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Erstmals gelang es Wissenschaftlern, intakte menschliche Organe durchsichtig zu machen. Mittels mikroskopischer Bildgebung konnten sie die zugrunde liegenden komplexen Strukturen der durchsichtigen Organe auf zellulärer Ebene sichtbar machen. Solche strukturellen Kartierungen von Organen bergen das Potenzial, künftig als Vorlage für 3D-Bioprinting-Technologien zum Einsatz zu kommen. Das wäre ein wichtiger Schritt, um in Zukunft künstliche Alternativen als Ersatz für benötigte Spenderorgane erzeugen zu können. Dies sind die Ergebnisse einer Zusammenarbeit zwischen dem Helmholtz Zentrum München, der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und der Technischen Universität München (TUM). Auch Leipziger Wissenschaftler waren an der Entwicklung beteiligt. Den Grundstein für die Methode legte im frühen 20. Jahrhundert der Leipziger Anatom Werner Spalteholz.

Die Entschlüsselung der strukturellen Komplexität menschlicher Organe war schon immer eine große Herausforderung. Denn Technologien, die Organstrukturen auf zellulärer Ebene abbilden können, fehlten. Fortschritte im Bereich des sogenannten Tissue Clearing ermöglichten es, erste 3D-Bilder transparenter Organe von Mäusen auf Zellebene zu erzeugen. Diese Methode konnte jedoch nicht auf den Menschen übertragen werden, da menschliche Organe eine besonders steife Struktur haben. Herkömmliche Reinigungsmittel (Detergentien) halfen hier nicht weiter. „Wir mussten einen völlig neuen Weg einschlagen und ganz von vorne anfangen, um eine neue Chemikalie zu finden, die auch menschliche Organe transparent machen kann“, sagt Shan Zhao, Doktorandin am Helmholtz Zentrum München und Erstautorin der Studie. Nach aufwendigen Versuchen fand das Team heraus, dass das Detergens CHAPS in den steifen menschlichen Organen kleine Löcher erzeugen konnte. Dadurch konnten zusätzliche Lösungen tief in die zentimeterdicken Organe eindringen und diese in transparente Strukturen umwandeln.

Mit Laser-Scanning-Mikroskop und Deep-Learning-Algorithmen

Die menschlichen Organe für die Untersuchung kamen aus dem Leipziger Institut für Anatomie. „Hanno Steinke und ich arbeiten schon seit vielen Jahren mit dem dem Team um Ali Ertürk zusammen, so Prof. Dr. Ingo Bechmann, Direktor des Instituts für Anatomie. Mit einem neuen Laser-Scanning-Mikroskop konnten dann Aufnahmen von gesamten menschlichen Organen bis hin zur Größe einer Niere durchgeführt werden. Anschließend entwickelte das Forscher-Team zusammen mit Prof. Dr. Bjoern Menze von der TUM Deep-Learning-Algorithmen, um Abermillionen von Zellen in 3D analysieren zu können. Diese Technologie fassten die Forschenden unter dem Namen SHANEL (Small-micelle-mediated Human orgAN Efficient clearing and Labeling) zusammen. „SHANEL könnte sich in naher Zukunft zu einer Schlüsseltechnologie für die Kartierung intakter menschlicher Organe entwickeln. Damit könnten wir sehr schnell viel besser verstehen, wie sich Organe wie unser Gehirn entwickeln und wie sie im gesunden und erkrankten Zustand funktionieren“, erklärt Dr. Ali Ertürk, Direktor des Instituts für Tissue Engineering und Regenerative Medizin am Helmholtz Zentrum München sowie Principal Investigator am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung am Klinikum der LMU. Wissenschaftler arbeiten bereits dran, Technologien für den Druck von Organen – 3D-Bioprinting – zu entwickeln. Zelluläre dreidimensionale Karten von menschlichen Organen könnten künftig als Vorlage für neue Organe aus solchen 3D-Biodruckern dienen. 

Leipziger Anatom legte Grundlagen für das Durchsichtigmachen von Organen

Den Grundstein für das Durchsichtigmachen von Organen und anderen anatomischen Präparaten legte der deutsche Anatom Werner Spalteholz. Er studierte, promovierte und habilitierte sich an der Universität Leipzig. Als Professor an der Medizinischen Fakultät entdeckte er in den frühen 1900er Jahren eine Möglichkeit, Organpräparate in einer speziellen Flüssigkeit einzulegen und dann unter dem Mikroskop transparent zu machen. Ausgangspunkt war sein wissenschaftliches Interesse für die Herzkranzgefäße. Er war auf bestimmte Verbindungen gestoßen, sogenannte Anastomosen, und suchte nach einer Methode, diese Verbindungen darzustellen. Die Aufhellungstechnik half ihm dabei, seine Präparate transparent zu zeigen und Details der menschlichen Anatomie wurden so sichtbar. Diese Methode beruht darauf, dass der Brechungsindex des Gewebes identisch sein muss mit dem des Lösungsmittels. Mit einem Refraktometer stellte Spalteholz den Brechungsindex des Lösungsmittels und erhielt dann diese Präparate, die heute noch in der Lehrsammlung des Instituts für Anatomie der Universität Leipzig zu betrachten sind. 

 

Originalpublikation
S. Zhao et al. 2020: Cellular and Molecular Probing of Intact Human Organs. Cell, DOI:10.1016/j.cell.2020.01.030