Zusammenfassung

Von der Messung zur Abstraktion — Meteorologie um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert

C. Lüdecke, Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, München

Im ausgehenden Zeitalter der Aufklärung fand in der Meteorologie allmählich ein Wechsel von der reinen Datensammlung zur Abstraktion der Sachverhalte und schließlich zur Ausbildung von Theorien statt. An mehreren Beispielen soll dieser Vorgang erläutert werden.

Als Naturgelehrte in die Alpen vordrangen, um geowissenschaftliche Fragestellungen wie nach dem Ursprung Alpen, der Eiszeit und der Klimaänderungen zu untersuchen, bildete sich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts der wissenschaftliche Alpinismus aus. Barometer und Thermometer wurden zu ständigen Begleitern der Forscher. Die Ergebnisse wurden publiziert, aber oft konnte die Ursache noch nicht richtig erklärt werden. So beobachte der Genfer Naturgelehrte H.-B. Saussure (1740-1799) im Jahr 1760 einen roten Niederschlag auf dem Schnee des Breven bei Chamonix. Nach eingehenden Untersuchungen deutete er ihn als Blütenstaub, dessen Herkunft unklar blieb. Später führte Saussure während seiner ausgedehnten Reisen durch die Alpen gezielte meteorologische Messungen durch. Insbesondere interessierte ihn die Frage, was die Kälte auf den Bergen verursachte und wie die Gebirgsformen die aufsteigenden Winde beeinflußten. Für seine Untersuchungen entwickelte Saussure ein Cyanometer zur Bestimmung der Himmelsbläue und ein Haarhygrometer, dessen Meßprinzip zur Feuchtigkeitsbestimmung noch heute verwendet wird. Saussures Alpenkenntnis war allgemein bekannt, so daß selbst J.W. Goethe (1749-1832) sich 1779 bei ihm Informationen über die günstigste Reiseroute für seine zweite Reise in die Schweiz einholte. Darüber hinaus verwendete Goethe das Saussure'sche Cyanometer, das er durch eine größere Farbpalette erweiterte.

Einzelne meteorologische Meßkampagnen, wie die Saussure'schen, wurden erst gebündelt, als 1780 Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz (1724-1799) die Societas Meteorologica Palatina gründete. Damit legte er den Grundstein für das erste weltweite meteorologische Meßnetz, das auch heutigen Ansprüchen genügt, wenn man die damaligen Möglichkeiten berücksichtigt. Mit gleichen Meßgeräten sollten zu gleichen Uhrzeiten Beobachtungen durchgeführt und die Ergebnisse in gleiche Formulare eingetragen werden. Von 1781 bis 1791 wurden die Daten in Mannheim gesammelt, Tagesmittel aus den Werten von 7, 14 und 21 Uhr und daraus Monatsmittel sowie Jahresmittel berechnet und in den Ephemeriden veröffentlicht. Berlin und Erfurt waren Teil des Stationsnetzes und meldeten ihre Daten zwischen 1781 und 1788 nach Mannheim. Daneben erschienen in den Ephemeriden auch einzelne meteorologische Abhandlungen beispielsweise über den "Hehrauch" (Höhenrauch), der von Juni bis August 1783 durch Vulkanausbrüche in Island hervorgerufen wurde, oder über Luftdruckänderungen.

Auch A.v. Humboldt (1769-1850), den Goethe sehr bewunderte und mit dem er vor dessen Reise nach Südamerika (1799-1804) in engem wissenschaftlichen Kontakt stand, führte während seiner Forschungsreisen meteorologische Untersuchungen durch. Er wollte einen Funktionszusammenhang zwischen Wettergeschehen und geographischen Gegebenheiten der Erdoberfläche herstellen. In Südamerika bestieg Humboldt am 23.6.1802 den Chimborasso bis etwa 5600 m und sammelte dabei grundlegende Informationen zur Pflanzengeographie und für seine Studien über die Schneegrenze. Wieder nach Europa zurückgekehrt hatte Humboldt mehrere Jahre zusammen L.J. Gay-Lussac (1778-1850) ein Zimmer in der École Polytechnique in Paris. Ihre gemeinsamen gasanalytischen Untersuchungen (1805-08) führten zu dem nach Gay-Lussac benannten Volumengesetz der Gase.

Der Ballonaufstieg von Gay-Lussac und J.B. Biot (1774-1862) am 24.8.1804 war ein bahnbrechendes Experiment. Sie stellten fest, daß die Temperaturabnahme bis 3900 m Höhe geringer war als bislang angenommen. Verläßlichere Angaben machte Gay-Lussac mit verbesserter Instrumentierung während seines Rekordfluges am 16.9.1804, der bis über 7000 m hinaufging. Aus Luftproben dieses Fluges bestimmte er den Sauerstoffgehalt mit 21,49 %.

Die Abstraktion der meteorologischen Daten fand zunächst in Mittelbildungen und in tabellarischen Auflistungen statt, die später in verschiedenen Abbildungen dargestellt wurden. Zunächst entwickelte Humboldt 1817 mit ergänzten Daten der Palatina eine Isothermenkarte, die er an die Darstellung der magnetischen Deklination aus dem Jahr 1701 anlehnte. Er gab damit erstmals ein Abbild des "realen Klimas", das vom bisher angenommenen "solaren Klima" abwich. Daraus leitete Humboldt später seine Klimadefinition ab. Insbesondere führte Humboldts Abstraktion der Meßergebnisse zu einer Wende in der Meteorologie, indem er die theoretischen Vorstellungen der Realität anpaßte.

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