Pressemitteilung 2018/317 vom

Vom Menschen verursachte Umweltverschmutzung kann weitreichende Folgen für Fortpflanzung und Überleben von Tieren haben. Ein internationales Team um Isabella Scheiber von der Universität Wien (zuvor Universität Groningen) und Dr. Brigitte Weiß von der Universität Leipzig hat nun mit Kollegen der Universitäten Wien, Groningen und Wageningen sowie des arktischen Zentrums der Universität Groningen gezeigt, dass sich auch Verschmutzungen durch längst aufgegebene Kohleminen auf Stressverhalten und physiologische Prozesse negativ auswirken. Die Ergebnisse dieser Studie erscheinen aktuell in der renommierten Zeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“.

Natürliche Populationen werden zunehmend Umweltverschmutzungen ausgesetzt, die unter anderem Verhalten und Physiologie von Tieren beeinträchtigen können. In Stresssituationen wie der Begegnung mit einem Fressfeind entscheiden angemessene Reaktionen jedoch unmittelbar über Leben und Tod. Im Rahmen der aktuellen Studie untersuchte das Forscherteam daher den Einfluss von Schadstoffen auf  Verhalten und physiologische Prozesse von jungen Nonnengänsen in akuten Stresssituationen. Ihre Studie führten sie rund um den Ort NyÅlesund in Norwegen auf dem arktischen Spitzbergenarchipel durch, wo vor mehr als 50 Jahren eine Kohlemine implodierte. Während die resultierenden Verschmutzungen direkt im Ort beseitigt wurden, wurde das Gebiet um die mittlerweile verlassene Mine in verunreinigten Zustand belassen. Eine seit den 1980er Jahren kontinuierlich erforschte Nonnenganspopulation zieht in dem Gebiet ihren Nachwuchs auf und nutzt unter anderem das Gebiet der alten Mine als Nahrungsfläche. "Wir wissen durch eine von Nico van den Brink geleitete Begleitstudie, dass sowohl der Boden als auch die Vegetation in der verlassenen Mine noch immer erhöhte Schwermetallkonzentrationen aufweisen und diese Schwermetalle von den Vögeln beim Fressen aufgenommen werden", erklärt Isabella Scheiber.

Das Forscherteam verglich junge Gänse (sogenannte Gössel), die in den ersten Lebenstagen in der schadstoffbelasteten Mine oder in unbelasteten Gebieten fraßen. Sie erfassten dabei das Verhalten sowie Stresshormonwerte nach etablierten Stresstests. Bei diesen Tests waren die Gössel für kurze Zeit von ihren Familienmitgliedern isoliert oder in ihrer Bewegung eingeschränkt, was bei hochsozialen Tieren wie Gänsen eine Stressreaktion hervorruft. Schadstoff-exponierte Gössel verhielten sich während dieser Tests durchwegs unruhiger und zeigten eine stärkere Erhöhung der Stresshormonwerte als ihre nicht-exponierten Geschwister. "Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass exponierte Gössel durch die Tests tatsächlich stärker gestresst waren. Insgesamt waren die Reaktionen der exponierten Gössel zudem weniger vorhersagbar", erläutert Brigitte Weiß.

Um sicherzustellen, dass die exponierte Gruppe im Gebiet der Mine und die Kontrollgruppe in einem sauberen Gebiet frisst, sammelten die Forscher 16 Eier aus Nestern auf unbelasteten Inseln vor NyÅlesund und zogen die Gössel selbst auf. Für etwa drei Wochen führten sie eine Hälfte der Gössel zum Fressen in das verlassene Minengebiet, während deren Geschwister in unbelasteten Gebieten grasen durften. Den Rest des Tages verbrachten alle Gössel gemeinsam in Begleitung ihrer menschlichen Zieheltern, um die Aufzuchtbedingungen für alle Tiere so gleich wie möglich zu gestalten. Die Stresstests führten die Forscher durch, als die Gössel 13 bis 23 Tage alt waren. Vor und nach den Tests sammelte das Team Kotproben, aus denen später an der Universität Wien die Stresshormonwerte mittels Enzymreaktionen bestimmt wurden.

"Unsere Studie zeigt, dass die Schadstoffe aus vergangenen Umweltverschmutzungen langfristig auf einem Niveau bleiben, das ausreicht, um die Stressreaktionen der Tiere entscheidend zu verändern. Dies ist insofern erstaunlich, als die Tiere der Kontamination nur kurz, aber während einer kritischen Entwicklungsphase ausgesetzt wurden", folgert Scheiber. "Es bleibt zu untersuchen, welche Auswirkungen die frühe Aufnahme der Schadstoffe langfristig auf den Reproduktionserfolg und das Überleben hat", schließt Weiß, "besonders in fragilen Ökosystemen wie den Polarregionen".

 

Publikation in "Proceedings of the Royal Society B":

"Stress behaviour and physiology of developing Arctic barnacle goslings (Branta leucopsis) is affected by legacy trace contaminants",  DOI: 10.1098/rspb.2018.1866