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Wie digitale Lehre gelingen kann, zeigen wir Ihnen anhand von ausgewählten Praxisbeispielen an unserer Universität. Dr. Naomi Truan legt in ihrem Online-Seminar besonderen Wert auf Offenheit, Empathie und die Pflege der zwischenmenschlichen Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden.

Das Lehrangebot:

  • Studiengang: Germanistik (auf Lehramt)
  • Lehrveranstaltung/Modul: Grammatik und Schule im digitalen Zeitalter
  • Format: Seminar + Übung im asynchronen und synchronen Format
  • Größe der Gruppe: 45 Teilnehmende
  • Verwendete Software, Technik, Hilfsmittel etc.:
    • Etherpads für gemeinsame Notizen (Aufgabenstellung, Ergebnissicherung, Zusammenfassung meines kurzen Inputs)
    • offene Sprechstunde über BigBlueButton (live, mit Video, Gruppenarbeit in Breakout-Räumen)
    • Chat-Sprechstunde (ohne Kamera, nur Gruppenchat)
    • Moodle-Foren für kurze Rückfragen sowie ein „Forum für Entspannung, Freude und Kunst“, wo wir schöne Bilder, nützliche Ressourcen, Tipps und Links (die nichts mit den Seminarinhalten zu tun haben) teilen
    • Perusall für die Annotation wissenschaftlicher Texte (Die Studierenden mussten eine Datenschutzerklärung unterschreiben.)
  • Vorerfahrungen/Vorbilder: „Digitale Tools habe ich schon recht intensiv in der Präsenzlehre benutzt. In früheren Seminaren hatten wir zum Beispiel schon zusammen an kollaborativen Dokumenten (Etherpads) gesessen oder Texte zusammen annotiert. Der Hauptunterschied bestand darin, dass wir in der Regel gemeinsam während der Seminarzeiten am Laptop oder Tablet gearbeitet haben, so dass es sich nicht wie eine zusätzliche Aufgabe anfühlte, sondern semesterbegleitend erfolgte.“
  • Vorteile: „Das Modul passt gerade besonders gut für unser erstes Semester digitaler Lehre. Wir beschäftigen uns nämlich mit Aussagen wie 'WhatsApp & Co machen Schüler*innen dumm' und hinterfragen sie durch teilnehmende Beobachtung und forschungsorientiertes Lernen.
    Dabei wird die digitale Schreibkommunikation im Seminar selbst zum Untersuchungsgegenstand: Die Teilnehmenden analysieren datenabgeleitet Moodle-Nachrichten, Etherpads, Perusall, BBB-Chats, die ich den Teilnehmenden anonymisiert zu Verfügung stelle, aber auch private WhatsApp-Chats.
    Vor diesem Hintergrund stellt digitale Lehre eine große Chance dar, da vielmehr digitale Daten produziert und analysiert werden. Außerdem setzen wir uns alle seit ein paar Wochen mit neuen Kommunikationsformen auseinander, so dass Reflexionen über Sprachregister, Medienideologien und darüber, was digitale Kommunikation generell mit uns macht, in den Vordergrund rücken.“
  • Nachteile: „In der gerade laufenden Werkstatt 'Muster erkennen – Ist digitales Schreiben (wirklich) so anders?' haben wir auf den Wochenrhythmus verzichtet. Die Teilnehmenden arbeiten drei Wochen selbständig in Gruppen und erarbeiten (für viele zum ersten Mal), welche grammatischen Besonderheiten digitale Kommunikation aufweist.
    Dieser Aspekt ist aber ohne Präsenzlehre und enge Zusammenarbeit mit den Teilnehmenden schwieriger zu begleiten. Ich möchte die Teilnehmenden nicht mit grammatischem Wissen 'überschütten', sondern ihnen zeigen, dass sie dieses intuitiv erlernen können, ohne die Fachtermini vorab zu beherrschen – wie ihre zukünftigen Schüler*innen. Deshalb habe ich nur Handouts als zusätzliches Material hochgeladen.
    Forschungsorientiertes Lernen kann für viele erst einmal neu und verwirrend sein. Deshalb lade ich die Teilnehmenden immer wieder ein, Fragen in die Foren zu posten und sich der offenen Sprechstunde anzuschließen. Ich versuche, den Teilnehmenden diesen Druck teilweise durch aufmunternde und beruhigende E-Mails zu nehmen, aber ich würde mich natürlich auch freuen, sie intensiver und näher 'live' betreuen zu dürfen.

Kurzinterview:

Frau Dr. Truan, wieso sind Ihnen Offenheit und Empathie gerade auch in der digitalen Lehre so wichtig?

Offenheit und Empathie sind in der digitalen Lehre nicht wichtiger als sonst. Sie werden aber sichtbarer gemacht und verlangen mehr Metakommunikation. Es muss immer wieder betont werden, dass man Konzentrationsschwierigkeiten, weniger Motivation und Energie haben darf und dass (mentale) Gesundheit immer den Vorrang haben soll.
Es ist schwieriger geworden, die Namen der Studierenden zu kennen. Dadurch kann digitale Lehre weniger individuell erscheinen. Unterstützende Worte, die sonst in einem persönlichen Gespräch im Anschluss an eine Lehrveranstaltung erfolgen konnten, erreichen nun vorwiegend eine ganze Gruppe.
Außerdem führt die schriftliche Kommunikation manchmal zu formelleren und distanzierten Ausdrucksweisen. Ich würde im Seminar ja nie direkt in den Inhalt einsteigen, ohne die Teilnehmenden zu begrüßen und sie zu fragen, wie es ihnen geht. Jede*r muss ihren/seinen Modus finden, ich schreibe aber gerne nette E-Mails. Eine E-Mail, die mit „Endlich ist der Frühling da!“ anfängt, kostet wenig Zeit, verleiht aber vielleicht dem einen oder der anderen eine schöne Energie.

Inwiefern hilft eine empathische Herangehensweise, zu Lehr- bzw. Lern-Erfolgen im Seminar zu kommen?

Ich glaube zum einen, dass man den Studierenden ein bisschen Druck wegnimmt, wenn ihnen gesagt wird, dass Lehrende gerade auch nicht normal arbeiten. Auch für Lehrende bedeutet digitale Lehre mehr Zeitaufwand und kann zu knapperen Rückmeldungen oder Verspätungen führen. Zum anderen sind Lehrende in der Position, Studierenden durch verlängerte Abgabefristen oder einen leichteren Wochenrhythmus entgegenzukommen. Es ist mir lieber, dass Studierende einen wissenschaftlichen Text weniger lesen, dabei aber immer noch Spaß am Studieren haben und sich unterstützt fühlen. Ich fände es gefährlich, den Lehr- bzw. Lernerfolg auf die Einzelnen zu beziehen, da, wo die Anpassung und Unsicherheit zu Zeiten einer Pandemie für uns als Gesellschaft herausfordernd sind. Wir sitzen alle in einem Boot.

Welche Erfahrungen haben Sie mit digitalen Kommunikationsangeboten für Studierende gemacht? Werden sie gut angenommen?

Zu Semesterbeginn habe ich den Studierenden angeboten, sich frei über ihre Befürchtungen und Hoffnungen für das kommende Semester auszudrücken. Viele haben sich über das Moodle-Tool „Journal“ mit langen und ziemlich persönlichen Beiträgen rückgemeldet, was mir den Eindruck gab, dass die Bereitschaft, den Studierenden zuzuhören, gerade wichtiger ist denn je. Wir haben auch ein „Forum für Entspannung, Freude und Kunst“ eingerichtet, das unterschiedlich benutzt wird aber bei einigen, die sich persönlich bei mir bedankt haben, anscheinend sehr gut ankam.
Sonst biete ich jede Woche eine Chat-Sprechstunde sowie eine offene Sprechstunde an. Die Idee war, dass sowohl diejenigen, die sich gerne schriftlich und ohne Kamera als auch diejenigen, die den persönlichen Austausch brauchen, ihren (Kommunikations-)Weg finden. Die Chat-Sprechstunde wird aber zum Beispiel seit drei Wochen nicht mehr besucht, daher haben wir sie vorläufig ausgesetzt. Es müssen Angebote bleiben. Das Einzige, was ich mir vielleicht wünschen würde, ist, dass die Ansage „You’re currently the only person in this conference“ bei BigBlueButton nicht ertönt – dann fühlt man sich auf einmal wirklich alleine. 


Über ihr Twitter-Profil @BerLinguistin tauscht sich Naomi Truan mit anderen Lehrenden aus. Hier einige Beispiele: