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Am 31. Mai 2025 wurden 19 Schädel einer anthropologischen Sammlung aus dem Institut für Anatomie der Universität Leipzig in New Orleans, USA, im Rahmen einer feierlichen Zeremonie beigesetzt. Diese menschlichen Überreste, allesamt von afroamerikanischen Individuen, stammen aus der Sammlung von Prof. Emil Ludwig Schmidt, der vor über 150 Jahren ein umfangreiches Archiv für rassistisch motivierte Forschung angelegt hatte. In den 1880er Jahren hatte er die Schädel von einem Arzt aus New Orleans übergeben bekommen. Die „New York Times“, „The Guardian“ und die Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ haben über die Beisetzung berichtet.

“Überführungen von human remains, sogenannte Repatriierungen, sind sehr zeitaufwendige und komplexe Prozesse. Fast zwei Jahre hatte es vom ersten Kontakt bis zur Überführung gebraucht”, berichtet Prof. Martin Gericke, stellvertretender Direktor des Instituts für Anatomie. Das Institut beherbergt die Sammlung von Prof. Emil Schmidt mit rund 1.200 Schädeln. Diese Schädelsammlung soll aufgelöst und an die verschiedenen Herkunftsländer zurückgeführt werden. “Uns ist es sehr wichtig, die Herkunftsgesellschaften in den Entscheidungsprozess einzubeziehen, wie und wo diese Menschen ihre letzte Ruhe finden sollen”, sagt Gericke. Im Jahr 2023 schrieb sein Institut deshalb Archäologen der Stadt New Orleans an, wo die 19 Individuen vor ihrem Tod lebten. Parallel setzten sie sich in zahlreichen Gesprächen unter anderem mit der sächsischen Staatsregierung, der Bundesregierung und dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste mit den ethischen und juristischen Rahmenbedingungen auseinander. 

Eine forensische Anthropologin vom Louisiana Department of Justice, USA, reiste im darauffolgenden Sommer für eine Woche nach Leipzig und untersuchte die human remains näher, um die Einträge aus den historischen Quellen zu bestätigen. Ein Stadtarchäologe von New Orleans wiederum stellte die Verbindung zur Dillard University her. Diese private Hochschule in New Orleans ist ein historisches College für Afroamerikaner:innen. “Wir haben viel Wert darauf gelegt, bei diesem Prozess die afroamerikanische Community in New Orleans und ihre Sichtweise auf den Umgang mit den human remains einzubeziehen,” berichtet Gericke über die Anbahnung der Repatriierung, die Einfühlungsvermögen und diplomatisches Fingerspitzengefühl verlangt habe. So bildete die Dillard University eigens ein Cultural Repatriation Committee, um den Empfang der Schädel gebührend vorzubereiten und mehr über die Individuen und die Umstände des Handels ihrer Überreste herauszufinden. 

Grenzen der Provenienzforschung und die Namen der Verstorbenen

“Häufig sind die Möglichkeiten der Provenienzforschung begrenzt, in diesem Fall jedoch waren die Namen im Sammlungskatalog in Leipzig vermerkt”, erläutert Gericke. Die Namen von 17 identifizierten Personen, vermutlich ehemalige Versklavte, lauteten: Adam Grant, Isaak Bell, Hiram Smith, William Pierson, Henry Williams, John Brown, Hiram Malone, William Roberts, Alice Brown, Prescilla Hatchet, Marie Louise, Mahala, Samuel Prince, John Tolman, Henry Allen, Moses Willis und Henry Anderson. Sie waren zum Zeitpunkt des Todes zwischen 17 und 70 Jahre alt.

"In den historischen Akten eines der ältesten Krankenhäuser der USA in New Orleans konnten dann weitere Informationen über diese Menschen sichergestellt werden. Die Zusammenarbeit mit den Kolleg:innen aus New Orleans war also entscheidend“, beschreibt Prof. Martin Gericke die Recherche, die einer Stecknadel im Heuhaufen gleichkommt. 

Die Reise von Leipzig nach New Orleans

Am 15. Mai 2025 war es dann soweit: Die Mitarbeiter:innen des Instituts für Anatomie legten die sorgsam umhüllten Schädel vorsichtig in mit Papierwolle ausgekleidete Kartons. In einer Holzkiste reisten sie mit einem international agierenden Bestattungsunternehmen zurück nach Amerika, wo sie von der Bürgermeisterin New Orleans und dem Cultural Repatriation Committee in Empfang genommen wurden. Eine Polizeieskorte begleitete die sensible Ladung. Dem Empfang in der Lawless Memorial Chapel folgte am 31. Mai 2025 ein Gedenkgottesdienst mit künstlerischen und musikalischen Beiträgen sowie Segnungen von Geistlichen verschiedenster Religionen. 

Das Team der Anatomie verfolgte die feierliche Bestattung in den USA live an Bildschirmen in Leipzig. “Auch für jeden Einzelnen von uns ist dies ein sehr bewegender Moment gewesen”, sagt Prof. Gericke. „Wir konnten mit unserer Provenienzforschung zur Klärung und ein wenig zur Heilung des begangenen Unrechts beitragen.“

Ziel ist die Auflösung der Schädelsammlung

Die Überführung nach New Orleans war nicht die erste Repatriierung aus der anatomischen Sammlung der Universität Leipzig. Im vergangenen Jahr wurde bereits ein Schädel an eine indigene Gruppe zurückgegeben. Diese lehnten jedoch eine öffentliche Berichterstattung ab. „Auf die Bedürfnisse der Herkunftsgesellschaften Rücksicht zu nehmen, hat für uns oberste Priorität, um kein weiteres Unheil zu verursachen“, sagt Gericke. Die Aufarbeitung der Schädelsammlung initiierten im Jahr 2021 zwei Studierende, die im Institut eher zufällig auf die Schädel stießen, welche nun nach New Orleans repatriiert werden konnten. 

Das langfristige Ziel der Provenienzforschung am Institut für Anatomie der Universität Leipzig ist, die anthropologische Sammlung vollständig aufzulösen. Dafür setzen sich im Institut seit 2024 auch die beiden promovierten Wissenschaftlerinnen Ulrike Lötzsch und Isabelle Reimann ein: Sie starteten eine umfangreiche Recherche der südamerikanischen und afrikanischen Schädel der Sammlung, welche letztendlich zur Repatriierung -  durch das Auffinden von Ansprechpersonen in den einzelnen Herkunftsländern - führen soll. Das Projekt wird vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste für zwei Jahre gefördert.