Die Asymmetrie der Blickpositionskurve verschiebt sich als Funktion der Nachbarschaftsverteilung

Hans-Christoph Nuerk & Ralf Graf

Fachbereich Psychologie, Philipps-Universitaet Marburg
Gutenbergstr. 18, 35032 Marburg
E-Mail: nuerk@mailer.uni-marburg.de

Traegt man die Leistung bei der visuellen Erkennung eines Wortes als Funktion der Blickposition im Wort ab, entsteht eine asymmetrische Blickpositionskurve mit der optimalen Erkennungsleistung leicht links von der Wortmitte. Diese Blickpositionskurve laesst sich recht gut durch ein einfaches mathematisches Modell von Nazir, Jacobs und O'Regan (1998) beschreiben, welches lediglich auf voneinander unabhaengigen, aber positions- und fixationsabhaengigen Erkennungswahrscheinlichkeiten der einzelnen Buchstaben eines Wortes beruht. Das Modell nimmt also bisher an, dass die Informationsverteilung im Wort die Asymmetrie der Blickpositionskurve nicht beeinflusst.
In der vorliegenden Studie wird diese Annahme in einer perzeptiven Identifikationsaufgabe und in einer Benennungsaufgabe getestet, indem die positionelle Nachbarschaftsverteilung im Wort anhand eines Nachbarschaftsgradienten operationalisiert und systematisch variiert wird.
Es zeigt sich, dass die Asymmetrie der Blickpositionskurve von der Nachbarschaftsverteilung im Wort beeinflusst wird. So verbessert sich in beiden Worterkennungsaufgaben vor allem die Erkennungsleistung am Anfang des Wortes, wenn sich die meisten Nachbarn durch Veraenderungen in den vorderen Buchstabenpositionen ergeben.
Dieser Befund laesst drei Schlussfolgerungen zu: 1. Eine zukuenftige Version des Modells von Nazir, Jacobs, & O'Regan muss auch die Informationsverteilung innerhalb eines Wortes beruecksichtigen. 2. Nachbarn scheinen sich dann am staerksten inhibitorisch auszuwirken, wenn die visuelle Erkennungswahrscheinlichkeit des kritischen (auszutauschenden) Buchstabens am geringsten ist. 3. Nachbarschaftsbefunde, die in Experimenten mit zentraler Fixationsposition gefunden werden, lassen sich nicht ohne weiteres als allgemeines Phaenomen der visuellen Worterkennung interpretieren, da die Effekte von Fixationsposition und positioneller Nachbarschaftsverteilung interagieren.

Referat in der Gruppe Visuelle Worterkennung: Orthographische, phonologische und lexikalische Verarbeitung, Dienstag, 30. März 1999, 16:30, HS 17

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