Pressemitteilung 2019/085 vom

Etwa alle fünf Tage nimmt sich ein Mensch im deutschen Justizvollzug das Leben. Das zeigen die Untersuchungen des Leipziger Wissenschaftlers Dr. Daniel Radeloff von der Universitätsmedizin Leipzig. Auf der Suche nach geeigneten Präventionsmaßnahmen hat er Suizide in Gefängnissen aus 17 Jahren analysiert. Besonders betroffen waren demnach Gewaltstraftäter. Die aktuelle Studie wurde in PLoS One veröffentlicht.

Zuletzt war das Thema Suizid unter Gefangenen in Sachsen von besonderer politischer Relevanz, als sich ein mutmaßlicher IS-Terrorist im Oktober 2016 im Leipziger Untersuchungshaftvollzug Suizid beging. Anfang 2019 wurde auf Empfehlung der eingesetzten Expertenkommission eine Gesetzesänderung im sächsischen Landtag verabschiedet: Demnach dürfen Straftäter bei akuter Suizidgefahr in Gefängnissen videoüberwacht werden. „In Gefängnissen werden vielfältige Ansätze der Suizidprävention umgesetzt. Ein wichtiger Baustein ist beispielsweise die Einschätzung des Suizidrisikos am ersten Tag der Haft durch den psychologischen Dienst. Ziel unserer Studie war es, dieses Eingangsscreening zu stärken, indem Risikofaktoren für Suizid in Haft wissenschaftlich untersucht und bewertet werden“, sagt Dr. Daniel Radeloff, Studienleiter an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig.

In der vom Bundesgesundheitsministerium unterstützten epidemiologischen Studie haben die Wissenschaftler alle Suizide im deutschen Strafvollzug der Jahre 2000 bis 2016 eingeschlossen. Dabei wurde untersucht, welche Straftaten mit besonders hohen Suizidraten verbunden waren und ob es dabei Unterschiede zwischen adoleszenten und erwachsenen Gefangenen gab. Es zeigte sich, dass insbesondere Gewaltstraftaten, also Tötungsdelikte, Sexualstraftaten und Körperverletzung, mit besonders hohen Suizidraten assoziiert waren. In der Adoleszenz sind andere Risikofaktoren wirksam als im Erwachsenenalter: So haben adoleszente Diebe beispielsweise ein beinahe doppelt so hohes Suizidrisiko wie erwachsene.

In einem anschließenden Pilotprojekt soll nun ein evidenzbasiertes Erhebungsinstrument entwickelt werden. Neben dem Risikomarker „Indexdelikt“ werden eine Vielzahl anderer Faktoren in das Erhebungsinstrument eingehen, beispielsweise das Vorliegen einer psychischen Erkrankung, Drogenkonsum, Suizidversuche in der Vorgeschichte sowie das Kommunikationsverhalten und die soziale Integration. „Auf diese Weise sollen suizidgefährdete Menschen beim Haftantritt besser erkannt werden. Denn eine suizidale Krise kann mit psychischer Hilfe gut bewältigt werden, sofern sie frühzeitig identifiziert wird”, sagt Radeloff, der zugleich als Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters des Universitätsklinikums Leipzig tätig ist.

Hinweis:
Journalisten bitten wir, den Pressekodex (Richtlinie 8.7) der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention zur Veröffentlichungen zum Thema Suizidalität zu beachten.

Originaltitel der Veröffentlichung in „PLoS One“:
„Murderers or thieves at risk? Offence-related suicide rates in adolescent and adult prison populations.“, DOI: 10.1371/journal.pone.0214936