Morphologische Kasusinformation auf kurzen Objekt-NPs beim Satzverstehen: Eine EKP-Studie

Thomas Jacobsen+* & Angela D. Friederici*

+Biologische Psychologie, Institut für Allgemeine Psychologie, Universität Leipzig und *Max-Planck-Institut für neuropsychologische Forschung
Seeburgstraße 14-20, 04103 Leipzig
E-Mail: jacobsen@uni-leipzig.de

Die Frage, welche Rolle Kasusinformation während der Satzverarbeitung spielt, ist Gegenstand gegenwärtiger psycholinguistischer Diskussion. Kasusgeleitete syntaktische Strukturbildungsprozesse (Parsing) standen im Fokus dieser Studie. In einem elektrophysiologischen Experiment wurden Probanden Verb-Erst-Sätze mit morphologischer Akkusativ- und Dativ-Markierung auf der Objekt-Nominalphrase (NP) präsentiert, und ereigniskorrelierte Hirnpotentiale (EKP) erhoben. Mit Hilfe der Verwendung von Syntaxverletzungen, realisiert über die Kasusinformation auf der Objekt-NP (^), erwarteten wir Aufschluß über Prozeßcharakteristika und den Zeitverlauf der Verwendung struktureller (1) und lexikalischer (2) Kasusinformation beim Parsen von Verb-Erst-Sätzen während der visuellen Satzverarbeitung.
16 Probanden (8 männlich) lasen 200 Sätze ((1) & (2))in Einzelwortpräsentation (500ms, ISI 0ms) in einem vollständig ausbalancierten Design ohne Füllsätze.
(1) Er wußte, sehen würde Petra ^ihn/*ihm erst, wenn diese ging.
(2) Er wußte, helfen würde Petra ^ihm/*ihn erst, wenn diese ging.
Die Verletzungsbedingungen (*) beider Kasus evozierten breit verteilte, nicht-lateralisierte stärkere Negativerungen im Zeitbereich zwischen 300 und 480 Millisekunden nach Präsentationsbeginn des kritischen Wortes (^) relativ zu den syntaktisch korrekten Bedingungen. Verletzungen des strukturellen Kasus resultierten frontal in einer stärkeren Negativierung als Verletzungen des lexikalischen Kasus. Spätere Effekte, die verläßlich als P600/SPS interpretierbar waren, ergaben sich nicht.
Die Daten belegen, daß Informationen über die Argumentstruktur eines Verbs in einem relativ späten Zeitfenster verarbeitet werden, auch wenn die kritische Information allein durch den Kasus angezeigt wird. Der Unterschied in der Verteilung der Effekte für lexikalischen und strukturellen Kasus läßt vermuten, daß die zugrundeliegenden neuronalen Prozesse zum Teil unterschiedliche Hirnsysteme involvieren.

Referat in der Gruppe Sprache I, Montag, 29. März 1999, 16:00, HS 17

Zur Programmübersicht

Zur Liste der Postergruppen, Referategruppen und Symposien

Zurück zur Teap '99-Homepage