Kulturelle Prägung des Zeiterlebens und der Zeitwahrnehmung im Millisekundenbereich

Hede Helfrich

Institut für Psychologie, Universität Hildesheim
Marienburger Platz 22, 31141 Hildesheim
E-Mail: helfrich@rz.uni-hildesheim.de

In Untersuchungen zum "sozialen Tempo" zeigte sich, daß die Dauer alltäglicher Tätigkeiten in Abhängigkeit von soziokulturellen Faktoren wie z.B. Stadtgröße, Industrialisierungsgrad und Land beträchtlich schwankt. In der vorliegenden Untersuchung wird gefragt, inwieweit solche soziokulturellen Zeitvorgaben die Zeitschätzung im Millisekundenbereich beeinflussen. Zu erwarten wäre, daß bei einem höheren sozialen Tempo bereits kürzere zeitliche Verschiebungen als solche erkannt werden.
Untersucht wurden zwei Extremgruppen, von denen die eine (Studenten einer japanischen Großstadt) hinsichtlich ihres sozialen Tempos als "hoch", die andere (Studenten einer mittleren deutschen Universitätsstadt) als "niedrig" eingestuft werden kann.
Den Probanden wurden Klangmuster dargeboten, die aus zwei transienten Tonkomponenten bestanden. Die zweite Komponente konnte entweder gleichzeitig mit der ersten einsetzen oder bis zu 50 ms zeitlich versetzt.
In der Benennungsaufgabe mußten die Probanden entscheiden, ob die beiden Tonkomponenten des jeweils dargebotenen Klangmusters "gleichzeitig" starteten oder ob ihr Einsatz "sukzessiv" erfolgte. In der Identifikationsaufgabe mußte jedes Klangmuster mit einer Zahl zwischen "1" (synchroner Beginn beider Komponenten) und "6" (maximal zeitlich versetzter Beginn) identifiziert werden.
In der Benennungsaufgabe war - erwartungsgemäß - das kritische Zeitintervall für die Entdeckung der Ungleichzeitigkeit bei den japanischen Probanden signifikant kürzer als bei den deutschen Probanden. Dagegen verschwand der Vorsprung, wenn aus den Identifikationsdaten das von der subjektiven Antwortneigung bereinigte Maß d' zur Erfassung des Diskriminationsabstandes abgeleitet wurde.
Aus der Studie kann der vorläufige Schluß gezogen werden, daß Unterschiede im vorherrschenden sozialen Tempo mit Unterschieden im subjektiven Zeiterleben einhergehen, daß sich aber die kulturellen Prägungen nicht auf die grundlegenden Prozesse der zeitlichen Unterscheidungsfähigkeit auswirken.

Referat in der Gruppe Wahrnehmung und Psychophysik, Dienstag, 30. März 1999, 18:30, HS 21

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