Pressemitteilung 2007/272 vom

Die Universität Leipzig gründet zusammen mit ihrer Partneruniversität in Halle und dem Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik Halle den neuen Sonderforschungsbereich SFB 762 "Funktionalität Oxidischer Grenzflächen". Die Forscher wollen den neuartigen Effekten, die sich aus der Wechselwirkung verschiedener oxidischer Materialien miteinander ergeben, auf die Spur kommen. Diese Oxide spielen z. B. in der Elektronik, Spin-Elektronik und Photonik eine große Rolle.

Jetzt bewilligte die Deutsche Forschungsgemeinschaft den gemeinsamen Sonderforschungsbereich (SFB) 762 "Funktionalität Oxidischer Grenzflächen". Sprecherin ist Prof. Dr. Ingrid Mertig von der MLU Halle-Wittenberg, der stellvertretende Sprecher ist Professor Dr. Marius Grundmann von der Universität Leipzig. Neben den Universitäten Halle und Leipzig sind auch das Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Halle sowie die Otto-von-Guericke Universität Magdeburg beteiligt. Thema des SFB ist: "Funktionalität Oxidischer Grenzflächen". Dabei handelt es sich um Strukturen, die aus mehreren Schichten verschiedener Oxide bestehen und die sich auszeichnen durch neuartige Effekte. Diese resultieren aus den Wechselwirkungen an den Grenzflächen der verbundenen oxidischen Materialien.

"Die Gutachter haben den innovativen Forschungsansatz, der Anwendungen mit einschließt, gelobt. Die an den Standorten vorhandene, international sichtbare Expertise und die sehr gute Vernetzung der beiden Standorte Halle und Leipzig sowie die ungewöhnlich große Kohärenz des wissenschaftlichen Programms wurden sehr gelobt.", berichtet Prof. Dr. Marius Grundmann, Direktor des Instituts für Experimentelle Physik II. "Die Vorbereitung des Antrages zur Einrichtung des Sonderforschungsbereichs, ein Buch mit fast 500 Seiten, wurde von Leipziger Seite durch den Profilbildenden Forschungsbereich 1 "Von Molekülen und Nanoobjekten zu multifunktionalen Materialien und Prozessen" in dankenswerter Weise unterstützt."

Die Universität Leipzig ist an sieben (von fünfzehn) Teilprojekten des SFB beteiligt, von denen sechs am Institut für Experimentelle Physik II der Fakultät für Physik und Geowissenschaften angesiedelt sind, eines an der Fakultät für Chemie und Mineralogie. Das wissenschaftliche Programm des SFB ist die Herstellung, Untersuchung und Anwendung von multiferroischen, oxidischen Heterostrukturen, deren Eigenschaften von Grenzflächen bestimmt sind. Beispiele sind die Kombination von halbleitendem ZnO mit Isolatoren (u.a. ZrO2), ferroelektrischem Bariumtitanat (BaTiO3) oder mit ferromagnetischen Oxiden, die zu neuartigen Anwendungen führen sollen, z. B. transparenten Feldeffekt-Transistoren, elektrisch schaltbaren Phasenplatten oder hochempfindlichen Magnetfeldsensoren.

In der Arbeitsgruppe Halbleiterphysik wird von Dr. Michael Lorenz dazu ein neues Laser-Züchtungserfahren, das sogenannte Pulsed Laser Deposition (PLD im Ultrahochvakuum) aufgebaut, mit dem neuartige Schichtkombinationen atomgenau hergestellt werden können. Dabei werden die Wissenschaftler die sogenannte RHEED-Methode (Reflection High Energy Electron Diffraction) anwenden, mit der während des Wachstums (in-situ) die Oberfläche der Schicht genau untersucht werden kann.

"Die gemeinsame Erforschung spezieller Nanostrukturen soll neue Funktionalitäten hervorbringen und könnte im Ergebnis zu einer Revolution in der Speichertechnologie führen", sagt Professor Ingrid Mertig. "Basierend auf unseren Entdeckungen in der Forschergruppe 404 werden wir die entscheidende Rolle von Grenzflächen nutzen, um multifunktionale Materialkombinationen herzustellen." ergänzt Prof. Grundmann. "In diesen Strukturen kann man zum Beispiel magnetische Information durch einen Spannungspuls einbringen oder die Eigen-Drehimpulse der Elementarteilchen, den sogenannten Spin, so lenken, dass damit sehr kleine Magnetfelder detektiert werden können. Dieses wichtige Gebiet, das unter dem Wort 'Spin-Elektronik' zusammengefasst werden kann, wurde dieses Jahr auch mit der Vergabe des Nobelpreises für Physik an die Kollegen Fert und Grünberg gewürdigt."

Um die geplanten optischen Untersuchungen an Halbleitern und ferroischen Materialien mit großer Bandlücke, d. h. für sichtbares Licht transparenten Materialien, durchführen zu können, erhält die Arbeitsgruppe Halbleiterphysik einen hochauflösenden Raman-Messplatz für die inelastische Lichtstreuung, der speziell für den ultravioletten Spektralbereich (UV) ausgelegt ist und ein neues Ellipsometer für die polarisationsabhängige Reflektion, das ebenfalls im UV-Bereich arbeitet. Von der guten Vernetzung im mitteldeutschen Raum zeugt auch ein gemeinsames Projekt mit Prof. Dr. Jürgen Christen von der Universität Magdeburg, in dem die Diffusion von Ladungsträgern (Transport auf Grund von Konzentrationsgradienten) in oxidischen Heterostrukturen, orts- und zeitaufgelöst untersucht werden soll.

Als wichtige Methode trägt Prof. Dr. Harald Morgner vom Wilhelm-Ostwald-Institut für Physikalische und Theoretische Chemie in einem Teilprojekt die Streuung von schwach stabilen (metastabilen) Heliumatomen bei. Diese Streuung reagiert prinzipiell sehr empfindlich auf den Zustand der Oberfläche. Im SFB wird die Methode dahingehend ausgebaut, an der Oberfläche bestehende elektronische Zustände mit Eigen-Drehimpuls nachzuweisen. Die Wissenschaftler nennen das die Detektion von Spinpolarisation. Hiermit soll eine neue Art Ferromagnetismus untersucht werden, die in der Arbeitsgruppe Supraleitung und Magnetismus von Prof. Dr. Pablo Esquinazi entdeckt wurde.

"Die bewilligten Investitionsmittel, Verbrauchsmittel und Doktorandenstellen, etwa 8 Millionen Euro in den nächsten vier Jahren für den SFB insgesamt, werden uns erlauben, unsere Forschungen mit hervorragender Ausstattung und Mitteln durchzuführen. Einige der beteiligten Doktoranden wurden bereits in die Graduiertenschule Leipzig Graduate School of Natural Sciences - BuildMoNa an der RAL (Research Academy Leipzig) aufgenommen, um dort eine besonders hohe Qualifikation zu erreichen." freut sich Prof. Grundmann.