Pressemitteilung 2000/130 vom

Interview mit Prof. Dr. Frieder Berr, Leitender Oberarzt der Medizinischen Klinik II der Universität Leipzig anläßlich des 1. Deutschen Lebertages

Am 18. November findet bundesweit der 1. Deutsche Lebertag statt. Nachdem die Gastro-Liga in den vergangenen Jahren den Magen bzw. den Darm ins öffentliche Blickfeld gestellt hat, ist es nun die Leber, die größte Drüse des menschlichen Körpers. Herr Prof. Berr, wozu brauchen wir die Leber?

Ohne Leber können wir nicht leben. Sie reguliert unseren Stoffwechsel, sorgt für die Bereitstellung von Nähr- und Baustoffen im Blut, entgiftet unseren Körper und reinigt das Blut von zahlreichen Abbauprodukten und Fremdstoffen, die sie über die Galle in den Stuhl ausscheidet. Sie arbeitet wie ein großer Blutfilter. Außerdem bildet sie eine Reihe wichtiger Proteine (Eiweisstoffe), die im Blut eine große Rolle spielen, z. B. die Blutgerinnungsfaktoren. So gewährleistet die Leber das komplizierte Zusammenspiel aller Vorgänge, die für die Verwertung und den Abbau von Stoffwechsel-produkten und Fremdstoffen entscheidend sind.

Was kann denn den Leber-Stoffwechsel beeinträchtigen?

Aufnahme von schädlichen Stoffen, z. B. Alkohol, gewissen Chemikalien und einigen Medikamenten, in solchen Mengen, dass die Leber sie nicht mehr verarbeiten kann. Oder eine Virusinfektion, die zu einer Leberentzündung (Hepatitis) führt. Feind Nummer Eins ist der Alkohol. Alkohol ist ein Gift, das über die Leber abgebaut wird. Führt man dem Körper ständig eine übermäßige Menge Alkohol zu, kann er nicht mehr von der Leber entgiftet werden. Das Lebergewebe entzündet sich und vernarbt. Die Lebervernarbung heißt Zirrhose; man kann die Vernarbung bisher bestenfalls aufhalten, aber nicht rückgängig machen. Bei der Zirrhose sind die Funktion und die Durchblutung der Leber gestört. Dadurch nimmt der Leberschaden allmählich zu, bis es zum Leberversagen kommt.

Von den Virusinfektionen sind wohl die bekanntesten die Hepatitis A-, B- und C- Infektionen. Schon mancher kam aus einem Urlaub in südlichen Gefilden mit einer Hepatitis-Infektion zurück. Wodurch wird sie übertragen und wie kann ich mich vor ihr schützen?

Wenn nach einem Urlaub eine Virus-Hepatitis auftritt, handelt es sich meistens um eine Hepatitis A-Infektion. Die Ansteckung erfolgt durch verunreinigte Lebensmittel. Der Betroffene fühlt sich richtig krank, hat oft leichtes Fieber und manchmal eine gelbliche Haut. Die Krankheit dauert etwa vier Wochen. Glücklicherweise heilt die Hepatitis A fast immer aus. Der beste Schutz dagegen ist eine Impfung vor Reisebeginn.

Auch gegen Hepatitis B kann man sich impfen lassen. Diese Virusinfektion wird durch sexuelle Kontakte und - heute fast ausgeschlossen durch infektiöses Blut übertragen. Bei zehn Prozent der Betroffenen verläuft die Krankheit chronisch und kann nach 10 bis 30 Jahren zu Leberzirrhose führen. Auch die Gefahr an Leberkrebs zu erkranken ist relativ hoch. Aber auch eine chronische Hepatitis kann man in 40 Prozent aller Fälle heilen, wenn man mit Interferon, einem gentechnisch hergestellten, körpereigenen Abwehrstoff, oder mit dem Virustatikum Lamivudin behandelt.

Stimmt es, dass die am wenigsten beherrschte Hepatitis Virus-Infektion die Hepatitis C ist?

Ja. Es gibt noch keinen Impfstoff gegen Hepatitis C. Wie Hepatitis B wurde die Hepatitis C vor allem über Blutprodukte übertragen. Heute sind die wichtigsten Ansteckungswege unsachgemäß sterilisierte Instrumente bei Tätowierungen, Piercing oder Drogenmißbrauch, selten durch sexuelle Kontakte. Im Anfangsstadium sind die Symptome gering ausgeprägt. Problematisch ist, dass sich in über 80 Prozent der Fälle ein chronischer Verlauf ausbildet, der ebenfalls zu Leberzirrhose und Leberkrebs führen kann. Auch eine erfolgreiche Behandlung gestaltet sich schwieriger. Sie richtet sich danach, welcher der vier Typen des Hepatitis C Virus vorliegt. Die chronische Hepatitis C der Typen 2-4 ist durch eine sechsmonatige Kombinationsbehandlung mit Interferon und Ribavirin heilbar. Patienten mit dem Virustyp 1 müssen ein Jahr behandelt werden, um Heilungschancen von 50 Prozent zu erreichen.

Ist nicht der beste Schutz vor Krankheit, die krankheitsauslösenden Ursachen zu meiden?

Selbstverständlich. Nur ist das sicher nicht immer möglich. Durch eine konsequente Prüfung aller Blutprodukte ist eine Ansteckung auf diesem Wege inzwischen äußerst unwahrscheinlich. Den Alkohol-Missbrauch und die Einnahme überflüssiger Medikamente muss man selbst abstellen. Aber auch die Forschung schreitet fort. Besonders auf dem Gebiet der Therapie von Leberkrankheiten sind in den letzten Jahren große Fortschritte zu verzeichnen, darunter ganz neue Ansätze, wie etwa die Nutzung der hohen Regenerationsfähigkeit der Leberzellen. Vielleicht kommt man eines Tages wirklich dahin, dass die menschliche Leber wie bei Prometheus nachwachsen kann.