Mathematische Modellierung der Gesichterverarbeitung bei Kindern und Erwachsenen

Gudrun Schwarzer

Forschergruppe Kognitive Entwicklung, Psychologisches Institut der Universität Tübingen
Friedrichstraße 21, 72072 Tübingen
E-Mail: gudrun.schwarzer@uni-tuebingen.de

Derzeit wird kontrovers diskutiert, ob Kinder und Erwachsene einzelne Merkmale bei der Gesichtererkennung analysieren und falls dies zutrifft, wie diese Merkmale integriert werden. Im vorliegenden Beitrag wurde geprüft, inwieweit Modelle wie das Single Channel Model (SCM), das Merkmalsfokussierungen vorsieht, oder das Fuzzy Logical Model of Perception (FLMP), bei dem Einzelmerkmale multiplikativ verknüpft werden, Daten zur Identifikation von Gesichtern anpassen können. Da beide Modelle die Gesichterverarbeitung auf die Analyse von Einzelinformationen aufbauen, würde sowohl die Anpassung des SCM als auch die des FLMP generell gegen eine holistische Gesichterverarbeitung im Sinne einer unanalysierten Ganzverarbeitung sprechen.
Im Rahmen eines erweiterten faktoriellen Designs sollten Kinder (5 Jahre) und Erwachsene Gesichter identifizieren. Insgesamt unterschieden sich die Gesichter in 2 Merkmalen (Augen und Mund), wobei jedes Merkmal 3 Abstufungen besaß. Experiment 1 und 2 unterschieden sich darin, wie salient die jeweiligen Merkmale gewählt waren.
Die Ergebnisse aus Experiment 1 zeigten, daß die Kinder bei der Identifikation der beiden Prototypen nahezu ausschließlich auf ein Merkmal, den Mund, fokussierten. Die Erwachsenen hingegen integrierten beide Merkmale in ihr Urteil, wobei das FLMP die Daten am besten anpaßte. Die in Experiment 2 gewählte Salienz von Augen und Mund, die ausgewogener war als die in Experiment 1, führte dazu, daß nun auch die Kinder beide Variationsmerkmale in ihr Urteil einfließen ließen. Auch hier lieferte das FLMP, wie auch bei den Erwachsenen, die beste Anpassung der Urteile. Die ermittelten Daten ließen sich somit durch eine multiplikative Integration der einzelnen Gesichtsmerkmale erklären. Deshalb sprechen die Studienergebnisse grundsätzlich gegen eine holistische Verarbeitung und zwar sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen.

Beitrag zum Symposium Gesichterverarbeitung, Donnerstag, 1. April 1999, 09:00-12:00, HS 14

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