Verzerrte Urteile durch selbstverzerrte Stichproben

Klaus Fiedler

Psychologisches Institut, Universität Heidelberg
Hauptstrasse 47-51, 69117 Heidelberg
E-Mail: Klaus_Fiedler@psi-sv2.psi.uni-heidelberg.de

Untersuchungen zum Häufigkeitsgedächtnis zeugen von einer enormen Sensibilität für die induktive Erfassung von Ereignishäufigkeiten. Das zeigen zum Beispiel Experimente in einem simulierten Klassenzimmer, wo "Lehrer" die Rate richtiger Antworten von 16 Schülern in 8 Fächern erstaunlich gut reproduzieren können. Schwerwiegende Fehler und Verzerrungen treten jedoch auf, sobald logische Operationen, also deduktive und pragmatische Restriktionen verlangt werden. Wenn Lehrer etwa selbst bestimmte Schüler häufiger aufgerufen haben und damit ihre eigene Beobachtungsstichprobe verzerrt haben, können sie die überhöhten Schätzungen der Motivation der favorisierten Schüler nicht korrigieren. Systematische Evidenz für diese Diskrepanz zwischen induktiver Genauigkeit und deduktiver Blindheit kommt aus eigenen Experimenten zur sog. Basisraten-Täuschung, wo Urteiler selbst Information suchen können und nicht erkennen, wie sie selbst durch ihre einseitige Informationssuche eine extrem verzerrte Stichprobe erzeugen, in der die seltene Basisrate eines kritischen Ereginisses weit überrepräsentiert wird. Nach der Illustration dieses Phänomens und der Vorstellung eines Stichprobenmodells des statistischen Urteils wird eine Untersuchung berichtet, wo die Entstehung von statistischen Erhebungen beschrieben wird und die Teilnehmer beurteilen sollen, für wie überzeugend oder valide sie die daraus abgeleiteten statistischen Erkenntnisse halten. Im allgemeinen sind die Urteiler - weitgehend unabhängig von formaler Bildung - nicht imstande, die massiven Fehler in der Stichprobenbildung zu erkennen. Oftmals werden sogar unzulängliche Statistiken für valider gehalten als regelgerechte. Die Befunde werden im Rahmen der Theorie interpretiert und mit Bezug auf ein aktuelles Thema illustriert: die inflationäre Überschätzung der Genauigkeit von Polygraphentests zur Lügendetektion.

Beitrag zum Symposium Verarbeitung von Häufigkeiten, Donnerstag, 1. April 1999, 08:30-12:00, HS 22

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