat auch unseren Flur im Wohnheim getroffen. Wir teilen ein Zuhause und sobald einer das Virus hatte, ging es ganz schnell und wir mussten alle zum Test. Viele waren positiv und hatten schlimme Symptome. Die Reaktion der Hausverwaltung war, uns allen ein Quarantänepaket zu schicken und einen Sticker an die Tür zu kleben: „Quarantine - Do Not Enter“

Dieser Moment war schwer zu verkraften. Denn vieles veränderte sich in Belgien. Gefühlt hat sich von Stunde zu Stunde die Lage verschlimmert. Die Kurse an der Universität wurden in eine Online-Lernumgebung verlegt. Wir konnten uns nicht mehr treffen, sämtlicher sozialer Kontakt wurde auf das Nötigste heruntergefahren. In unserer Not haben wir uns online vernetzt und gemeinsam Spiele gespielt, getanzt und viel miteinander gesprochen. Aber trotz all dem Online-Kontakt habe ich mich sehr einsam gefühlt. Ich war negativ auf das Virus getestet und konnte mein Zimmer ab und zu verlassen, um die Einkäufe zu erledigen, aber so richtig hat es sich nicht wie ein Erasmus angefühlt. Der soziale Kontakt hat gefehlt und ich konnte mich auch nicht auf das Studieren konzentrieren. Manchmal habe ich an mir gezweifelt und mich gefragt, ob es denn die richtige Entscheidung war. So richtig Belgien kennenlernen konnte ich nicht und das hat mich sehr traurig gemacht.

"Meine Freizeit in Gent war geprägt von vielen Spaziergängen"

Während des Lockdowns wurden viele Aktivitäten, die einen Erasmus-Aufenthalt interessant machen, aufgehoben. Meine Freizeit in Gent war geprägt von vielen Spaziergängen. Es fing an mit mindestens einem Spaziergang am Tag, manchmal sogar zwei, während der Prüfungsphase brauchte ich auch öfter mal frische Luft. Ich bin laufen gegangen, habe mein Skateboard genutzt und habe ab und zu Basketball gespielt. Selten waren viele Freund:Innen dabei. So richtig fröhlich war ich nicht.

Reisen war so gut wie nicht möglich und die Clubs sah ich nur mit geschlossenen Türen. Bevor alle Grenzen geschlossen wurden, bin ich mit meinen Freund:Innen in die Niederlande gereist. Wir waren zwei Wochenenden da, aber auch dort waren die Masßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus sehr streng. Ebenso war das Reisen in Belgien weniger möglich. Zu Beginn sind wir öfter an die Nordsee gefahren, die glücklicherweise nur 30 Minuten mit dem Zug entfernt liegt. Über Weihnachten haben wir unser Wohnheim mal verlassen und ein Airbnb im Süden von Belgien gemietet. Wir blieben immer in unserem kleinen Kreis und so wurde aus meinen Freund:Innen meine Erasmus-Familie.

"Eine schwere und belastende Zeit"

Es war ein etwas anderen Auslandsaufenthalt. Es gab nur wenige Chancen, lokale Freundschaften zu schließen oder die Sprache zu lernen. Da blieb mir nur mein Online-Kurs. Alle kulturellen Einrichtungen wurden geschlossen und Aktivitäten verboten. Der Austausch war gering und Belgien war sehr still für über sechs Wochen im Oktober und November 2020. Es war nicht mal möglich, in eine Bibliothek zu gehen oder zu einem Seminar. Es gab keine Räume zum Studieren, nur mein eigenes 15 qm großes Zimmer. Das war eine schwere und belastende Zeit.

Es ging dann soweit, dass ich mich auch von Kursen abmelden musste, weil ich einfach überfordert war und meine mentale Gesundheit nicht riskieren wollte. In dieser Lage wollte ich unnötigen Stress vermeiden, da ich weiß, wieviel Energie das Online-Studium abverlangt.

"Durch meinen Auslandsaufenthalt die passende Spezialisierung gefunden"

Glücklicherweise hatten alle Institutionen, mit denen ich sprechen musste, Verständnis für meine Entscheidung, Kurse abzuwählen. Alle Mitarbeiter:Innen der Universität Leipzig und der Universität Gent haben mich unterstützt und mir geholfen, dennoch mein Erasmus fortzusetzen. Als ich weniger Kurse hatte, ging es mir auch besser. Ich konnte mich besser konzentrieren und wirklich lernen.

Da sich mein Universitätsalltag dadurch entspannt hat, konnte ich mich in die Forschungen meiner wenigen Kurse vertiefen und habe meine Begeisterung für die Medienpsychologie gefunden. In der Pandemie habe ich selbst erfahren, wie wichtig digitale Medien sein können, besonders im Hinblick auf die Psychologie. Ich habe damit auch meinen Schwerpunkt für meine Bachelorarbeit finden können und das war eines der großen Ziele, die ich mir für mein Erasmus vorgenommen hatte. Ich wusste nicht, in welche Richtung ich mich spezialisieren möchte, aber ich habe durch meinen Auslandsaufenthalt und meine Kurse an einer Gastuniversität die passende Spezialisierung gefunden.

"Besonders bin ich für mich persönlich gewachsen"

Trotz der ganzen Einschränkungen war es dennoch möglich, von dem Austausch zu profitieren. ­­ Oft wird davon gesprochen, wie toll die persönlichen Veränderungen während des Erasmus sind. Zu Beginn meiner Reise konnte ich mir darunter nicht viel vorstellen, weil ich in der Hinsicht auch keine Erwartungen hatte, aber ich habe so viel über mich selbst gelernt. Es geht im Auslandstudium nicht nur um die Lerninhalte, sondern auch darum, wer wir sind und was uns als Menschen besonders macht. Die Fähigkeit, in einer Krisensituation zusammenzuhalten und trotz unterschiedlichster Herkünfte Freundschaften aufzubauen und diese zu pflegen, war notwendig und eines der schönsten Erlebnisse für mich. In der Not werden wir erfinderisch und es ist das schönste Gefühl, mit Menschen zusammenzuleben, die eine ähnliche Situation erleben. Es wurde an einem Punkt nicht mehr zur Ausnahme, über Gefühle und Probleme zu reden, es wurde unsere Grundlage zum Zusammenleben im Wohnheim.

Und auch von meinem Studium habe ich profitiert. Ich habe so vieles gelernt, von dem ich bisher noch nichts wusste. Ich bin froh, ein Semester im Ausland studiert zu haben, auch wenn ich weniger Kurse belegt habe.

"Nach Hilfe fragen und Hilfe annehmen schätze ich mittlerweile als Superpower ein"

Nach dieser Erfahrung würde ich gern noch ein Erasmus machen. Vielleicht ohne Corona-Einschränkungen das nächste Mal. Aber selbst wenn es wieder so kommen sollte, dass eine Pandemie das alltägliche Leben einschränkt, ist es nicht schlimm, solange wir füreinander da sind. In diesen anstrengenden Situationen lernen wir am besten über uns selbst. Es ist nicht schlimm, um Hilfe zu fragen. Auch ich habe mit meiner Therapeutin wieder das Gespräch aufgenommen. Es fühlt sich erstmal nicht toll an, dennoch profitieren wir alle davon. Es gibt Ansprechpartner für jede Situation und diese Unterstützung können wir annehmen. Nach Hilfe fragen und Hilfe annehmen schätze ich mittlerweile als Superpower ein.

Für mich war es besonders wichtig für Abwechslung zu sorgen. Nicht jeden Tag die gleichen Gespräche führen oder die gleiche Strecke laufen. Nicht immer nur Pasta und Pesto zu essen oder das gleiche Fach lernen. Auch mal mein Zimmer umräumen und aufräumen hilft mir. Es waren die kleinen Dinge, die mich begeistert haben.

"In ein paar Jahren werde ich darauf zurückschauen und es war einzigartig"

Und nun ist mein Semester im Ausland vorbei. Am letzten Wochenende ist die Prüfungsphase offiziell beendet worden und nun reisen alle langsam ab. Darüber bin ich weniger glücklich. Denn mein Erasmus war besonders. In ein paar Jahren werde ich darauf zurückschauen, wo und mit wem ich diese Pandemie verbracht habe und es war einzigartig. In ein paar Tagen werde auch ich Gent verlassen. Dann erwartet mich eine neue Quarantäne. Naja, das schaffen wir auch noch.

Ich möchte mich wirklich bei allen Menschen, die mich begleitet haben, bedanken. Die Universität Leipzig und ihre Mitarbeiter:Innen sind ein tolles Team ebenso die ganzen Ansprechpartner:Innen der Universität Gent. Vielen Dank für diese Erfahrung!

 

  • In loser Reihe stellen wir Erfahrungsberichte zum Thema "Mein Auslandsaufenthalt in der Corona-Zeit" im Universitätsmagazin und auf den Social-Media-Kanälen der Universität vor.
  • Mehr Erfahrungsberichte zum Thema Auslandsaufenthalt finden Sie in den Entdeckerstorys.