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Demokratie braucht Kultur. Das klingt erst einmal nach einer vertretbaren Aussage. Aber warum ist das eigentlich so? Was hat die politische Landschaft mit kulturellen Eigenschaften zu tun? Ist das eine nicht völlig losgelöst von dem anderen? Kultur – schön und gut, aber brauchen wir sie denn wirklich für eine funktionierende Demokratie? Warum Kultur so wichtig ist, hat ganz unterschiedliche (Hinter-)Gründe. Lassen Sie uns einen ganzheitlichen Blick auf die Verbindung von Kultur und Demokratie werfen, um zu verstehen, warum diese maßgeblich miteinander verwoben sind.

“Demokratie braucht Kultur” – darüber sind sich auch die kulturpolitischen Spitzenkandidaten des Landes Nordrhein-Westphalen beim Digitalen Diskussionsforum zur Landeskulturpolitik am 4. April 2022 einig. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Worauf zielten Tim Achtermeyer (Bündnis90/Die Grünen), Andreas Bialas (SPD), Lorenz Deutsch (FDP) und Bernd Petelkau (CDU) ab, als sie sagten, Kulturpolitik sei Gesellschaftspolitik? Die aktuelle Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) betont ebenfalls: „Wir müssen für die Kultur der Demokratie einstehen“ und verweist auf die fundamentale Verbindung von Kultur und Demokratie (Die Bundesregierung, 16.02.2022). Kulturpolitik ist auch für Roth gleichzeitig Demokratie- und Gesellschaftspolitik. Die stetig wachsende Bedeutung von Kultur in der Bundesrepublik wird ferner dadurch verdeutlicht, dass der diesjährige Kulturetat um eine Milliarde Euro weiteraufgestockt worden ist (Die Bundesregierung, 16.02.2022). Damit steigt das politische Gewicht von Kultur in der Bundesrepublik weiter, denn auch die ehemalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) machte sich in ihrer Amtszeit für eine Aufstockung des Kulturetats um fast 54 Prozent stark. Laut Grütters gäbe es eine „Bringschuld gegenüber der Bevölkerung, […] Kunst öffentlich zugänglich zu machen“ (Grütters/Jessen, 29.11.2021).

 

Doch lassen Sie uns innehalten: Ist Kultur gleich Kultur? Bestimmt nicht. Das Verständnis von Kultur variiert je nach Blickwinkel. Kultur kann Hochkultur sein, Kultur kann Erinnerungskultur sein, Kultur kann Demokratiekultur sein und vieles mehr. Kultur ist vielleicht ein Produkt oder Ausdruck der Gesellschaft, aber auch der Kitt der Gesellschaft. Kultur ist sinnstiftend und identitätsprägend. Und damit ist sie nicht nur schützenswert, sondern bedarf unserer Aufmerksamkeit. Heute mehr denn je. Lassen Sie uns im Folgenden nachdenken, warum Demokratie Kultur braucht und wie wir gesellschaftlichen Zusammenhalt mit verschiedenen kulturellen Praktiken fördern können.

Warum braucht Demokratie Kultur? Und was meinen wir dann jeweils mit „Kultur“?

Fakt ist: Kultur bemisst sich nicht nur an der Anzahl an Theatern im Verhältnis zur Einwohnerzahl oder gut besuchten Opernhäusern und Museen. Kultur ist viel mehr als nur das, was einem bei dem Begriff im ersten Moment in den Kopf kommt. Um zu verstehen, wie wir Kultur nutzen können, müssen wir zunächst einmal reflektieren, was wir mit Kultur im jeweiligen Kontext meinen. Dafür eignet sich ein weiter Kulturbegriff, der eben nicht nur die Oper oder das Theater umfasst, sondern Kultur auch in Verbindung zu Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt setzt. Das spiegelt sich auch in Lutz Eckensbergers kulturpsychologischen Handlungstheorie aus dem Jahr 2001 wider, die „den Menschen als aktives sinnkonstruierendes Wesen“ (Breit, 2008, S. 47) versteht. In Anlehnung an diese Theorie entwickelte Heiko Breit (2008) einen Dreiklang aus Kultur, Handlung und Demokratie, die nicht nur eng verwoben, sondern sich auch in einem konstanten Wechselspiel befinden. Breit stellt fest: „Kultur ist auf die Aktivität des Individuums angewiesen, denn Subjekte werden nicht einfach außengeleitet von Kultur determiniert, kanalisiert und sanktioniert. Menschen konstruieren Kultur aktiv selbst, bewahren und verändern sie im Strom der Zeit und machen sie erst durch ihre Handlung lebendig“ (ebd., S. 48). Kultur können wir also nicht ausschließlich als künstlerische Gestaltung verstehen. Kultur umfasst vielmehr auch all das, was sich in „Normen, Verboten, Werten, Symbolen, Mythen und Riten“ des menschlichen Miteinanders widerspeigelt (ebd., S. 47).

 

Damit hat Kultur nicht nur gesellschaftliche Bedeutung, sondern macht unsere Gesellschaft aus. Kultur ist Teil unseres Verständnisses von Gemeinschaft und Gesellschaft. Bereits Anfang der Zweitausenderjahre argumentierte Jürgen Rüttgers: „Nirgendwo sonst kündigen sich gesellschaftliche Veränderungen so früh an wie in der Kunst“ (2004, S. 61). Kultur(politik) müsse ganzheitlich aufgefasst werden. Die Kultur besteht nicht einfach als das Schöne neben den wahren Herausforderungen der demokratischen Gesellschaft. Kultur ist und zeigt das, was die Gesellschaft ausmacht, was sie prägt, was sie gelernt hat, und wohin sie sich bewegt. Eine funktionierende Demokratie muss also (ihre) Kultur(en) nicht nur fördern, sondern ganz gezielt nutzen und ihre fundamentale Bedeutung anerkennen.

 

Sprechen wir von Kultur, so sprechen wir wohl stets im Plural, denn sich auf eine Kulturdefinition festzulegen impliziert immer ein Abgrenzen. Unser Verständnis von Kultur kann variieren und ist zugleich auch immer Ausdruck der Gesellschaft oder Gemeinschaft.  Professorin Christine Landfried von der Hertie School of Governance betont den Zusammenhang von Kultur, Zivilgesellschaft und Demokratie. Ihr Ansatz basiert auf einer demokratietheoretischen Grundlage. Sie sieht die kulturellen Grundlagen von Demokratie in einer allgemeinen Wertschätzung demokratischer Strukturen und dem Vertrauen in die Legitimität gewählter Repräsentant:innen. Landfried stellt die Hypothese auf, dass eine gesellschaftliche Fragmentierung weitaus schwerwiegendere Folgen für die Demokratie habe, und dass diese von den politischen Entscheidungsträger:innen seither unterschätzt worden sei. Gefühle wie Angst, Empörung, Wut und intolerantes Verhalten in Politik und Gesellschaft führen zur „Aushöhlung der kulturellen Grundlagen der Demokratie“ (Landfried, 2019). Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Verbundenheit seien fundamental für die Legitimität von Entscheidungen in einem repräsentativ demokratischen System.

 

Wie können wir durch kulturelle Teilhabe Demokratie und Zusammenhalt fördern?

 

Wie kann solch eine Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes funktionieren? Genau das möchte beispielsweise das Projekt Heimat.Demokratie.Sachsen zeigen. Das Projekt verfolgt das Ziel, die demokratische Kultur in strukturschwachen Regionen Sachsens zu stärken. Dabei sollen Kommunen und insbesondere Schulen in die Zusammenarbeit eingebunden werden. Heimat.Demokratie.Sachsen baut auf Kommunikationsstrategien mithilfe derer demokratische Werte in der Bevölkerung gefördert werden sollen. Durchgeführt wird das Projekt, das noch in den Startlöchern steht, von der Freudenberg Stiftung gemeinsam mit der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Sachsen und der RAA Hoyerswerda/Ostsachsen. Die Freudenberg-Stiftung setzt sich für eine Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft insbesondere in Europa und Deutschland ein. Zu diesem Zweck unterstützt sie gemeinnützige Einrichtungen und ihre Projekte, die das Ziel einer langfristigen Verankerung demokratischer Werte in den jeweiligen Regionen verfolgen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch das Community Art Center Mannheim. Hier wird „mit künstlerischen Mitteln für eine offene Gesellschaft und demokratische Kultur“ geworben (ebd.). Mit unterschiedlichen Methoden treibt das soziokulturelle Zentrum die Förderung demokratischer Werte nach vorn. Es gibt beispielsweise musikalische Projekte, in denen sich unterschiedliche Kulturen begegnen, oder auch Projekte für die kulturelle Förderung von Kindern und Jugendlichen. Durch die Zusammenarbeit mit demokratiefördernden Vereinen ist das Community Art Center Mannheim zu einer Begegnungsstätte der Demokratieförderung geworden.

 

Es geht also zudem nicht nur um die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts innerhalb eines Landes.  Kulturen können voneinander lernen, sich bereichern und sich gemeinsam weiterentwickeln. Die Begegnung von Kulturen ist auch eines der Anliegen von Kulturstaatsministerin Roth (Die Bundesregierung, 28.02.2022). Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine rief sie dazu auf, besonders Kultur aus den Ländern, in denen die Demokratie in Gefahr ist, in den Fokus zu rücken. Damit gemeint ist die Integration und Präsentation von Kunst und Kultur aus diesen Ländern in Deutschland, um damit für die Demokratie vor Ort einzustehen. Insbesondere ukrainische Künstler:innen sollen nun spüren, dass sie nicht allein sind und in ihrem Kampf für den Erhalt der Demokratie unterstützt werden. Eine Annäherung auf der Ebene der Kultur soll den allgemeinen Zusammenhalt stärken und so zur Demokratieförderung beitragen.

 

Das Ganze erfordert jedoch nicht nur Engagement im Hier und Jetzt. Kulturen sind im Laufe der Geschichte schon immer verschmolzen und haben sich aus dieser Verschmelzung entwickelt. Um Kultur wirklich nachhaltig für die Demokratie einzusetzen, muss das Ganze auch aus einer historischen Perspektive betrachtet werden. Denn auch Erinnerungskultur ist ein Teil von Kultur. Dies betrifft nicht nur das Bewusstsein der historischen Verbindung von Kulturen. Auch aus nationalen Entwicklungen müssen wir Schlüsse und Konsequenzen ziehen, lernen und unser Verhalten anpassen. Die Bedeutung einer ausgeprägten Erinnerungskultur ist vermutlich allen in Deutschland lebenden Menschen bekannt. Nichtsdestotrotz zeugt nicht zuletzt das (Wieder-)Erstarken rechter und ausgrenzender Bewegungen in den letzten Jahren von mangelndem Geschichts- und auch Kulturbewusstsein innerhalb der Bevölkerung.

 

Aber was bedarf es eigentlich, um ein solches Bewusstsein zu erlangen und für die Förderung der Demokratie zu nutzen?

 

Der Europarat hat eine Liste mit Kompetenzen aufgestellt, die für eine Beteiligung in einer Kultur der Demokratie als notwendig betrachtet werden. So stehen Werte wie Wertschätzung der Menschenwürde und Einstellungen wie Gemeinwohlorientierung im Zentrum. Es werden aber auch bestimmte Fähigkeiten wie Empathie und kritisches Weltverstehen erfordert. Um Kultur sinnvoll in einer Demokratie zu nutzen, müssen die einzelnen Individuen also selbst aktiv werden und das kulturelle Miteinander in einer repräsentativen Demokratie mitgestalten. Was notwendig ist, ist allerdings weitläufige Teilhabe und vor allem die Bildung von dafür notwendigen Strukturen. Nur so können kulturelle und damit auch demokratische Kompetenzen ausgebaut werden. Wichtig ist hier natürlich neben der Schulbildung ein Zugang zu kulturellen Angeboten, egal ob in der Stadt oder auf dem Land. Projekte, die den Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft und zwischen Kulturen fördern, scheinen besonders geeignet, um das Gefühl des Miteinanders in der gesamten Gesellschaft zu stärken. Das gefährliche Die-da-oben-und-wir-da-unten-Denken muss aufgelöst und ersetzt werden durch eine Wir-alle-zusammen-gegen-Herausforderungen-Haltung.

 

Dass sich gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe jedoch in einer Krise befinden, stellt Professor Benedikt Sturzenhecker von der Universität Hamburg fest (2019). Diese zu bewältigen ist also Grundvoraussetzung für die Nutzung des vollen Potenzials von Kultur für Demokratie und erfordert Anstrengungen nicht nur von Seiten der Politik und des kulturellen Bereichs, sondern, wie oben festgestellt, von der Basis der Gesellschaft selbst.

 

Dass wir hier Schritt für Schritt in die richtige Richtung gehen und das Thema zunehmend Salienz erfährt, zeigt nicht zuletzt auch die Aufstockung des deutschen Kulturetats. Finanzielle Mittel sind wichtig, aber eben nicht alles. Wir alle tragen die Verantwortung für die Bewahrung der kulturellen Pluralität und der demokratischen Ordnung, in der wir leben. Der diesjährige Eurovision Song Contest hat eindrücklich bewiesen, wie eng die Europäer: innen im Kampf für Demokratie zusammenstehen, und der Ukraine auch in musikalischer Hinsicht ihre Unterstützung garantieren. Kultur schweißt zusammen, sie verbindet und sie lässt Freundschaften entstehen. Kultur ist auch Interkultur. Ist ein gesellschaftlicher Zusammenhalt erst einmal gegeben, ist bereits ein fundamentaler Schritt in Richtung Demokratieförderung und gesellschaftliche Teilhabe getan. So wie der Kulturbegriff inhärent plural und im Kontext zu sehen ist, so ist/sind es unsere Gesellschaft(en). Diese Pluralität zu nähren ist unser aller Aufgabe.

 

 

Quellen

Council of Europe. 2016. Kompetenzen für eine Demokratische Kultur. Strasbourg: Council of Europe Publishing. Zugriff: <https://rm.coe.int/16806ccc0b>. Letzter Zugriff: 20.05.2022.

Die Bundesregierung. 28.02.2022. Aufruf der Kulturstaatsministerin: Für eine gemeinsame Kultur der Demokratie in Europa. Zugriff: <https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/fuer-eine-gemeinsame-kultur-der-demokratie-in-europa-2008652>. Letzter Zugriff: 20.05.2022.

Die Bundesregierung. 16.02.2022. Mehr Geld für Kultur und Medien. Zugriff: <https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/bundeskanzleramt/staatsministerin-fuer-kultur-und-medien/staatsministerin-und-ihr-amt/100-tage-im-amt>. Letzter Zugriff: 20.05.2022.

Grütters, Monika; Jessen, Hans. 29.11.2021. „Die Politische Bedeutung der Kultur wurde signifikant gestärkt“: Monika Grütters im Gespräch. Deutscher Kulturrat. Zugriff: https://www.kulturrat.de/themen/demokratie-kultur/16-jahre-cdu-kulturpolitik/die-politische-bedeutung-der-kultur-wurde-signifikant-gestaerkt/. Letzter Zugriff: 20.05.2022.

Landfried, Christine. 15.05.2019. Die kulturellen Grundlagen der Demokratie. Über die Notwendigkeit von Grenzüberschreitungen. Schader-Stiftung. Zugriff: <>. Letzter Zugriff: 19.05.2022.

Plath, Ingrid; Graudenz, Ines; Breit, Heiko (Hrsg.). 2008. Kultur – Handlung – Demokratie: Dreiklang des Humanen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Rüttgers, Jürgen. Sept. 2004. Kulturelle Grundlagen der Demokratie. Orientierung unter postmodernen Bedingungen. In: Die politische Meinung Nr. 418: S. 58-62.

Sturzenhecker, Benedikt. 2019. Integrationspotentiale demokratischer Teilhabe und Teilnahme – reflektiert an Konzepten und Projekten Kultureller Bildung. Kulturelle Bildung online. Zugriff: < https://www.kubi-online.de/artikel/integrationspotentiale-demokratischer-teilhabe-teilnahme-reflektiert-konzepten-projekten>. Letzter Zugriff: 20.05.2022.

Malin Nissen ist wissenschaftliche Hilfskraft im Projekt MetaKLuB und arbeitet unter anderem im Bereich Öffentlichkeitsarbeit.