Zur Selektivität des lexikalischen Zugriffs bei Zweisprachigen

Kristin Lemhöfer, Ralph Radach & Dieter Heller

Institut für Psychologie, RWTH Aachen
Jaegerstr. 17, 52056 Aachen
E-Mail: k.lemhoefer@iaw.rwth-aachen.de

Die Befundlage zu der Frage, inwieweit die beiden Sprachen eines Bilingualen zwei getrennte oder ein gemeinsames funktionales System bilden, ist uneinheitlich. Vor allem im Kontext interaktiver Aktivationsmodelle überwiegt derzeit die Vorstellung einer nicht-selektiven Verarbeitung. Ausgangspunkt unserer Untersuchung ist die Vermutung, daß ein sprach-spezifischer lexikalischer Zugriff möglich ist und das Ausmaß, in dem selektiv auf nur eine oder zugleich auf beide Sprachen zugegriffen wird, wesentlich vom situativen Kontext oder "Sprachmodus" bestimmt wird.
Zur Prüfung dieser Hypothese wurde die Tatsache herangezogen, daß die Ablehnungszeit für Nonwörter eine Funktion ihrer Ähnlichkeit zu tatsächlich existierenden Wörtern ist (Coltheart et al., 1977). Wir variierten zunächst durch die Bearbeitung monolingualer Aufgaben die Spracherwartung der deutsch-englischen bilingualen Vpn. Anschließend führten die Probanden eine lexikalische Entscheidungsaufgabe aus, die sich jeweils ausschließlich auf die Erkennung von (seltenen vs. häufigen) Wörtern der englischen oder deutschen Sprache bezog. Die Nonwörter waren in beiden Bedingungen identisch. Es handelte sich um orthographisch legale und aussprechbare Pseudowörter, die jedoch entweder im deutschen oder im englischen Sinne "wortähnlicher" waren. Die Sprachähnlichkeit wurde anhand der Anzahl und Häufigkeit orthographischer Nachbarn ermittelt und mit Hilfe einer direkten Skalierung durch Muttersprachler abgesichert.
Die Ergebnisse zeigen zunächst einen deutlichen Effekt der Worthäufigkeit. Interessanter ist der Befund, daß jeweils diejenigen Pseudowörter schneller abgelehnt wurden, die den Wörtern der relevanten Sprache unähnlicher waren.
Dies deutet darauf hin, daß eine eindeutige Spracherwartung bereits auf der lexikalischen Verarbeitungsstufe eine selektive Aktivierung der relevanten Sprache bewirkt, die sich hier in einer kontextspezifischen Wirkung der Wortähnlichkeit von Nonwörtern äußerte. Weitere Untersuchungen in bezug auf einen dritten, bilingualen Sprachmodus werden gegenwärtig durchgeführt.

Referat in der Gruppe Visuelle Worterkennung: Orthographische, phonologische und lexikalische Verarbeitung, Dienstag, 30. März 1999, 18:30, HS 17

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