Pressemitteilung 2023/052 vom

Der Krieg gegen die Ukraine dauert an, die Position Chinas bleibt auch nach dem Besuch von Staatspräsident Xi in Moskau unklar. Dr. Man Zhang vom Research Centre Global Dynamics (ReCentGlobe) der Universität Leipzig spricht im Kurzinterview über mögliche Motivationen der chinesischen Regierung, gerade auch in Bezug auf eine Vermittlerrolle zwischen Russland und der Ukraine. Eine Beurteilung der Prioritäten Chinas sei aber zunehmend schwierig. Man Zhangs Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Politik, Gesellschaft und Justiz in China.

Wie bewerten Sie die jüngste Reise von Präsident Xi nach Moskau im Hinblick auf den Krieg gegen die Ukraine?

Es gibt zwei mögliche Erklärungen für Xis Besuch in Russland im Zusammenhang mit dem Russland-Ukraine-Krieg: Die eine ist, dass die chinesische Regierung, wie sie in der offiziellen gemeinsamen Erklärung behauptet hat, die Möglichkeit von Friedensgesprächen zur Beendigung des Kriegs und zum Erreichen internationaler Stabilität diskutiert hat. Wenn dies der Fall ist, ist es wahrscheinlich, dass die chinesische Regierung als aktiver Vermittler bei den Friedensgesprächen auftreten würde. Die andere Interpretation ist, dass Xis Besuch in Russland ein klares Signal ist, dass Peking "Partei ergreift", obwohl die chinesische Regierung dies wiederholt bestritten hat. Die Motivation für einen solchen Akt könnte mit Chinas Beziehung zu Taiwan und darüber hinaus mit den Spannungen mit den Vereinigten Staaten zusammenhängen. Die Xi-Regierung könnte gegen Taiwan vorgehen, höchstwahrscheinlich mit Gewalt. Sich an die Seite Russlands zu stellen, bedeutet auch, nach Verbündeten für eigene Aktionen zu suchen. 

China hat einen "Friedensplan" vorgelegt – wie realistisch ist es, dass China eine Rolle als Vermittler spielen wird?

Theoretisch gibt es einige pragmatische Gründe für die chinesische Regierung, als Vermittler aufzutreten. Auf internationaler Ebene könnte China durch das Ermöglichen von Friedensgesprächen seinen globalen Einfluss weiter ausbauen und die Rolle der USA schmälern. Die offizielle chinesische Darstellung behauptet oft, dass die Vereinigten Staaten im russisch-ukrainischen Krieg "das Feuer entfachen und die Flammen anfachen". Als Vermittler aufzutreten könnte die chinesische Regierung als führenden Akteur erscheinen lassen und ihr dabei helfen, mit den Vereinigten Staaten um Einfluss in globalen Angelegenheiten zu konkurrieren. So spielte China beispielsweise eine Vermittlerrolle bei der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und dem Iran in Peking Anfang März dieses Jahres. Dies war ein entscheidender Moment sowohl für den Nahen Osten als auch für Chinas Einfluss in der Region. 

Innenpolitisch hat China derzeit mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die eine Folge seiner Covid-19-Politik in den letzten drei Jahren sind. Diese Situation könnte die chinesische  Regierung veranlassen, Friedensgespräche zur Beendigung des Krieges zu fördern, um den internationalen Handel zu öffnen, der seit der Pandemie durch die Abschottungspolitik stark beeinträchtigt ist. Andererseits erscheint es, auch vor dem Hintergrund der chinesischen Politik der letzten Jahre, zunehmend schwierig zu beurteilen, ob Peking der wirtschaftlichen Entwicklung immer noch Vorrang vor seiner politischen Agenda einräumt.

Welche Argumente, Fragen oder Bedenken hören Sie, wenn Sie mit Menschen in China sprechen? 

Viele Menschen in China sind sehr unzufrieden mit der Politik der Regierung im vergangenen Jahr. Vor allem in Städten wie Shanghai, wo monatelang ein harter Lockdown stattfand, zeigte sich die Öffentlichkeit enttäuscht von der Leistung der Regierung.   

Aufgrund des langfristigen Lockdowns litten die Bürger, vor allem diejenigen, die am unteren Ende der Gesellschaft stehen, unter finanziellen Schwierigkeiten. Das Einkommen vieler Menschen sank, und der wirtschaftliche Druck nahm zu. Eines der deutlichsten Anzeichen dafür ist der Einbruch im Immobiliensektor, der für viele Kommunalverwaltungen eine wichtige wirtschaftliche Quelle darstellt. Die wirtschaftlichen Rückschläge haben dazu geführt, dass die Öffentlichkeit beginnt, die Autorität der Regierung Xi in Frage zu stellen.


Zur Person:
Dr. Man Zhang arbeitet seit März 2021 an der Universität Leipzig in der Leipziger Abteilung des Research Institute Social Cohesion (RISC)/Research Centre Global Dynamics. Aufbauend auf ihrer bisherigen Forschung konzentriert sie sich auf die Untersuchung von Populismus und Maoismus im heutigen China. Kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges hatte sie in einem Blogbeitrag die Haltung Chinas zu dem Konflikt analysiert.
Die Wissenschaftlerin ist per E-Mail erreichbar für Anfragen auf Chinesisch und Englisch. 

Hinweis:
Das Interview wurde schriftlich in englischer Sprache durchgeführt. Redaktion: Dr. Mathias Rodatz (Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt) und Carsten Heckmann (Stabsstelle Universitätskommunikation). Übersetzung: Carsten Heckmann, unter Zuhilfenahme von DeepL.