Trotz globaler Bemühungen um die Biodiversität gehen viele Pflanzenarten zurück. Allein in Deutschland sind das 70 Prozent aller Pflanzenarten. Fast ein Drittel (27,5 Prozent) aller Pflanzenarten ist bedroht, 76 Arten gelten hierzulande bereits als ausgestorben. Ein Großteil dieses Verlustes ist auf den Rückgang natürlicher Lebensräume zurückzuführen, etwa durch die zunehmende Verstädterung. So sind allein in Deutschland zehn Prozent der Gesamtfläche Siedlungsfläche.
Doch genau diese Siedlungsflächen bergen ein erhebliches – wenn auch noch ungenutztes – Potenzial für den Naturschutz. Denn zu diesen Flächen zählen Millionen von Privatgärten, Balkons und Gründächer sowie Parks und anderes öffentliches Grün. Forschende von iDiv, den Universitäten Halle und Leipzig sowie weiterer Einrichtungen schlagen vor, diese potenziell verfügbaren Flächen für Conservation Gardening zu nutzen.
Bei dieser gärtnerischen Praxis wird das Pflanzen von im Rückgang begriffenen heimischen Arten gezielt gefördert. Als heimisch werden Pflanzen bezeichnet, die in ihrem Lebensraum natürlich vorkommen. Hier haben sie sich im Laufe der Evolution an spezifische Umweltbedingungen angepasst und mit anderen Arten gemeinsam weiterentwickelt. Gerade diese für unsere Ökosysteme wichtigen Arten sind jedoch im Rückgang begriffen. „Gärtnerinnen und Gärtner sind seit jeher für die Verbreitung von Pflanzenarten verantwortlich. Sie könnten daher auch dazu beitragen die vielen verschwindenden heimischen Arten wieder zurückzubringen“, sagt Erstautorin Josiane Segar, Wissenschaftlerin bei iDiv und der MLU. „Öffentliche und private Gärten und Grünflächen könnten dabei eine zentrale Rolle für die Erhaltung der Pflanzenvielfalt spielen. Doch hierfür wäre eine Trendwende im Gartenbau nötig.“
Das ökonomische Potenzial für Conservation Gardening und einer solchen Trendwende sei vorhanden, so die Forschenden. Schließlich sei Gartenbau ein wichtiger Wirtschaftszweig in vielen Ländern: In Deutschland wurden beispielsweise im Jahr 2018 8,7 Milliarden Euro für Pflanzen ausgegeben – Trend steigend. Während der Corona-Pandemie stiegen die Pro-Kopf-Ausgaben für Pflanzen sogar um 9 Prozent. Ebenso sei das Bewusstsein für den Rückgang von Arten in der deutschen Bevölkerung stark gestiegen. Darüber hinaus hätten rückläufige heimische Arten auch klare Vorteile. Die meisten von ihnen seien an trockene Standorte angepasst und könnten daher besser mit Trockenperioden im Zuge des Klimawandels zurechtkommen als viele der derzeit im Gartenbau verwendeten Arten. Zusammen könne dies zu einer erhöhten Nachfrage nach Pflanzen für Conservation Gardening führen, wenn diese im großen Maßstab in Gartencentern verfügbar gemacht würden, so die Autorinnen und Autoren.
Als zentrales Element des Conservation Gardening schlagen die Forschenden daher eine stärkere Verzahnung von Gartencentern mit dem Markt für heimisches Saatgut vor. Die Vermehrung zertifizierten Saatguts heimischer Pflanzen sollte hierfür stärker finanziell unterstützt werden. Zusätzlich sollte die Vermarktung von zertifiziertem Saatgut in Gartencentern durch Mehrwertsteuersenkungen gefördert werden. Anhand von Etikettierung ließe sich auf die Vorteile von Conservation Gardening in Gartencentern hinweisen und die Nachfrage fördern. Entsprechende Vergabekriterien für öffentliche Aufträge an Gartenbauunternehmen könnten dazu beitragen, die Verwendung von im Rückgang begriffenen heimischen Pflanzenarten in öffentlichen Grünanlagen zu fördern. Die Forschenden schlagen ebenfalls vor, den Einsatz regionsspezifischer Listen zu rückläufigen Arten für gezielte Bepflanzungskonzepte für private und öffentliche Grünflächen zu nutzen. Auch könnten insbesondere zentrale Akteure Wissen über den Anbau und die Pflege rückläufiger heimischer Pflanzen verbreiten, wie Botanische Gärten, Universitäten, Naturschutzverbände, Nachbarschaftsgemeinschaften oder die öffentliche Verwaltung.
„Conservation Gardening würde eine gezielte, strukturelle Veränderung des konventionellen Gärtnerns und Gartenbaus ermöglichen. Im großen Maßstab umgesetzt, erfordert es keine umfassenden Änderungen der bestehenden Naturschutz-Architektur”, sagt Senior-Autor Dr. Ingmar Staude von iDiv und der Universität Leipzig. “Vielmehr werden bestehende und wirtschaftlich tragfähige Strukturen genutzt, um rückläufige Arten bei der Bepflanzung von Grünflächen zu fördern. In einer zunehmend urbanen Welt könnte so Naturschutz für Bürgerinnen und Bürger greifbar und inklusiv gestaltet werden.”
Originalpublikation:
(Forschende mit iDiv-Affiliation fett gesetzt)
Segar, J., Callaghan, C. T., Ladouceur, E., Meya, J. N., Pereira, H. M., Perino, A., Staude, I. R. (2022): Urban conservation gardening in the decade of restoration, Nature sustainability. DOI: 10.1038/s41893-022-00882-z. Open access link: https://rdcu.be/cNqDg