Diskrete mentale Zeitstrukturen: Evidenz aus der Untersuchung von Scheinbewegung

Raul Kompaß & Hans-Georg Geißler

Institut für Allgemeine Psychologie I, Universität Leipzig
Seeburgstraße 14-20, 04103 Leipzig
E-Mail: kompass@rz.uni-leipzig.de

Die Fragestellung nach der Zeitstruktur unseres Denkens geht unter anderem auf Fechner zurück, der bereits 1860 Oszillationen als Grundlage des Bewußtseins postulierte. Während bereits die ersten elektrophysiologischen Untersuchungen des Nervensystems diese Auffassung bestätigten, blieben Funktion und Feinstruktur der oszillatorischen mentalen Aktivitäten weitgehend ungeklärt.
Von Békésy fand bei der Untersuchung der Wahrnehmung von Sinustönen an der Grenze zum Infraschall im Jahre 1936 Unstetigkeiten des Absolutschwellenverlaufes, die eine Erklärung durch hierarchisch organisierte neuronale Oszillationen nahelegen. Es werden Untersuchungen vorgestellt, bei denen wie im Versuch v. Békésys der Nachweis solcher Strukturen durch die Vermessung der Wahrnehmung oszillatorischer Reize im Grenzverfahren erfolgt. In ihnen wird gleichzeitig ein neues Wahrnehmungsphänomen - die Scheinbewegung - in die Erforschung mentaler Zeitstrukturen eingeführt.
Beim Übergang von Scheinbewegung zu lokalem Flimmern (Simultanitätschwelle) durch kontinuierliche feinstufige Reduktion des Interstimulusintervalls sind individuell Stufungen des Schwellenverlaufes und über alle Versuchspersonen hinweg bevorzugte Werte des Parameters ISI für den Wahrnehmungswechsel zu beobachten. Verschiedene Vorzugswerte des ISI weisen untereinander ganzzahlige Verhältnisse, aber auch absolute Größen auf, die Ähnlichkeit mit den Resultaten von v. Békésy haben. Multimodal verteilte Differenzen der Schwellenwerte deuten zudem auf schnelle, den Wahrnehmungsprozessen zugrundeliegende Oszillationen.
Die nachgewiesenen diskreten mentalen Zeitwerte können in ihrer Größe, aber auch in der Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens recht gut durch das Geisslersche Zeitquantenmodell erklärt werden. Gleichzeitig haben sie Eigenschaften, die auf ein System sich gegenseitig synchronisierender Oszillatoren hinweisen.

Referat in der Gruppe Wahrnehmung und Psychophysik, Dienstag, 30. März 1999, 18:00, HS 21

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