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Das Bundeskartellamt hat keine grundlegenden Bedenken gegen die 50+1-Regel im deutschen Profifußball, teilte es am 16. Juni 2025 mit. Diese Regel besagt, dass der Mutterverein die Mehrheit der Stimmanteile in einer Kapitalgesellschaft halten muss, um den Einfluss von Investoren in der 1. und 2. Bundesliga zu begrenzen. Doch es schränkt ein: „Nach eingehender Untersuchung der Anwendungspraxis der 50+1-Regel ist das Bundeskartellamt [...] der Ansicht, dass die DFL [Anm. d. Red.: Deutsche Fußballliga] konkrete Maßnahmen vornehmen sollte, um zukünftig eine rechtssichere Anwendung der Regel sicherzustellen.“ Was bedeutet das konkret? Fragen an den Sportökonom Dr. Sebastian Björn Bauers, der seit mehr als zehn Jahren zur 50+1-Regel forscht und mit seinem Team gerade eine „Befragung um die Mitbestimmung und Mitgestaltung von Fußballfans und Vereinsmitgliedern im deutschen Profifußball“ gestartet hat.

Herr Dr. Bauers, das Bundeskartellamt sieht Nachbesserungsbedarf bei der 50+1-Regel. Ordnen Sie bitte kurz ein: Warum hat das Bundeskartellamt überhaupt eine Entscheidung getroffen und was genau wurde entschieden?

Bereits seit dem Jahr 2018 prüft das Bundeskartellamt auf Initiative der Deutschen Fußballliga (DFL) die 50+1-Regel. Im Jahr 2021 kam das Bundeskartellamt zur vorläufigen Einschätzung, dass die Grundregel aufgrund ihrer sportpolitischen Ziele kartellrechtlich unbedenklich sein kann. Es wurde jedoch kritisch hervorgehoben, dass die Regel nicht einheitlich angewendet und durchgesetzt wird. Dabei verwies das Bundeskartellamt auf die Ausnahmeregelungen der 50+1-Regel. In diesem Zusammenhang hatte die DFL dem Bundeskartellamt vorgeschlagen, die Ausnahmeregelung in der DFL-Satzung zu streichen. Aufgrund einer neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs teilte das Bundeskartellamt im Mai 2024 jedoch mit, dass weitere Ermittlungen hinsichtlich der Anwendungspraxis der 50+1-Regel erforderlich sind. 

In der jüngsten Bewertung hebt das Bundeskartellamt erneut hervor, dass keine grundlegenden Bedenken gegen die 50+1-Regel bestehen. Jedoch wurden drei konkrete Empfehlungen herausgearbeitet und kommuniziert, wodurch sich ein gewisser Handlungsdruck für die DFL ergibt. Es geht dabei erstens um einen einheitlichen offenen Zugang zur Mitgliedschaft im Mutterverein, der wiederum eine Mitbestimmung der Fans ermöglichen soll. Es geht zweitens um eine konsequente Abstimmungspraxis und Anwendung der 50+1-Regel in den Gremien der DFL – und drittens: Ein Bestandsschutz für sogenannte Werksklubs soll es perspektivisch nicht mehr geben, weil das Bundeskartellamt Wettbewerbsvorteile auf Seiten der betroffenen Klubs sieht.

Was bedeutet die Entscheidung für die DFL und ihre Mitgliedsklubs? Ist die Entscheidung bindend?

Die Bewertung und die Empfehlungen des Bundeskartellamts sind zunächst als Hilfestellung für die DFL zu verstehen. Jedoch erhöht die aktuelle Situation den Druck enorm. Das heißt, der Handlungsdruck für alle Beteiligten nimmt zu und es sollte eine Lösung entwickelt und gefunden werden. Anderenfalls erhöht sich vermutlich die Gefahr, dass rechtliche Schritte gegen die Regel eingeleitet werden. Daher empfinde ich die aktuelle Situation als besonders relevant und auch wegweisend für den deutschen Profifußball. Es ist nun also die Aufgabe der DFL, die Empfehlungen im eigenen Ermessen umzusetzen. Ich gehe davon aus, dass die DFL eine vermittelnde Rolle einnehmen und die vom Bundeskartellamt beschriebenen Defizite adressieren wird. 

Bayer Leverkusen und der VfL Wolfsburg haben angekündigt, sich rechtliche Möglichkeiten vorzubehalten. Was ist der Hintergrund? 

Bayer Leverkusen und der VfL Wolfsburg nehmen die Ausnahmeregelung der 50+1-Regel in Anspruch. Bei den Ausnahmeregelungen geht es um Entscheidungen, die vor über 25 Jahren getroffen wurden. Eine Ausnahme konnte in Anspruch genommen werden, wenn ein Unternehmen seit mehr als 20 Jahren den Fußballsport des Muttervereins ununterbrochen und erheblich gefördert hat. Die betroffenen Konstellationen waren der Bayer-Konzern und Bayer Leverkusen sowie der Volkswagen-Konzern und der VfL Wolfsburg. „Ausnahme“ bedeutet in den beiden Fällen, dass die Unternehmen die jeweilige Profiabteilung mehrheitlich kontrollieren können. Das heißt, es ist kein Mutterverein und keine Mitbestimmung von Vereinsmitgliedern erforderlich, wie es die 50+1-Regel grundsätzlich vorsieht. Bislang wurde diesen sogenannten Werksklubs ein Bestandsschutz gewährt. 

Das Bundeskartellamt sagt nun jedoch, es muss einen für Mitglieder offenen Mutterverein geben, der die Profiabteilung mehrheitlich kontrolliert. Damit verbunden wären signifikante strukturelle Änderungen bei den angesprochenen Klubs. Vor diesem Hintergrund kann ich die Reaktion beider Klubs nachvollziehen, um den Status quo gegebenenfalls zu verteidigen. Ich halte jedoch eine konsensorientierte Lösung, die sich im Rahmen der Empfehlungen des Bundeskartellamts bewegt, für möglich.

Befragung von Fußballfans

Die Mitbestimmung von Fans im deutschen Profifußball ist Thema einer Umfrage, die Sie aktuell durchführen. Was ist Ziel dieser Umfrage und an wen richtet sie sich?

Ich forsche seit über zehn Jahren zur 50+1-Regel. Die aktuelle „Befragung zur Mitbestimmung und Mitgestaltung von Fußballfans und Vereinsmitgliedern im deutschen Profifußball“ (bis 25. Juli 2025) führe ich gemeinsam mit meinen Kollegen Sandy Adam und Prof. Dr. Gregor Hovemann durch. Mit unserer Befragung möchten wir die „Mitbestimmung“ besser verstehen. Das heißt, oftmals wird der Begriff allgemein und abstrakt verwendet, insbesondere in der Diskussion um die 50+1-Regel. Zudem möchten wir besser verstehen, was Vereinsmitgliedern und Fußballfans in Bezug auf Mitbestimmung bei ihrem Lieblingsklub wichtig ist, sowohl heute als auch mit Blick auf die Zukunft. Angesichts dieser Hintergründe kann unsere Forschung konkret dazu beitragen, wie Mitbestimmung von Vereinsmitgliedern und Fans bei professionellen Fußballklubs ausgestaltet werden kann.

Die Befragung richtet sich zunächst an Vereinsmitglieder, da diese traditionell bei wichtigen Entscheidungen ihres Klubs mitbestimmen können – zum Beispiel bei der Wahl des Vorstands, der Ausgliederung der Profiabteilung oder der Änderung der Satzung. Unsere Befragung richtet sich jedoch auch an Fans ohne Vereinsmitgliedschaft, da auch sie von vielen solcher Entscheidungen direkt oder indirekt betroffen sind.