Pressemitteilung 2001/119 vom

Der alternde Mann hatte über Jahrzehnte in der medizinischen Betreuung wenig Aufmerksamkeit gefunden. Jetzt ist er vermehrt ins Zentrum des Interesses verschiedener klinischer Fachrichtungen gerückt. Es war deshalb naheliegend, dass die interdisziplinäre Deutsche Gesellschaft für Andrologie (Männerheilkunde) eine Tagung mit der Thematisierung des alternden Mannes angeregt hat.

Ziel war es dabei, durch Präsentation aktueller und interdisziplinärer Forschungsergebnisse Standpunkte und Richtlinien für die tägliche medizinische Praxis zu erarbeiten. Die Austragung dieser Tagung wurde der Leipziger Andrologischen Arbeitsgruppe übertragen, die als einzige in Ostdeutschland als Weiterbildungszentrum der Europäischen Akademie für Andrologie zertifiziert wurde. Es war das Konzept des Tagungspräsidenten Professor Dr. med. H.-J. Glander von der Universität Leipzig, Klinik und Poliklinik für Hautkrankheiten, Abteilung Andrologie, den alternden Mann nicht auf die Hormone und Sexualität zu reduzieren, sondern die medizinische Problematik der Gesamtpersönlichkeit zu betrachten. Aus diesem Grund ergab sich ein intensives und interdisziplinäres Tagungsprogramm, das am 12. Mai über 200 Teilnehmer aus ganz Deutschland anzog.

Es wurden bei dieser Tagung mit Medizinern verschiedener Fachrichtungen und Psychologen die Besonderheiten derBetreuung des alternden Mann herausgearbeitet und junge Kollegen/innen auf diese Herausforderungen vorbereitet. Hervorragende Kliniker aus ganz Deutschland stellten bei dieser Veranstaltung ihre praxisrelevanten Forschungsergebnisse und klinischen Erfahrungen vor. Der wissenschaftliche Meinungsstreit trug dazu bei, die Strategie der Patientenbetreuung weiter zu optimieren. C.Schirren (Hamburg) mahnte dabei die oft vernachlässigte psychosoziale Betreuung des alternden Mannes neben einer rein somatischen Medizin an. Zunächst spielten Nomenklaturfragen eine Rolle. Unter mehreren in der Vergangenheit verwendeten Synonymen hat sich als Ergebnis der Konsensuskonferenz der Begriff "der alternde Mann" durchgesetzt (W. Krause, Marburg: Gedanken zur Nomenklatur). Es wurde übereinstimmend festgestellt, dass die Testosterontherapie des alternden Mannes nicht Automatismen folgen sollte, sondern individuell den Hormonhaushalt, die Nebenwirkungen und erwünschten Behandlungsziele berücksichtigen muss (H. Beere, Halle; C. Rolf, E. Nieschlag, Münster). Es herrschte Übereinstimmung darüber, dass die Testosteronsubstitution keinen Prostatakrebs induziert aber evtl. einen okkult vorhandenen klinisch manifestieren kann (A. Manseck, M. Wirth, Dresden). Durch begleitende klinische und laborchemische Diagnostik ist jedoch eine frühzeitige Erkennung möglich.

Mit dem Alterungsprozeß ist eine Abnahme der Androgenkonzentration um reichlich ein Prozent pro Jahr ab dem 40. Lebensjahr verbunden. Diese Reduktion ist u. a. auch durch Alterungsprozesse im Testosteronproduzenten, Leydigzelle, verursacht. (T. Diemer, W. Weidner, Gießen). Besonders ausführlich wurde auf die Entwicklung der Sexualität und Zeugungsfähigkeit im Alter eingegangen (W. Weidner, Gießen; S. Lenk, Berlin; E. Brähler, Leipzig; K. Seikowski, Leipzig; G. Haidl, Bonn; A. Jung, H.-C. Schuppe, W.-B. Schill, Gießen). Dabei konnte herausgestellt werden, dass Alter nicht zwangsläufig mit Verlust von sexuellen Interessen einhergehen muss. Als Ursache von Sexualstörungen spielen Testosterondefizite nur eine untergeordnete Rolle. Oft ist es ein Kombinationseffekt mit anderen Erkrankungen und/oder der zunehmenden Zahl verordneter Arzneimittel. Von einzelnen Arzneimittelgruppen ist bekannt, dass sie häufiger als es dem Zufall entspricht, mit funktionellen Sexualstörungen kombiniert sind, z. B. Medikamente gegen Bluthochdruck. Falls aber Sexualfunktionsstörungen eintreten, stehen zur Behandlung im Alter eine Reihe von erprobten Medikamenten zur Verfügung (S. Lenk, Berlin).

Eine Analyse der Zufriedenheit deutscher Männer mit Sexualität und Partnerschaft im Lauf ihres Lebens (E. Brähler, Leipzig; W. Beutel, W. Weidner, Gießen) fiel recht positiv aus. Für den alternden Mann wurden psychologische Beratungs- und Therapiekonzepte vorgestellt, die den praktischen Arzt für die Betreuung dieser Patientengruppe einen klaren Leitfaden gaben (K. Seikowski, Leipzig). Die Zeugungsfähigkeit des alternden Mannes lässt zwar etwas nach, ist aber im Gegensatz zu den Frauen im Durchschnitt nicht ernsthaft bedroht (G. Haidl, Bonn). F.-M. Köhn (München) ging auf die Risikosteigerung eines Todesfalles beim Geschlechtsverkehr im höheren Alter ein und konnte dabei Entwarnung geben. Eine Anregung für zukünftige Forschungsarbeit wurde durch die Vorstellung eines Fragebogenkonzepts für "den alternden Mann" gegeben (E. Brähler, Leipzig; W. Beutel, W. Weidner, Gießen), das umfassend diskutiert wurde.

Aber nicht nur die Genitalorgane und die Sexualität waren Tagungsthemen, sondern auch andere Organsysteme, die beim Mann einem besonderen Alterungsprozeß unterliegen oder testosteronabhängig sind. So wurde z. B. besonders anschaulich die Pathophysiologie des unteren Harntraktes und die Auswirkungen auf das Wasserlassen im Alter dargestellt (W. Dorschner, J.-U. Stolzenburg, Leipzig). Diese neuen Erkenntnisse hatten den Zuhörern in didaktisch hervorragender Weise auch therapeutische Ansatzpunkte vermittelt. In erfrischender Weise nahm W. Reuter (Leipzig) zum Problemkreis männliches Altern, Lipidstoffwechsel und Antioxidantien Stellung und wies darauf hin, dass die Hoffnungen auf Antioxidantien als "Jungbrunnen" vergeblich waren. Zwei Beiträge widmeten sich dem sehr wichtigen orthopädischen Themenkreis im Alter (G. von Sali-Soglio, R. Scholz, Leipzig, H. Pusch, Graz). Das Skelettsystem unterliegt mit zunehmendem Alter besonderen Destabilisierungsveränderungen, d.h., es ist vermehrt mit Komplikationen, z. B. Brüchen zu rechnen, aber deshalb auch vermehrt prophylaktische Therapie erforderlich. Ein Referat über häufige Hauterkrankungen des alternden Mannes (U. Paasch, Leipzig), die insbesondere Tumore und Autoimmunerkrankungen berücksichtigte, gab eine zusammenfassende Übersicht aus praktisch-dermatologischer Sicht. Interessant war der Hinweis, dass auch das Immunsystem des Mannes älter wird (H.-C. Schuppe, A. Jung, W.-B. Schill, Gießen). Ein Bericht über eigene Erfahrungen, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten von Brustdrüsenschwellungen (Gynäkomastie) im Alter rundete die Tagung ab, wobei besonders auf den Ausschluß hormonaktiver Tumore hingewiesen wurde (G. Schreiber, Jena).

Insgesamt führte der intensive Meinungsaustausch zu der Schlußfolgerung, dass eine Behandlung mit männlichen Geschlechtshormonen vier Voraussetzungen erfordert:


  1. ein Hormondefizit,

  2. klinische Hormon-Mangelerscheinungen,

  3. Erhöhung der Lebensqualität unter der Behandlung

  4. Ausschluß von negativen Nebenwirkungen.


Die Tagung führte weiterhin zu der Schlussfolgerung, dass die männliche Seneszenz einen multifaktoriellen Prozeß darstellt, der physiologische Alterungsvorgänge, ein erhöhtes Krankheitsrisiko, ein sich schleichend entwickelndes Hormondefizit und seine Folgen an androgenen Zielorganen einschließt.

 

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