Theorien des Textverstehens postulieren Situationsmodelle als Repräsentationsebene der vom Text beschriebenen Situation. Situationsmodelle sollen multidimensional sein, d.h. in ihnen sollen neben den Hauptpersonen auch ihre Ziele und Emotionen sowie räumliche, zeitliche und andere Aspekte der Situation repräsentiert werden. Allerdings haben sich vorangegangene Experimente meist nur mit einzelnen Dimensionen isoliert beschäftigt. Deshalb wurde im vorliegenden Experiment untersucht, wie die Verfügbarkeit von Objekten, die im Situationsmodell eines Textes repräsentiert sind, gleichzeitig von zwei verschiedenen Dimensionen abhängt: Von der räumlichen Distanz zwischen einem Objekt und der Hauptperson des Textes sowie von der Relevanz des Objekts für die Ziele der Hauptperson.
Das Experiment folgte dem Paradigma von Rinck und Bower (1995): Die Versuchspersonen lernten zunächst den Grundriß eines Gebäudes mit darin enthaltenen Räumen und Objekten auswendig. Dann lasen sie Erzähltexte, in denen die Handlungen verschiedener Personen in dem Gebäude beschrieben wurden. An verschiedenen Stellen wurde das Lesen unterbrochen, um die Verfügbarkeit eines gelernten Objektes durch eine Testaufgabe der Art "Befindet sich Objekt X in Raum Y?" zu testen. Das getestete Objekt befand sich entweder räumlich nah an der Hauptperson oder räumlich fern von ihr. Unabhängig davon war das Objekt entweder relevant oder irrelevant für das aktuelle Ziel der Hauptperson.
Die Entscheidungszeiten der Testaufgaben zeigten additive Effekte von räumlicher Distanz und Zielrelevanz auf die Verfügbarkeit der Objekte: Räumliche nahe Objekte bewirkten schnellere Entscheidungen als räumlich ferne Objekte und zielrelevante Objekte schnellere Entscheidungen als irrelevante Objekte. Diese Ergebnisse sprechen für die Annahme von multidimensionalen Situationsmodellen, speziell für die simultane Repräsentation von räumlichen und zielbezogenen Aspekten.
Poster in der Gruppe Sprache, Montag, 29. März 1999, 17:00-19:00, Foyer 2. Stock
