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Während Kulturelle Bildung in den letzten Jahren in strukturstarken Regionen und Städten einen Aufschwung erfuhr, wird das Thema in vielen ländlichen und peripheren Räumen oft vernachlässigt (vgl. Bender, Kolleck, Lambrecht, Heinrich 2019). Diese Vernachlässigung zeigt sich ebenfalls in wissenschaftlichen Studien. Beispielsweise wurde Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen bislang kaum empirisch untersucht. Allerdings zählen nicht zuletzt strukturschwache ländliche Regionen zu den Verlierern im deutschen Bildungssystem, das nicht nur im Bereich der Kulturellen Bildung von regionalen Disparitäten geprägt ist (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012; 2016; 2018; Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung & Wüstenrot-Stiftung 2019).

Als Reaktion auf dieses Forschungsdesiderat arbeiten insgesamt 21 Forschungsprojekte zum Thema der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 12,1 Mio. Euro geförderten Förderrichtlinie ‚Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen‘. In 13 Einzelvorhaben, sieben Verbundvorhaben und einem Metavorhaben werden auf Grundlage eines breiten Methodenrepertoires sozial-, kultur- und bildungswissenschaftlicher Fächer unterschiedliche Aspekte des Förderschwerpunkts beleuchtet. Die Förderrichtlinie hat das Ziel, zu einer fundierten Auseinandersetzung mit der Rolle der Kulturellen Bildung in ländlichen Räumen beizutragen und den aktuellen Forschungsstand substantiell fortzuentwickeln. Die bewilligten Forschungsvorhaben untersuchen auf Basis vielfältiger theoretischer und methodischer Ansätze unterschiedliche Rahmenbedingungen und Dimensionen Kultureller Bildung in diversen ländlichen Räumen Deutschlands. 

Die Förderrichtlinie ist Teil des zweiten Rahmenprogramms ‚Empirische Bildungsforschung‘ des BMBF. Sie bildet eine wichtige Erweiterung des Rahmenprogramms, insbesondere in Bezug auf den bereits laufenden Forschungsschwerpunkt ‚Digitalisierung in der Kulturellen Bildung‘ (vgl. Unterberg 2018), indem die empirische Fundierung und interdisziplinäre Ausweitung der Forschung zu Kultureller Bildung (vgl. Reinwand-Weiss 2020) auf den Kontext ländlicher Räume übertragen wird. Die Forschungsprojekte verfolgen meist interdisziplinäre Perspektiven und verbinden verschiedene Ansätze aus Bildungs-, Kultur-, Kunst- oder Sozialwissenschaften. Ein großer Teil der Forschungsprojekte bezieht zudem Praxisakteure in den untersuchten Feldern im Sinne einer ‚community of practice‘ bzw. ‚community of research‘ systematisch mit ein.

Einbindung eines Metavorhabens in die Förderrichtlinie

Die Forschung in der Förderrichtlinie baut auf der Annahme auf, dass eine Bestandsaufnahme und Vernetzung sowie eine systematische wissenschaftliche Aufarbeitung des aktuellen Forschungsstands förderlich für eine langfristig erfolgreiche kulturelle Bildungsarbeit in ländlichen Räumen sind. Als Teil der Förderrichtlinie wurde deshalb ein Metavorhaben eingerichtet – ein Format, das sich in anderen Förderrichtlinien des Rahmenprogramms bereits bewährt hat.

Das Metavorhaben unterstützt die Einzelprojekte in drei Zielbereichen: Monitoring, Transfer und Forschung. Im Bereich der Forschung werden die Erkenntnisse und Ergebnisse der Einzelprojekte und eigene Expertisen zusammengeführt, die Einzelprojekte sowie weitere internationale und nationale Experten vernetzt, der Anschluss an die nationale und internationale Forschungslandschaft abgesichert sowie die nationale und internationale Sichtbarkeit gestärkt. Auf der Basis eines systematischen Reviews, quantitativer Analysen von Sekundärdaten vorhandener Datenbestände sowie der Entwicklung eines theoretischen Rahmens werden Forschungsfragen und Ideen für die Weiterentwicklung des Forschungsfeldes generiert. Zudem wird der Aufbau von Strukturen und Netzwerken in dem trans- und interdisziplinären Feld gefördert. Dies soll unter anderem durch mindestens jährliche Vernetzungstreffen, Workshops, Beiratssitzungen, Weiterbildungen und Veranstaltungen sichergestellt werden.

Themen und Fragestellungen der Forschungsvorhaben

Inhaltlich stehen drei Themenbereiche im Mittelpunkt:

  • Inhalte, Gegenstände und Vermittlung Kultureller Bildung unter Berücksichtigung der kontextbezogenen Eigenheiten ländlicher Räume
  • Rahmenbedingungen für kulturelle Bildungsarbeit in ländlichen Räumen, zum Beispiel in Bezug auf regionale, demographische und ökonomische Faktoren
  • Gesellschaftliche Dimensionen, wie beispielsweise die Rolle Kultureller Bildung bei der Herausbildung oder Transformation lokaler Identitäten oder Herausforderungen für Bildungsarbeit durch den demographischen Wandel

Angesichts der inter- und multidisziplinären Zusammensetzung der beteiligten Forschungsprojekte sind die Themen, Fragestellungen und Methodenrepertoires und die Auswahl und Skalierung der von ihnen untersuchten geographischen Räume vielfältig. So konzentriert sich ein Teil der Forschungsprojekte auf einzelne Bildungseinrichtungen, Dorfgemeinden oder Landkreise und arbeitet dabei überwiegend mit rekonstruktiven und qualitativen Methoden der Kultur- und Sozialforschung. Andere Forschungsvorhaben analysieren regionale Strukturen und Netzwerke oder vergleichen die Situation Kultureller Bildung in ländlichen Räumen in verschiedenen Regionen indem sie quantitative Daten erheben oder auf vorhandene Datenbestände zurückgreifen. Experimentelle und intervenierende Designs sind ebenfalls in der Förderrichtlinie zu finden. Nicht zuletzt zeichnen sich sämtliche Forschungsvorhaben durch einen engen Austausch mit den untersuchten Praxisakteur*innen, Bildungseinrichtungen und Kulturinstitutionen aus und verfolgen das Ziel, anhand ihrer Untersuchungen einen Beitrag für die die Praxis zu leisten.

Die Fragestellungen und Untersuchungsfelder der Forschungsprojekte lassen sich nach einer ersten, sehr vorläufigen Zuordnung in fünf zentralen Bereichen fassen, wobei die Einzel- und Verbundvorhaben meist mehrere der genannten Bereiche adressieren: Strukturen und Netzwerke; Identität bzw. Identifikation und Zugehörigkeit vor dem Hintergrund sozialen Wandels; Lokale und individuelle Prägungen in ihrem Verhältnis zu den Angebotsstrukturen; Kinder und Jugendliche als Zielgruppe; und schließlich (Lern-)Orte Kultureller Bildung.

Ausblick auf die Forschungsarbeit der Förderrichtlinie

Im Zuge der Diskussionen über die u.a. durch PISA aufgezeigten Zusammenhänge zwischen regionaler Sozialstruktur und Bildungsbeteiligung gewann die internationale Forschung zur Kulturellen Bildung in den letzten Jahren an Relevanz (u.a. Hauge 2014; Jessop 2017). Während in der internationalen wissenschaftlichen Literatur Studien zu Schulprogrammen, Curricula und Hochschulbildung im Bereich der Kulturellen Bildung dominieren, mangelt es im deutschen Kontext an theoretisch basierten empirischen Analysen Kultureller Bildung in ländlichen Räumen. Zugleich wurden in den Debatten um strukturschwache Regionen, Radikalisierungstendenzen und Demokratiestärkung in den letzten Jahren zunehmend Forderungen laut, die Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen zu stärken (Sievers 2018). Während einige Beiträge auf der Online-Plattform ‚Kulturelle Bildung Online‘ bereits Einblicke in Aktivitäten Kultureller Bildung in ländlichen Räumen bieten, wird dieses Forschungs- und Praxisfeld durch die zu erwartenden wissenschaftlichen Erkenntnisse der Förderrichtlinie zusätzlich profitieren.

Die im Rahmen der Förderrichtlinie geförderten Einzelprojekte versprechen, die verschiedenen Facetten Kultureller Bildung in ländlichen Räumen besser zu verstehen und das Forschungsfeld durch spannende Ergebnisse systematisch fortzuentwickeln. Sämtliche geförderte Projekte eint das Ziel, anhand wissenschaftlicher Untersuchungen einen systematischen Beitrag für die Praxis zu leisten. Schließlich ist das Thema Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen nicht nur aufgrund der anfangs angesprochenen regionalen Disparitäten im deutschen Bildungssystem von hoher Relevanz. Seit Beginn der Förderrichtlinie hat sich die Situation durch den Ausbruch der Corona-Pandemie vielmehr verschärft. Kulturelle Bildungseinrichtungen in ländlichen Räumen sind aufgrund schwieriger wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen meist unmittelbar von den zu erwartenden Auswirkungen der Pandemie betroffen. Dies gilt bereits jetzt vor allem für nicht-staatliche Einrichtungen und Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft wie u.a. Galerien, Kinos oder Buchhandlungen. Aber auch staatliche Einrichtungen trifft die Krise schwer. Es wird im Rahmen der Forschung der Förderrichtlinie zu beobachten sein, wie sich die unerwartete neue gesellschaftliche Situation auf den Bereich der Kulturellen Bildung auswirkt und welche Wirkung die angekündigten Notfallfonds von Bund und Ländern entfalten können.

Zitierte Literatur

  • Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2016): Bildung in Deutschland 2016. Ein Indikationsgestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration. Bielefeld: Bertelsmann.
  • Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2012): Bildung in Deutschland 2012. Ein Indikationsgestützter Bericht mit einer Analyse zur kulturellen Bildung im Lebenslauf. Bielefeld: Bertelsmann.
  • Bender, Saskia/Kolleck, Nina/Lambrecht, Maike/Heinrich, Martin (2019): Kulturelle Bildungsnetzwerke in ländlichen Räumen. WE_OS Jahrbuch, Bd. 2: Praxisforschung und Transfer.
  • Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und Wüstenrot Stiftung (2019): Teilhabeatlas Deutschlands. Ungleichwertige Lebensverhältnisse und wie die Menschen sie wahrnehmen. Online unter: www.berlininstitut.org/fileadmin/user_upload/Teilhabeatlas/Teilhabe_Online.pdf (letzter Zugriff am 26.03.2020).
  • Hauge, Chelsey (2014): Youth media and agency. In: Discourse: Studies in the Cultural Politics of Education 2014 (4), 471-484.
  • Jessop, Sharon (2017): Adorno: Cultural Education and Resistance. In: Studies in Philosophy and Education 36 (4), 409-423.
  • Reinwand-Weiss, Vanessa-Isabelle (2020): Kulturelle Bildung aus der Perspektive der Wissenschaft in Forschung und Lehre. In: Wissensplattform Kulturelle Bildung Online: www.kubi-online.de/index.php/artikel/kulturelle-bildung-aus-perspektive-wissenschaft-forschung-lehre (letzter Zugriff am 26.03.2020).
  • Sievers, Norbert (2018): Kulturpolitik für ländliche Räume. In: Wissensplattform Kulturelle Bildung Online: www.kubi-online.de/artikel/kulturpolitik-laendliche-raeume (letzter Zugriff am 20.02.2019).
  • Unterberg, Lisa (2018): Überblick: Forschungsvorhaben zur Digitalisierung in der Kulturellen Bildung. In: Wissensplattform Kulturelle Bildung Online: www.kubi-online.de/artikel/ueberblick-forschungsvorhaben-zur-digitalisierung-kulturellen-bildung (letzter Zugriff am 26.03.2020).

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Der Blog-Beitrag ist eine leicht überarbeitete Kurzfassung der detaillierteren Vorstellung der Förderrichtlinie und der beteiligten Forschungsvorhaben auf der Online-Plattform ‚Kulturelle Bildung Online‘: Nina Kolleck, Martin Büdel (2020): Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen: Vorstellung der Forschungsvorhaben der BMBF-Förderrichtlinie.