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Sie verwandeln die Stadt mit den Bewohner:innen in ein Freilufttheater: Das Team von LANDschafftTHEATER berichtet an einem Abend im Mai über ihr Theaterprojekt im Sächsischen Bad Düben. Eingeladen hat sie das Centre of Competence for Theatre in der Reihe Freie Radikale – unabhängige Theaterarbeit heute.

Ein Beitrag von Lara Janssen

Die Darsteller:innen strömen aus ihrem Reisebus und beschlagnahmen den grauen Netto-Parkplatz. „Die große Suche“ in der Bad Dübener Kleinstadt geht weiter. Es ist das erste Stück von LANDschafftTHEATER im Jahr 2012. Noch Jahre später ist der sonst unbeachtete Parkplatz für die Teilnehmenden und Zuschauer:innen ein Ort voll ungewöhnlicher Erinnerungen, berichtet Stefan Kaminsky, Schauspieler und Regisseur des Projekts. Auf einer digitalen Veranstaltung am 26.05.2021 erzählen er und Produzentin und Initiatorin, Henriette Lippold, von ihrem Konzept und zeigen Fotos und Videos vom LANDschafftTHEATER. Durch den zweistündigen Abend moderieren Professor Günther Heeg und Helena Wölfl vom Centre of Competence for Theatre (CCT) der Universität Leipzig in der Reihe Freie Radikale.

 

Was die Gruppe besonders macht

Alle drei Jahre inszeniert das LANDschafftTHEATER Bad Düben unter einem fünfköpfigen Leitungsteam ein neues Stück. Grundlegend gelten hierbei fünf Prinzipen:

  1. Jede:r darf mitmachen, denn die ganze Stadt, fast eine ganze Region macht Theater.
  2. Es gilt das Gemeinschaftsprinzip, alles und jede:r wird gefördert.
  3. Die Landschaft dient als Bühne, denn es geht auch darum bekannte Orte neu zu entdecken und mit neuen Erinnerungen zu besetzen.
  4. Das Publikum folgt der Handlung mit Klapphockern von Ort zu Ort und überquert dabei auch ungewöhnliche Wege wie abgesperrte Kleingartensiedlungen oder Flüsse.
  5. Laien und Profis arbeiten zusammen.

Gemeinsam mit einzelnen bekannten deutschen Schauspieler:innen, professionellen Bühnen- oder auch Kostümbildner:innen erarbeiten Laien das jeweilige Stück und bringen es zur Aufführung. Auf dem Weg dorthin sind die Aufgaben möglichst gleich verteilt: Auch die professionellen Schauspieler:innen putzen Toiletten und schmieren Schnitten.

 

Wie sich die Gruppe formt

Die Vorarbeit beginnt bereits ein Jahr vor der jeweiligen Aufführung in Bad Düben: Interessierte sind eingeladen zu einem ersten Treffen, auf das etwa drei Workshops folgen. So formiert sich eine feste Kerngruppe und die Stadtbewohner:innen erfahren grundlegendes Theatertraining und lernen sich kennen. Bei dem ersten Stück „Die große Suche“ formierte sich ein Kernteam mit zwölf Rollen, bei „Die große Dürre“ im Jahr 2015 waren es bereits um die 35 Personen und bei dem vergangenen Stück „Die große Reise“ im Jahr 2018 bereits rund 50.

Das Leitungsteam müsse flexibel bleiben und viel Vertrauen haben, so Henriette Lippold. Das Stück schreiben sie während des Probenprozesses weiter und helfende Hände und Ideen sind jederzeit willkommen. Sie ist selbst in Bad Düben großgeworden und sieht nach vielen Jahren Stadtleben viel Potential in ländlichen Regionen: Während in Städten zig Angebote gleichzeitig bestehen, ließen sich die Menschen in Bad Düben von ihrem Projekt ansteckend. Die Kleinstadt mit rund 10.000 Einwohner:innen wachse durch das Projekt stark zusammen und auch alte Fehden könnten für die gemeinsame Projektarbeit beiseitegelegt werden. Zudem erleichtere es der kurze Draht zu den Behörden auf dem Land ein Stück weit, Genehmigungen für Spielorte zu bekommen.

Das LANDschafftTHEATER verwandelte 2015 zum Beispiel eine alte Kaserne zum Spielort. Inhaltlich griffen sie ungeplant ein politisch aktuelles Thema auf, erzählt Henriette Lippold: Nachdem sie sich bei ihrem ersten Projekt in Bad Düben als Neue gefühlt hatten, die zunächst recht skeptisch von der Stadtgemeinde beobachtet werden, schrieben sie ihr zweites Stück über eine Familie, die neu in eine Gemeinschaft und auf deren Misstrauen stößt. Laut Daniela Peschel-Droske, die als Bad Dübenerin von Anfang an bei LANDschafftTHEATER mitwirkt, führte das Stück sehr feinfühlig zu politischem Gesprächsstoff.

 

Was die Gruppe motiviert

Monetäres steht laut dem Leitungsteam nicht im Vordergrund: Wer eine Festanstellung hat, verzichtet auf eine Gage, für Fahrt- oder Übernachtungskosten gibt es eine Aufwandsentschädigung und nur freischaffende Techniker:innen zum Beispiel bekommen ein reguläres Gehalt. Die Motivation sei eine andere: Fernab verkrusteter, vorgegebener Strukturen ein gemeinschaftliches Projekt auf die Beine zu stellen, das eine Kleinstadt zusammenrücken lässt und vom Engagement der Teilnehmenden lebt. Mit rund 400 Zuschauer:innen pro Abend steht eine aufwendige Infrastruktur im Hintergrund des Projektes, das davon lebt, dass viele Menschen ihren Elan und ihre Zeit hineinstecken.

Gegen Ende der digitalen Veranstaltung kommt schließlich die Frage auf, ob solch ein Projekt auch in der Stadt möglich sei. Ja, sagt das Leitungsteam von LANDschafftTHEATER, doch müssen es die jeweilige Stadt auch wollen und unterstützen. Dann könne LANDschafftTHEATER auch ein Modelprojekt für Städte sein.

 

Die nächste digitale Veranstaltung der Reihe Freie Radikale vom Leipziger Centre of Competence for Theatre findet am 23.06.2021 statt.


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Lara Janssen ist wissenschaftliche Hilfskraft im Projekt MetaKLuB und arbeitet im Bereich Öffentlichkeitsarbeit.