Regelmäßig gibt es neue „Durchbruchsmeldungen“ bei der Erforschung der Alzheimerschen Erkrankung – egal ob neue Vorboten, Auslöser oder Diagnoseinstrumente gefunden worden sind. Dennoch gibt es bis heute keine Heilung oder kein Medikament, das Alzheimer nachhaltig bekämpfen könnte. Wo steht die Alzheimer-Forschung heute?
Prof. Dr. Thomas Arendt: Es gibt in jedem Falle Fortschritte, aber wir sind weit davon entfernt, die Erkrankung zu verstehen oder ihre Ursachen zu kennen. Eine kausale Therapie wird mindestens noch eine Generation brauchen, wenn es sie je geben wird.
Bislang ist unser gesichertes Wissen über die Erkrankung nicht sehr umfangreich: Wir wissen, welche Zellen sterben, aber nicht woran. Wir kennen viele molekulare Netzwerke, die beteiligt sind, wissen aber wenig über die zeitliche Dynamik der Krankheit. Die Eiweißablagerungen im Gehirn sind aus meiner Sicht eher Folge als Ursache. Wir müssen also einen Schritt zurückgehen, weniger die molekulare Ebene und viel stärker den zellbiologischen Kontext betrachten. Ich vermute, dass die Zell-Differenzierungsmechanismen im Gehirn gestört sind. Seit den Anfängen war die Alzheimer-Forschung jedoch immer ein Spiegelbild des augenblicklichen technischen Wissens und Könnens gewesen. Und hier verzeichnen wir deutliche Fortschritte: Der Gold-Standard in der Diagnostik, die Positronen-Emissions-Tomographie, kurz PET, eröffnet uns neue diagnostische Fenster in die frühen Phasen der Erkrankung hinein.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Erforschung der Krankheit und der Entwicklung möglicher Therapien?
Ich werde häufig gefragt, wieso wir nicht schon längst eine Pille gefunden haben, die Alzheimer heilt. Es gibt verschiedene Gründe, warum das so schwierig ist: Zum einen handelt es sich um eine Erkrankung des Gehirns, die Fähigkeiten betrifft, die es in dieser Form nur beim Menschen gibt. Alzheimer betrifft zentrale Funktionen wie Gedächtnis oder Sprache, die wir auf neurobiologischer Ebene noch nicht einmal beim gesunden Menschen verstanden haben. Zum anderen läuft die Erkrankung schon viele Jahre und Jahrzehnte im Körper stumm ab, ehe die ersten sichtbaren Symptome auftreten. Wenn ich die Ursachen der Störung erkennen will, muss ich aber die frühen Phasen der Krankheit untersuchen. Hier könnte uns ein Biomarker bis zu einem gewissen Grad weiterhelfen, um Betroffene schon sehr früh zu identifizieren und zu untersuchen.
Ende Dezember 2018 hat sich eine Biotechnologie-Firma aus den USA die Exklusivlizenz für Ihren Bluttest zur Diagnose der Alzheimerschen Erkrankung gesichert und will ihn auf den Markt bringen. Wie ist der aktuelle Stand?
Wir arbeiten mit der Firma weiter wissenschaftlich zusammen. Aktuell arbeiten wir gemeinsam mit Kollegen aus der Nuklearmedizinischen und der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Leipzig an einer Studie, in der wir unsere Testergebnisse mit den Befunden aus Amyloid-PETs vergleichen, das die pathologischen Ablagerungen im Gehirn schon zu Lebzeiten des Patienten sichtbar macht. Das ist ein sehr aufwändiger und kostspieliger Prozess und dennoch notwendig, um potentielle Investoren zu gewinnen, die in die Weiterentwicklung des Tests bis zur Marktreife investieren. Dafür ist sicherlich ein zweistelliger Millionenbetrag notwendig. Aber wir hoffen, dass der Bluttest in fünf bis zehn Jahren auf dem Markt ist.
Woran forschen Sie aktuell an Ihrem Institut?
Wir versuchen weiterhin, eine Therapie zu entwickeln und den Prozess zu beeinflussen, der die Nervenzellen in ihrer Zellteilung und -differenzierung stört. Wir setzen auf eine Gentherapie, die im Tiermodell schon funktioniert. Dazu müssen wir ein Gen in die Nervenzelle bringen, das hemmende Moleküle bei der Zellteilung aktiviert. Hierdurch lassen sich Nervenzellen schützen. Ob das auch am Patienten funktioniert, müssen weitere Studien zeigen.