Pressemitteilung 2020/101 vom

Wenn Marcus Schwarz an einen Tatort gerufen wird, sichert er die ungewöhnlichen Spuren eines Verbrechens: Fliegen, Maden, Käfer und andere Insekten. Er wird als Gutachter zu ungeklärten Todesfällen hinzugezogen, um anhand von Insekten die Liegezeit und wenn möglich den Todeszeitpunkt einer Leiche zu bestimmen. Gerade einmal vier dieser forensischen Entomologen gibt es in ganz Deutschland. Heute (1. April) erscheint Schwarz’ erstes Buch „Wenn Insekten über Leichen gehen – Als Entomologe auf der Spur des Verbrechens“. Darin schildert er seine Arbeitsweise und rekonstruiert einige seiner Ermittlungsfälle.

Seit drei Jahren liegt ein Mensch tot in seiner Wohnung eines großen Mietshauses. Niemand im Haus, keinem Verwandten und keiner Institution ist aufgefallen, dass er nicht mehr lebt. Marcus Schwarz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Fakultät, wird von der Polizei an den Fundort gerufen, um die ungefähre Liegezeit des Toten zu bestimmen. „Nach so langer Zeit ist von einem Menschen nicht mehr viel übriggeblieben, weil Insekten auch schon den trockensten Rest der Leiche gefressen haben“, erinnert sich Schwarz an seinen Einsatz. Er untersucht die Insekten, die innerhalb kürzester Zeit den Leichnam besiedeln. Je nach Art und Entwicklungsgrad kann er die Liegezeit abschätzen: „Jedes Insekt durchläuft in seiner Entwicklung verschiedene Stadien. Ich nehme die Größe des Insekts und gleiche sie mit Temperatur und Luftfeuchte vom Fundort ab. Daraus kann ich berechnen, wie lange das Insekt schon lebt und so Rückschlüsse auf den Todeszeitpunkt ziehen“, erklärt Marcus Schwarz seine Arbeitsweise.

Mit dem Buch möchte Schwarz für sein Fach sensibilisieren

Einige seiner Fälle hat der 32-Jährige nun in einem populärwissenschaftlichen Buch festgehalten. „Die Idee dazu entstand im Jahr 2016, als wir es mit vier zerstückelten Leichen innerhalb von elf Monaten zu tun hatten. Damals ist bei der Ermittlung alles sehr gut gelaufen, ich wurde schon früh involviert und die kleinen einzelnen Räder haben wunderbar ineinander gespielt. Das hat zu einem schnellen Ermittlungserfolg geführt“, erinnert sich Schwarz. Im Buch hat er diese Fälle um theoretische Aspekte der forensischen Entomologie ergänzt. Damit möchte der Leipziger sein Fach ins Bewusstsein bringen und zugleich zeigen, wie interdisziplinär die Rechtsmedizin aufgestellt ist.  So will er die Hemmschwelle bei Polizei weiter abbauen, ihn frühzeitig in die Ermittlungen mit einzubeziehen. „Ich sehe die Dinge am Fundort meist mit anderen Augen als ein Polizist, der die Spuren sichert. Außerdem habe ich einen fertigen Koffer parat, um alle Insektenspuren fachgerecht zu sichern.“

Der Leipziger erstellt etwa 20 Gutachten im Jahr

Am Institut für Rechtsmedizin verfasst Marcus Schwarz Gutachten zu Todesfällen vornehmlich für die Staatsanwaltschaft unter anderem in Leipzig, Halle und Dresden und für das Land Brandenburg. Aber auch der Zoll Berlin hat seine Expertise schon genutzt. Aktuell schreibt er etwa 20 Gutachten pro Jahr, angefangen hatte er vor fünf Jahren mit zwei Aufträgen. „Die Nachfrage steigt stetig. Doch an den universitären rechtsmedizinischen Instituten in ganz Deutschland gibt es nur vier Kollegen. Ich wäre zufrieden, wenn zu meinem Dienstende in jedem Bundesland mindestens einer sitzt, um die Fahrtstrecken kurz zu halten und die Forschung auszubauen“, so Schwarz. Den Beruf des forensischen Entomologen kann man in Deutschland nicht erlernen. Marcus Schwarz studierte Forstwissenschaften und spezialisierte sich auf die Insektenkunde. Verbunden mit seinem Interesse an Medizin und Kriminalistik verwundert sein weiterer Werdegang nicht. Auf die Frage, wie er Verbrechen, Mord und Totschlag mental wegsteckt und ob er nachts noch ruhig schlafen kann, antwortet Marcus Schwarz nüchtern: „Das Schicksal hinter einem Verbrechen, blenden wir aus. Wir können die Person nicht wieder lebendig machen, wir können hauptsächlich dabei helfen, das Verbrechen schnell aufzuklären.“

Das Buch „Wenn Insekten über Leichen gehen – Als Entomologe auf der Spur des Verbrechens“ ist im Droemer Knaur Verlagsgruppe erschienen.