Pressemitteilung 2021/147 vom

Die Sitzordnung im Klassenzimmer beeinflusst, wer sich mit wem befreundet. Aber ob aus Sitznachbarn tatsächlich Freunde werden, hängt auch davon ab, wie ähnlich sich die Kinder und Jugendlichen sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Psychologen und Soziologen der Universität Leipzig, der University of Wisconsin-Madison (USA) und des Center for Social Sciences in Budapest, die jetzt in der Fachzeitschrift „PLOS ONE“ veröffentlich wurde.

Freundschaften haben im Jugendalter einen großen Einfluss auf zahlreiche Lebensbereiche. So beeinflussen Freunde sich gegenseitig in ihrem Drogenkonsum und in anderen riskanten Verhaltensweisen, aber auch in ihren Schulleistungen. Gleichzeitig neigen Jugendliche so wie alle Menschen dazu, sich mit denen anzufreunden, die ihnen ähneln – beispielsweise aufgrund der gleichen ethnischen Zugehörigkeit oder wegen ähnlich guter Schulnoten. Daher sind Freundschaftsnetzwerke oft sehr homogen, dabei würden zum Beispiel gerade schlechte Schüler von Freundschaften mit besseren Schülern profitieren können, so der Ausgangsgedanke der Wissenschaftler.

Wie gut sich Freundschaftsnetzwerke im Klassenzimmer mit einer unkomplizierten Intervention beeinflussen lassen, untersuchte jetzt Dr. Julia Rohrer vom Institut für Psychologie der Universität Leipzig in Kooperation mit Prof. Dr. Felix Elwert von der University of Wisconsin-Madison und Dr. Tamás Keller vom Center for Social Sciences in Budapest (Ungarn). In einer Feldstudie in ungarischen Grundschulen wurden insgesamt 3.000 Schüler in knapp 200 Klassenzimmern zufällig umgesetzt. Am Ende des Schulhalbjahres berichteten die Schüler, mit wem sie sich befreundet hatten.

Tatsächlich befreundeten sich die Schüler deutlich häufiger miteinander, wenn sie zufällig nebeneinandergesetzt worden waren. Die Wahrscheinlichkeit einer Freundschaft stieg im Schnitt um knapp die Hälfte an, von 15 auf 22 Prozent. Die Intervention funktionierte insgesamt auch bei unähnlichen Sitznachbarn, aber mit teilweise weniger starken Effekten. Wenn beispielsweise ein Mädchen neben einen Jungen gesetzt wurde, stieg die Wahrscheinlichkeit einer Freundschaft gerade mal um zwei Prozentpunkte an. „Zwar ist dieser Anstieg relativ groß im Vergleich zu der allgemein sehr geringen Wahrscheinlichkeit, dass sich Mädchen und Jungs in dem Alter überhaupt befreunden“, erklärt Rohrer, die Erstautorin der Studie. „Trotzdem bedeutet er, dass durch die Intervention im Klassenzimmer nur wenige gemischtgeschlechtliche Freundschaften ermutigt werden konnten.“

Im Hinblick auf die Schulleistung zeigte sich hingegen, dass auch Schüler mit sehr unterschiedlichen Noten sich deutlich öfter befreundeten, wenn sie nebeneinander saßen. Weniger klar waren die Ergebnisse in Bezug auf ethnische Zugehörigkeit. So deuten die Daten darauf hin, dass Roma und Nicht-Roma Schüler sich etwas wahrscheinlicher miteinander befreundeten, wenn sie nebeneinandersaßen. „Die Effektivität der Intervention blieb aber unklar, was auch daran liegt, dass nur wenige Roma Teil der Erhebung waren“, sagt Rohrer zur Einordnung dieser Teilergebnisse. Obwohl die Roma die größte Minderheit in Ungarn sind, machen sie – je nach Schätzung – nur drei bis sieben Prozent der Bevölkerung aus.

„Damit sind unsere Ergebnisse gleichzeitig ermutigend und ernüchternd. Lehrer können in Schulklassen auf simple Art und Weise eingreifen und so ein diverseres Freundschaftsnetzwerk schaffen, von dem gerade benachteiligte Schüler profitieren könnten. Aber der Sitzplan ist kein Wundermittel: Freundschaften, die Gruppengrenzen überschreiten, bleiben selten und sind kein Selbstläufer“, erläutert Rohrer.
 

Originaltitel der Veröffentlichung in PLOS ONE:
“Proximity Can Induce Diverse Friendships: A Large Randomized Classroom Experiment”, doi.org/10.1371/journal.pone.0255097