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Alma Mater Lipsiensis
Universität Leipzig

Arbeitsgruppe Zeitzeugen
der Seniorenakademie

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Die Ausbildung der Studenten – mein Alltag in Äthiopien

Ein Bericht von Prof. Dr. Gerhard Asmussen, Leipzig

Über meine Reise an das Horn von Afrika, nach Äthiopien, habe ich schon mehrfach berichtet. Von Feiern und Reiseerlebnissen war dort die Rede. So könnte der Eindruck entstehen, dass dieser ganze Aufenthalt dort, eine einzige Sinekure gewesen wäre, und, dass Reisen und Erlebnisse im Vordergrund gestanden hätten. So mag sich mancher fragen. „was und wann haben die Kerle eigentlich gearbeitet?“ Im Folgenden will ich darauf eine Antwort  versuchen.

Als ich in Goddar ankam wurde ich schon erwartet. Wir waren zu fünft (ein Anatom und staatlicher Lei­ter, zwei Biochemiker, zwei Physiologen). Sie hatten bereits mit der Vorlesung begonnen. Es wurde be­schlossen, dass mein langjähriger Freund die Vorlesung weiter halten und ich mich um das Einrichten der Wohnung für uns kümmern sollte. Diese lag 300 m entfernt an der Rückseite des nachstehend abgebildeten Hauses. Es  hatte eine Grundfläche vom 11 x 12 m, Zimmer (für jeden eins), eine Küche, ein Bad, einen Flur und ein großes Aufenthaltszimmer mit Kamin (die einzige Heizmöglichkeit in Äthiopien). Die Möbel waren abgewohnt und verschlissen, Tisch und Buffet wackelig, das Bad eine Katastrophe (musste erst  „ausgegraben“ werden), die Küche sah ähnlich aus – das Beste war noch der Kühlschrank. Aber es „rüttelt sich alles zurecht“, wir hatten viel Platz, und die Äthiopier hatten nichts Besseres. Schlimm waren die Matratzen. Ihnen sah man ihre Vorgeschichte an (wer auf diesen Matratzen gezeugt, geboren oder gestorben ist, entzieht sich meiner Kenntnis), aber es kommt eine Decke drüber, an allen Seiten schön festgenäht, dazu ein mitgebrachtes Laken, schon sieht alles viel freundlicher aus. Soweit wäre alles gut gewesen, wären nicht unsere Frauen zu Besuch gekommen, denn die puhlten unsere Decke wieder ab, und verkündeten, sie würden auf so etwas nicht schlafen – wir mussten viel Charme aufbringen, um sie vom Gegenteil zu überzeugen.
Außerdem gab es (besonders zu Beginn) viele Fragen. Wie sieht es mit dem Strom aus, das Krankenhaus verfügt über eine eigene Leitung, deshalb gibt es mehr Strom als in der Stadt, aber keinesfalls immer, und man weiß auch nicht, wann er wieder kommt. (Schön ist es, wenn man auf dem Fahrradergometer sitzt, man schwitzt, die Wirbelstrombremse wirkt, und plötzlich tritt man ins „Leere“, dann ist eben der Strom ausgefallen). Sicher ist es am besten gleich die Deckenbeleuchtung einzuschalten, dann weiß man gleich, ob es Strom gibt oder nicht. Sollte es keinen Strom geben, so fällt der Unterricht nicht aus, sondern man versucht ihn trotzdem zu halten – schwierig ist es nur, wenn es ohne Licht nicht geht.

 

Asmussen

Wohnhaus in Gondar: Unten wohnte ein russischer Chirurg, oben die beiden Biochemiker und der Anatom.

 

Asmussen

Unser Wohnhaus

Asmussen

Mein Zimmer

 

Beim Umtausch der DDR-Fahrerlaubnis in eine Ethiopian Driving License gab es heitere Schwierigkeiten. Auf die Frage wie ich denn hieße, antwortete ich  „Asmussen“, wie denn mein Vater hieße, „Asmussen“ (ungläubiges Staunen), wie denn mein Großvater hieße, „Asmussen“. Nun erntete ich völliges Unverständnis. Wir fanden aber folgende Lösung: In meiner Ethopian Driving License heiße ich: Gerhard, Arnold (der Vorname meines Vaters) Asmussen. Aber somit konnten wir endlich ein Auto fahren, ein in Afrika unschätzbarer Vorteil.
In dem Bericht „Auf Äthiopiens Märkten erlebt“ wurde auf das Vergiften mit den Früchten des Kossobaumes schon einmal eingegangen. Hier haben wir es an unseren Mitarbeiten – wir hatten einen einheimischen Assistenten und eine ebenfalls einheimische Laborantin zur Ausbildung zugeteilt bekommen – selbst erlebt. Beide liefen herum wie „halbtote Fliegen“, es galt das Motto: „Entweder der Wurm oder ich“, man konnte sie kaum einsetzen.

Zum Glück für uns gab es in Gondar eine Fleischfabrik (mit italienischer Hilfe gebaut, Äthiopien kann das Fleisch auf dem Weltmarkt verkaufen, sonst nimmt – als Garantie – es Italien ab, wo es für die Produktion von Ravioli verwendet wird). Genutzt wird nur das Muskelfleisch (von Rindern), den Rest bekommen die Geier, die man in großer Zahl auf dem Gelände antrifft, d. h. alle Knochen und Innereien bleiben übrig. Die letzteren – Herz, Leber, Niere, usw. – können für geringes Entgelt erworben werden.

Asmussen

Hörsäle

Asmussen

Praktikum

 

Meine erste Vorlesung habe ich am 27.11.1979 gehalten, es ging besser als ich dachte, jedenfalls wurde ich von den Studenten verstanden. Insgesamt habe ich etwa 190 Stunden gelesen, mein Kollege kam etwa auf die gleiche Zahl. Es wurde in Doppelstunden gelesen.
Ungewöhnlich war die seminaristische Bearbeitung des Vorlesungsstoffes für die Studenten. Insgesamt habe ich etwa 50 derartige Seminare gehalten. Dieses Frage- und Antwortspiel kannten sie noch nicht, es erschien uns aber zur Vertiefung des Stoffes der Vorlesung als sinnvoll. Ferner gaben wir „handouts“ heraus, die wesentliche Dinge der Vorlesung grafisch darstellten, und durch den Mangel an Lehrbüchern bedingt war (nur wenige Studenten besaßen ein Lehrbuch) – die Bibliothek war dagegen gut ausgerüstet, nur nicht in entsprechender Anzahl (für alle 90 Studenten, keine Chance).

Mitte Dezember kam auch die Ausrüstung für das Praktikum an. Es wurde zuerst die Destille ausgepackt, dann wurde alles entfettet, gereinigt und eingeräumt. Natürlich packten wir alle zu, denn wir hatten lange auf diesen Augenblick gewartet. Hier zeigte sich dann eine Eigenschaft der Äthiopier, denn ein Mann tut so etwas nicht eigenhändig, sondern er lässt auspacken und transportieren. Schon das wir unsere Sachen sel­ber wuschen, und nicht wie normal, eine „mammita“ beschäftigten, ließ bei den Einheimischen die Frage auftauchen: „Was haben die aus der DDR eigentlich geschickt, sind das die „cleaner“ des Instituts“. Aber wir wurden schließlich als „Exoten“ akzeptiert.

 

Asmussen

Geier

Asmussen

Gynäkologie und Ge­burtshilfe, die „gewaschenen“ Laken in der Mitte

 

Mit der Einführung des Praktikums gab es zusätzliche Aufgaben. Zunächst mussten alle Versuche auspro­biert und auf ihre Tauglichkeit geprüft werden. Dann gab es kein Manual für das Praktikum, wir schrieben also auf Wachsmatrizen die Anleitungen für den entsprechenden Versuch (gab es in größerer Zahl in der Bibliothek), vervielfältigten das Ganze und schon war die Praktikumsanleitung in Einzeldarstellungen fertig. Und schließlich werden die Apparate auch für die klinische Diagnostik benutzt. Denn die Physiologie verfügt über ein Fahrradergometer, ein Spirometer oder ein Audiometer – alles sind Dinge, die für die Diagnostik sonst nicht zur Verfügung stehen. Ähnliches gilt für die Biochemiker und verschiedene Blutersatz- und Nährlösungen, die therapeutisch Verwendung fanden. Wir haben also auch für die Klinik gearbeitet. Und dann sollte auch der Wissenschaft auf die Beine geholfen werden, jeder von uns war Mitglied einer Gruppe von Ärzten, die sich mit der Weiterbildung beschäftigte.

 

Asmussen

Bibliothek

 

Bei der Ausbildung im Praktikum zeigte sich dann, dass alle Studenten (im Gegensatz zu den unsrigen) ihre Normalwerte wissen wollten. Das ist nicht verwunderlich, denn eine gründliche klinische Untersuchung gab es für die meisten vorher noch nicht.
Das war besonders auffällig bei Messungen die etwas mehr Zeit in Anspruch nahmen. Ich kann mich an die Bestimmung des Grundumsatzes erinnern, wo die Bestimmung für die einzelnen Probanden solange dauerte, dass die Letzten kein Essen mehr bekommen würden. Wir haben deshalb für die Studenten ein Essen gestiftet. Ich erinnere mich, dass, als sichtbar wurde, dass die Stu­denten kein Essen mehr bekommen würden, diese eine Reihung aufstellten. Auffällig war nur, dass die Mädchen als letzte drankamen – sollten sie weniger wert sein? Mein ganzes Gerede von Ritterlichkeit hat nichts gebracht.

 

Asmussen

Studentenpraktikum

 

Dort hatte man insgesamt mehr Zeit für die Physiologie als bei uns. Es gibt keine Biophysik, sodass man deren Wis­sensstoff (besonders wichtig ist dies bei der Besprechung des Kreislaufs oder der Sinnesorgane) mit in den Stoff der Physiologie hineinnehmen muss. Außerdem gibt es keine „Klinische Propädeutik“, so dass das „Be­klopfen“ (Percussion) und das „Abhorchen“ (Auskultation) zur Übung in das Physiologische Praktikum ver­legt werden müssen. Das Gleiche gilt für die Zählung und die Bestimmung der Qualität des Pulses, sowie für die Messung des Blutdrucks.
Die Studenten sprachen fast ausnahmslos ein gutes und verständliches Englisch, das ist nicht verwunder­lich, denn diese Sprache ist ihre erste Fremdsprache – in höheren Schuljahren wird der Unterricht ausschließlich in dieser Sprache erteilt. Im Gegensatz zu unseren Studenten, die fast immer geschlossen dem Lehrkörper gegenüber stehen, stehen diese dem Lehrkörper eher aufgeschlossen gegenüber.
Abschreiben lassen nur wenige, Vorsagen gibt es nicht, vor Spickzettel braucht man keine Angst zu haben. Sie haben aber eine panische Angst vor der allgemeinen Vorstellung (der Datenschutz lässt grüßen), sie haben sehr gekämpft, alles sind Einzelkämpfer, um diese Position zu erreichen. Deshalb findet alles anonym statt. Wir wussten ja, wer nicht bestanden hatte, trotzdem hat man es den Betroffenen nicht angemerkt.
Von unseren Studenten sind etwa 45 % durchgefallen – ein für afrikanische Verhältnisse normaler Satz. Man darf auch nicht übersehen, dass es normalerweise ausländische Prüfer gibt. Früher kamen sie aus Amerika, England oder Schweden, (da wurde sogar das Englisch bewertet) jetzt aber aus Addis, Nairobi oder dem Sudan. Wir waren also gut kontrolliert, und Stichproben hat es gegeben.

 

Asmussen


Bild unserer Studenten, die das Examen bestanden hatten.


Im Jahr 1982/83 war ich dann allein für die Ausbildung der Studenten verantwortlich – das bedeutet, dass man zwar die doppelte Menge an Vorlesung zu leisten hat, aber das Praktikum ist nicht mehr aufzubauen und auszuprobieren, die „handouts“ und die Praktikumsanleitung liegen vor, und müssen nur nochmals abgezogen werden, und man kennt die ganze Prozedur. Letzteres ist von unschätzbarem Wert.

 

April 2013



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