Arbeitsgedächtnis und Sprachverarbeitung: Ein Vergleich ereigniskorrelierter Potentiale bei der Verarbeitung einfacher und komplexer linguistischer Strukturen

Christian J. Fiebach, Matthias Schlesewsky & Angela D. Friederici

Max-Planck-Institut für neuropsychologische Forschung
Stephanstr. 1a, 04103 Leipzig
E-Mail: fiebach@cns.mpg.de

Arbeitsgedächtnisbedingte Unterschiede bei der Sprachverarbeitung treten vor allem bei komplexen linguistischen Strukturen auf (Carpenter et al., 1994). Ein Beispiel sind w-Fragen: In psycholinguistischen Studien wurden höhere Lesezeiten für Objekt-w-Fragen ("Wen ..."; Satzaufbau: Objekt-Subjekt-Verb) als für Subjekt-w-Fragen ("Wer ..."; S-O-V) beobachtet (Schlesewsky et al., eingereicht). Dieser Effekt wird auf Unterschiede in der Komplexität der syntaktischen Struktur der beiden Bedingungen zurückgeführt. Insbesondere wird für Objekt-Fragen, bei denen das Objekt in Form des w-Fragewortes vor statt nach dem Subjekt steht, eine größere Arbeitsgedächtnisbelastung postuliert. Diese ist dadurch bedingt, daß das Fragewort bei der Verarbeitung so lange im Arbeitsgedächtnis aktiv gehalten werden muß, bis seine ursprüngliche Position erreicht wird.
Zur Überprüfung dieser Hypothese wurde die Verarbeitung von Subjekt- und Objekt-w-Fragen mit Hilfe von ereigniskorrelierten Hirnpotentialen untersucht. Jeweils 40 indirekte Subjekt-Fragesätze ("Karl fragt sich, wer ...") und Objekt-Fragesätze ("Karl fragt sich, wen ...") wurden phrasenweise visuell präsentiert. Unter der Annahme, daß bei der Verarbeitung von Objekt-Fragesätzen eine stärkere Arbeitsgedächtnisbelastung stattfindet als bei Subjekt-Fragesätzen, wurde das Auftreten einer langsamen links-frontalen Negativierung (Ruchkin et al., 1990) auf dem w-Fragewort und der nachfolgenden Phrase für die Objekt-Bedingung vorhergesagt. Diese Vorhersage konnte weitgehend bestätigt werden. Beginnend mit dem Fragewort zeigte sich eine Negativierung für die Objektbedingung, deren Verteilung jedoch fronto-zentral war. Ein Vergleich zwischen Probanden mit niedriger versus hoher Arbeitsgedächtniskapazität erbrachte für erstere eine deutlich stärkere Negativierung. Dies weist darauf hin, daß Probanden mit niedriger Arbeitsgedächtniskapazität mehr Ressourcen für die Verarbeitung von Objekt-Fragesätzen aufwenden mußten als Probanden mit hoher Kapazität.

Referat in der Gruppe Sprache I, Montag, 29. März 1999, 16:30, HS 17

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