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Noch steht nicht fest, ob Amtsinhaber Donald Trump oder sein Herausforderer Joe Biden die US-Präsidentschaftswahl gewonnen hat. Prof. Dr. Gabriele Pisarz-Ramirez vom Institut für Amerikanistik der Universität Leipzig, schreibt in einem Gastbeitrag für das Newsportal der Universität: „Die Forderung Präsident Trumps, die Auszählung der Stimmen einzustellen und seine Ankündigung, diese Forderung dem Supreme Court vorzulegen, sind sehr besorgniserregend.“ Sie befürchtet gewaltsame Proteste „auf beiden Seiten“. Und selbst wenn Joe Biden gewinnen sollte, werde „es schwierig, die bestehenden Polarisierungen zu vermindern“.

„Die ungewöhnlich hohe Wahlbeteiligung hat gezeigt, dass für die amerikanischen Wähler viel auf dem Spiel steht. Allerdings haben die starken Umfragewerte für Joe Biden vor der Wahl sich nicht bestätigt. Warum gibt es so viel Unterstützung für den Amtsinhaber Donald Trump? Zahlreiche Wähler entscheiden eher pragmatisch, und die gute Wirtschaftslage bis zum Februar 2020 sowie Steuersenkungen der Regierung haben offenbar Wirkung gezeigt. Offenbar haben viele Wähler Trump die gegenwärtige Rezession und hohe Arbeitslosigkeit infolge der Pandemie auch nicht angelastet. 

Für republikanische Wähler hat die Ökonomie Vorrang vor der Pandemiebekämpfung. Faktoren wie Sicherheit und Bekämpfung von Kriminalität rangieren für sie ebenfalls hoch, und Trump hat die Demonstrationen nach dem Tod von George Floyd genutzt, um Ängste vor Gewalt auf den Straßen zu schüren. Die Wahl zeigt auch die – mitunter überraschend starke – Unterstützung für Trump unter den ethnischen Minderheiten. Rund ein Drittel der hispanischstämmigen Wähler hat für Trump gestimmt, und das sind nicht nur kubanischstämmige Wähler, sondern ebenfalls Menschen mit mexikanischen Wurzeln und Immigranten aus weiteren lateinamerikanischen Ländern. Diese Wähler sind häufig eher wertkonservativ und schließen sich teilweise republikanischen Positionen in der Einwanderungspolitik an. 

Die Forderung Präsident Trumps, die Auszählung der Stimmen einzustellen und seine Ankündigung, diese Forderung dem Supreme Court vorzulegen, sind sehr besorgniserregend. Es ist der direkte Versuch, die amerikanische Demokratie auszuhebeln, und kann direkt in eine Verfassungskrise führen. In den nächsten Tagen und Wochen könnte es zu gewaltsamen Protesten auf beiden Seiten kommen, je nachdem, wie die Wahl ausgeht.   

Sollte Präsident Trump vier weitere Jahre im Amt bleiben, ist davon auszugehen, dass er seine „America-First“-Politik fortsetzen und die Spaltungen in der Gesellschaft noch verschärfen wird.  Die vergangenen vier Jahre haben bereits jetzt auf verschiedenen Gebieten ein schwieriges Erbe hinterlassen. Nicht nur ist es ihm gelungen, die konservative Mehrheit im Supreme Court deutlich zu verstärken, er hat auch die Einwanderungspolitik durch äußerst rigide Maßnahmen verschärft.  Trumps Rückzug vom Pariser Klimaschutzabkommen, seine Leugnung des Klimawandels und seine Unterstützung der fossilen Brennstoffindustrien haben die Gewichte in der Energiepolitik zugunsten dieser Industrien verschoben. Die letzten vier Jahre haben außerdem zum Erstarken einer weißen Identitätspolitik beigetragen. 

Selbst wenn Joe Biden die Wahl gewinnt, wird es schwierig, die bestehenden Polarisierungen zu vermindern,  die ja nicht nur politischer Art sind, sondern auch  Einstellungen zu gesellschaftlicher und kultureller Diversität, zu den Narrativen amerikanischer Geschichte und zur Definition einer amerikanischen Identität umfassen.“