Ein elektrophysiologischer Test des intentionalen Vergessens: ‘flache’ Enkodierung oder retrieval inhibition?

Markus Ullsperger, Ulrich Müller & Axel Mecklinger

MPI für neuropsychologische Forschung
PO Box 500 355, 04303 Leipzig
E-Mail: ullsperg@cns.mpg.de

Die verminderte Wiedererkennensleistung von zu vergessenden Worten in Gedächtnisaufgaben mit intentionalem Vergessen wird entweder auf Inhibitionsmechanismen auf der Ebene des Gedächtnisabrufes oder auf differentielle Enkodierungsmechanismen zurückgeführt. Ziel der vorliegenden Studie war es, beide Erklärungsansätze mit Hilfe ereigniskorrelierter Potentiale (EKPs) zu prüfen.
In zwei Experimenten mit gleichem Wortmaterial wurden jeweils 20 Probanden in einer Lernphase 180 kategoriell geordnete Nomen dargeboten. Ein zeitlich verzögert präsentierter Hinweis zeigte an, ob das jeweilige Wort zu merken oder zu vergessen (Experiment 1) beziehungsweise tief oder flach (Experiment 2) zu verarbeiten war. In einem verzögerten Wiedererkennungstest mit Präsentation 180 neuer Worte wurden die EKPs von 61 Skalpelektroden abgeleitet.
Die Wiedererkennensraten für zu merkende und tief enkodierte Worte lagen bei 89%, für zu vergessende bei 59% und für flach enkodierte bei 73%. Die EKPs zeigten für richtig wiedererkannte Worte verglichen mit richtig zurückgewiesenen neuen Worten mindestens drei topographisch und zeitlich verschiedene positive alt/neu Effekte mit frontomedianem, parietalem und rechtsfrontalem Maximum. Während sich diese EKP-Effekte für tief und flach enkodierte Worte entsprechend der Verarbeitungstiefe nur quantitativ unterschieden, gab es sowohl quantitative als auch qualitative Unterschiede zwischen den alt/neu Effekten beim Wiedererkennen zu merkender und zu vergessender Worte. Insbesondere war bei zu vergessenden Items der parietale alt/neu Effekt nicht nachweisbar und eine späte rechtsfrontale Positivierung stärker ausgeprägt.
Ein Vergleich der beiden Experimente ergibt, daß die Annahme unterschiedlicher Verarbeitungstiefen bei der Enkodierung zu merkender und zu vergessender Worte nicht zur Erklärung der EKP-Phänomene beim intentionalen Vergessen genügt. Die Ergebnisse unterstützen die Retrieval-Inhibitions-Modelle und können als Korrelate des erschwerten Zugriffs auf inhibierte Gedächtnisinhalte betrachtet werden.

Poster in der Gruppe Gedächtnis, Mittwoch, 31. März 1999, 17:00-19:00, Foyer 2. Stock

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