Ist der Nachbarschaftseffekt ein Effekt der Buchstabenverwechselbarkeit?

Florian Schmidt-Weigand, Hans-Christoph Nuerk, Ralf Graf & Arthur M. Jacobs

Fachbereich Psychologie, Philipps-Universitaet Marburg
Gutenbergstr. 18, 35032 Marburg
E-Mail: Florian.Schmidt.Weigand@stud-mailer.uni-marburg.de

Neben lexikalischen Faktoren wie Wortfrequenz und orthographischer Nachbarschaft hat sich vor allem der Grad der Verwechselbarkeit von Buchstaben als geeigneter praelexikalischer Praediktor von Identifikationslatenzen, -schwellen und -fehlern einzelner Woerter erwiesen (Schmidt-Weigand, Rey, Nuerk, Graf, Jacobs, & Van Orden, 1998; Ziegler, Rey, & Jacobs, 1998). Simulationsmodelle wie das MROM (Grainger & Jacobs, 1996) sind in der Lage, den Einfluss dieser Variablen nachzubilden. Den hemmenden Einfluss von Nachbarn auf die Identifikation eines Wortes erklaert das MROM durch laterale Inhibition auf Wortebene. Gemaess der Modellarchitektur ist die Aktivation eines Nachbarn und damit sein hemmender Einfluss um so hoeher, je leichter der auszutauschende Buchstabe des Zielwortes mit dem entsprechenden Buchstaben des Nachbarn zu verwechseln ist.
In der hier vorgestellten Studie haben wir diese Modellvorhersage empirisch untersucht. 11 Probanden wurden gebeten, unvollstaendig auf einem Bildschirm dargebotene Woerter (Fragmentationsaufgabe) zu identifizieren. Variiert wurde die Summe der Verwechslungshaeufigkeiten derjenigen Buchstabenpaare, die, in Abhaengigkeit ihrer Position, einen Nachbarn zum Zielwort bilden.
Die Auswertung der Daten zeigt (1) einen signifikanten Unterschied bei Identifikationsschwellen und -fehlern zwischen Woertern niedriger und hoher Nachbarschaftsverwechselbarkeit, (2) keinen Einfluss orthographischer Nachbarschaftsdichte, wenn die perzeptuelle Verwechslungswahrscheinlichkeit mit direkten Nachbarn gering ist.
Die Ergebnisse legen nahe, dass nicht die blosse Nachbarschaftsdichte, sondern vor allem der Grad der Verwechselbarkeit des Zielwortes mit seinen Nachbarn den eigentlichen Effekt beschreibt. Dieser Befund unterstreicht die substantielle Interaktion lexikalischer und praelexikalischer Faktoren beim Lesen.

Referat in der Gruppe Visuelle Worterkennung: Orthographische, phonologische und lexikalische Verarbeitung, Dienstag, 30. März 1999, 18:00, HS 17

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