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Was bringt junge Menschen in Deutschland dazu, sich politisch abzugrenzen und sich zu radikalisieren – und welche Dynamiken entstehen dabei? Diese Fragen untersucht in den kommenden vier Jahren ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Verbundprojekt, an dem vier Wissenschaftler der Universität Leipzig beteiligt sind.

In Zusammenarbeit mit den Universitäten Duisburg-Essen, der Universität Osnabrück und dem Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung Braunschweig untersucht ein interdisziplinäres Leipziger Forscherteam, wie sich die Radikalisierung des Islam, seine pauschale Ablehnung und antidemokratische Mobilisierung immer enger verzahnen – und welche Strategien und Maßnahmen in der Prävention hilfreich sein können. Ziel des Vorhabens ist zu erarbeiten, wie man gegen eine (Co-)Radikalisierung junger Menschen intervenieren und wie man ihr vorbeugen kann. 

Seit dem 11. September haben Terroranschläge weltweit für ein negatives Bild vom Islam gesorgt. Erst jüngste Ereignisse zeigen, welche Folgen Radikalisierungsprozesse unter jungen Musliminnen und Muslimen zeitigen können. Doch damit nicht genug. Rechtspopulistinnen und -populisten und Rechtsextreme greifen diese Angst auf und bauen „den Islam“ und „die Muslime“, die sie unter Generalverdacht stellen, als ein neues Feindbild auf. 

Dieses Feindbild mobilisiert wiederum gerade Jugendliche und junge Erwachsene und führt zu einer Co-Radikalisierung auf rechter Seite. Davon betroffene Jugendliche begegnen Musliminnen und Muslimen mit Ablehnung und teilweise Gewalt. Als Folge wenden sich junge Musliminnen und Muslime fundamentalistischen Auslegungen des Korans bis hin zu einem fanatischen Islamismus zu. „Diese sich wechselseitig bestärkenden Entwicklungen, führen zu einer Art Radikalisierungsspirale. Dies gilt vor allem, wenn sich in Teilen der Bevölkerung ein ausgrenzendes Grundklima gegenüber einigen Musliminnen und Muslimen findet,“ sagt Prof. Dr. Gert Pickel, einer der Leipziger Forscher.

Ursachen von Radikalisierung und Möglichkeiten der Prävention

Genau an diesem Punkt setzt die Forschung der Leipziger Teilgruppe an. Anschließend an die langjährige Forschung im Rahmen der von Prof. Dr. Oliver Decker verantworteten Leipziger Autoritarismus-Studien sollen die gesellschaftlichen Umstände von Radikalisierung genauso beleuchtet werden wie ihre sozialpsychologischen Begründungen. Vor allem wahrgenommene Bedrohungen der persönlichen Handlungsfähigkeit und der Kontrolle der Umwelt sieht Prof. Dr. Immo Fritsche als wichtig für die Veränderung sozialen Denkens und Handelns an. Die Ergebnisse werden für präventive Bildungsangebote aufgegriffen. Prof. Dr. Frank M. Lütze, Religionspädagoge an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig, forscht zu Präventionsmöglichkeiten durch den Schulunterricht: „Wie der Islam in Ethik- und Religionsunterricht in den Blick genommen wird, hat einen signifikanten Einfluss auf das Islambild Heranwachsender.“

Das interdisziplinäre Verbundprojekt „Radikaler Islam versus radikaler Anti-Islam. Gesellschaftliche Polarisierung und wahrgenommene Bedrohungen als Triebfaktoren von Radikalisierungs- und Co-Radikalisierungsprozessen bei Jugendlichen und Post-Adoleszenten“ wird von Prof. Dr. Susanne Pickel von der Universität Duisburg-Essen koordiniert und ist auf vier Jahre angelegt. Beteiligt sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler folgender Fachgebiete: Politikwissenschaft, Integrationsforschung, Islamwissenschaften, Sozialpsychologie, Religionspädagogik und Religionssoziologie.